Grenzen der Verdrängungstaktik

Ausland Trump erhebt Strafzölle, das darbende Italien versinkt im Populismus – und Deutschland? Hier empört man sich, weiß es besser und drückt sich vor der Verantwortung
Des Deutschen ganzer Stolz: Autoindustrie und Exportüberschuss. Visionär ist das nicht gerade
Des Deutschen ganzer Stolz: Autoindustrie und Exportüberschuss. Visionär ist das nicht gerade

Foto: David Hecker/Getty Images

Das Weltgeschehen sieht für viele in Deutschland so aus: Hätten diese dummen US-Amerikaner nur nicht diesen noch dümmeren Donald Trump zum Präsidenten gewählt! Würden sich diese Italiener nur endlich am Riemen reißen! Wären nur alle anderen in dieser Welt so vernünftig, fleißig und sparsam wie wir hier!

Selbstvergewisserung ist ein nachvollziehbarer Mechanismus – jetzt, da Trumps Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporte Realität und ein Ausstieg Italiens aus dem Euro vorstellbar werden. Selbstvergewisserung aber hilft ebensowenig wie der standhaft-empörte Verweis auf Trumps Lügen oder Matteo Salvinis Niedertracht. Deutschland ist gut darin, den eigenen Anteil an jenen Etwicklungen, die Regierung und Arbeitgeber nun als riesige Gefahr für Freihandel, Multilateralismus und Gemeinschaftswährung bejammern, zu verdrängen.

Seit Jahren ist kein politisches Programm in Sicht, welches die gefährliche Abhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft vom Exportgeschäft planvoll und entschlossen reduziert. Anlass hierfür gibt es nicht erst seit Trumps Wahl. Die sozialen und ökologischen Folgekosten eines entgrenzten globalen Freihandels sind schon sehr viel länger sichtbar. In Washington kann nun ein Präsident häßliche Schein-Antworten geben, bei denen die Ökologie keine und die jahrelangen Einbußen unterer Einkommensklassen nur eine instrumentell-propagandistische Rolle spielen. Ihm geht es vollkommen um die Abwehr des Abstiegs einer Weltmacht, die hierfür noch einmal voll und ganz die Möglichkeiten ihrer Vormachtstellung ausspielt.

Handelsbilanzüberschüsse sind am Ende wenig wert

Und Trump hat noch ein Ass im Ärmel: Europas – vor allem Deutschlands – Autoindustrie drohen US-Einfuhrzölle von 27,5 Prozent. Diese könnten am Ende durch soziales Chaos und Schock bewirken, was längst der Abgasbetrug, die Luftqualität in Städten und die horrende Versiegelung von Flächen für Straßen als nachhaltige, langfristige Transformation erfordern würden: den Niedergang einer völlig Auto-zentrierten Verkehrsindustrie.

Deutschland könnte bald die Erfahrung machen, wie wenig die ewigen Handelsbilanzüberschüsse, auf die viele so stolz sind, am Ende wert sein können. Wie töricht es ist, das sich-Laben an dieser Art von Währungsunion als Belohnung für die eigene Tüchtigkeit zu halten. Die Gemeinschaftswährung ist ein Wert an sich, ja. Aber sie kann auf Dauer nicht funktionieren, wenn sie nicht die volkswirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen ihren Mitgliedern ausgleicht und der Mächtigste selbst vermissen lässt, was er stets so inbrünstig von den Machtlosen fordert: Augenmaß und Verantwortung. Die designierte Koalition aus Lega und Fünf Sterne ist auch eine Folge deutscher Verantwortungslosigkeit in Europa. Es tröstet nicht, dass ihr Weg ebenso zu noch mehr Misere führen mag.

Trost, ja Hoffnung verspräche nur ein politisches Programm, das sich mit dem bösen Trump, dem fiesen Salvini und all den anderen nicht lange aufhält, sondern aus eigener Erkenntnis heraus eine Perspektive aufzeigt, die mit Exportnationalismus und Industriepolitik allein im Interesse des hiesigen Kapitals bricht.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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