Sahra-Wagenknecht-Partei vor dem Start: In Staßfurt sind schon ein paar Stimmen sicher
Gründung Sahra Wagenknecht will bald erklären, wie aus dem Verein „BSW – für Vernunft und Gerechtigkeit“ eine Partei entstehen soll. Bei einer Lesung mit ihr in Sachsen-Anhalt können das manche kaum erwarten. Wer aus der Linksfraktion geht mit ihr?
Will aus dem Scheitern der Sammlungsbewegung Aufstehen bei ihrer Parteigründung Lehren ziehen: Sahra Wagenknecht.
Foto: Hannibal Hanschke / picture alliance / EPA
Das Dichthalten hat schon einmal nicht geklappt. Für interessengeleitete Redseligkeit gegenüber Medien ohne Rücksicht auf das Wohl der eigenen Partei standen die Linke und deren Fraktion im Bundestag in den vergangenen Jahren am verlässlichsten. Redselig waren jetzt auch Menschen im Umfeld Sahra Wagenknechts – von Spiegel bis Tagesschau wird verkündet: Am kommenden Montag ist es so weit: Wagenknecht wird in Berlin ihre Pläne für die Gründung einer neuen Partei vorstellen. Zum jetzigen Zeitpunkt schweigt sie.
„Für Vernunft und Gerechtigkeit“
Vielleicht jedoch liegt dieser Indiskretion Kalkül zugrunde – in Sachen Aufmerksamkeitsökonomie ist das nicht die günstigste Zeit für die Gründungsverkündun
punkt schweigt sie.„Für Vernunft und Gerechtigkeit“Vielleicht jedoch liegt dieser Indiskretion Kalkül zugrunde – in Sachen Aufmerksamkeitsökonomie ist das nicht die günstigste Zeit für die Gründungsverkündung des „BSW – für Vernunft und Gerechtigkeit“ – der Titel, unter dem das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ bisher in der Struktur eines Vereins existiert. Die Nahost-Schlagzeilen ließen die Meldung jetzt schnell nach unten fallen auf den Nachrichtenseiten. Für ausreichend mediale Präsenz in der Bundespressekonferenz am Montag sollte jetzt aber gesorgt sein.Das daraus resultierende Echo dürfte erst einmal für einiges Aufatmen in der Republik sorgen. Unter den Linkspartei-Mitgliedern, die die Trennung von Sahra Wagenknecht immer wollten, – und unter potenziellen Wählerinnen, wie man sie dieser Tage nicht unbedingt in Kiezen wie dem der Bundespressekonferenz in Berlin-Mitte trifft, wohl aber an Orten wie Staßfurt in Sachsen-Anhalt.Europawahl am 9. Juni 2024Im ausverkauften Salzlandtheater zu Staßfurt, 26.000 Einwohner und eine halbe Stunde südlich von Magdeburg, tritt Wagenknecht am Donnerstag vergangener Woche zu einer Lesung aus ihrem Buch Die Selbstgerechten auf die Bühne. 200 Menschen, faste alle über 50, mehr Frauen als Männer.Viel Nicken und Klatschen, und dieses zustimmende Kopfschütteln, während Wagenknecht ganz langsam vorliest – das Vorwort der Ende 2022 erschienenen Taschenbuchausgabe mit dem zentralen Thema Ukraine-Krieg. Die Eintrittskarte kostet 27 Euro.Es dauert in der anschließenden Fragerunde nicht lange, bis ein eleganter Mittfünfziger im weißen Hemd schelmisch fragt: „Wen würden Sie mir denn raten zu wählen, Frau Wagenknecht?“ Und so fragen Sie weiter in Staßfurt, wann es denn endlich so weit sei mit der Partei, und hören doch immer nur das, was Wagenknecht seit Wochen sagt: Extrem anspruchsvoller Prozess, solch eine Parteigründung, wenn es etwas zu sagen gibt, werden wir es sagen, aber auch, so in etwa: Sie sehe schon ein, dass man nicht ewig warten könne, wenn es doch etwas zu sagen gibt.Kommunalwahlen gibt es auch nochIm Frühjahr müssen Parteien Listen einreichen, um zur Europawahl am 9. Juni 2024 anzutreten – aber in Staßfurt weiß eine Frau im Publikum, dass es da noch ein paar mehr Listen einzureichen gibt als die für das Europaparlament – wie acht andere Bundesländer wählt Sachsen-Anhalt am 9. Juni seine Kommunalparlamente, was diese Frau – eine Kommunalpolitikerin, fraktionslos, früher in der Linken – mit dem Brustton der Dringlichkeit immer wieder drängen lässt: Wann sagen Sie es? Wir können Sie von unten unterstützen! Jetzt stehen die Kommunalwahlen an! Nicht nochmal fünf Jahre so! Vergebens, der Bundespressekonferenzmontag ist noch anderthalb Wochen fern.„Ich frage mich, ob Menschen irgendwann von mir enttäuscht sein werden“, hat Wagenknecht 2022 in einem Gespräch mit dem Freitag gesagt, und wenn die Eindrücke von ihr und aus ihrem Umfeld jetzt nicht täuschen, dann ist diese Befürchtung einer Zuversicht gewichen, die organisatorischen Grundlagen dafür schaffen zu können, dass Menschen Sahra Wagenknecht wählen können.Enttäuschung ist dennoch nicht ausgeschlossen, denn dem „Von unten unterstützen“ werden in der sich abzeichnenden Partei Grenzen der Mitwirkung gesetzt sein, soll der wilde Ritt der Sammlungsbewegung Aufstehen von unten in die Versenkung nicht als Vorbild dienen. Mitgliederstärke wird wohl kaum eine der Kategorien sein, in denen die sich abzeichnende Partei ihre Stärke bemisst, eher Klicks, Spenden und 2024 dann Wählerstimmen. Mit Klicks und Spenden hat es bei der Petition „Aufstand für Frieden“ und der anschließenden Kundgebung „Manifest für Frieden“ mit Wagenknechts Fraktionskollege Christian Leye als Organisator schon einmal geklappt.Was wird aus der Linksfraktion?Leye ist noch wirtschaftspolitischer Sprecher der Linken, und wenn die Begrenzung der Mitglieder bei der neuen Partei ebenso zu vermuten steht wie die der Themen, dann ist Wirtschaft – das für Wähler wichtigste Thema nicht nur bei den Landtagswahlen zuletzt – gesetzt, dafür spricht schon, dass Wagenknecht in ihren Youtube-Videos, Newslettern und Interviews derzeit über kein anderes Thema mehr spricht. Darauf und auf den wirtschafts- und energiepolitischen „Irrsinn“ der Ampel-Koalition soll erkennbar die „Vernunft“ im Vereinsnamen zielen. Die „Gerechtigkeit“ wird, unschwer zu erraten, höhere Löhne und Renten sowie eine stärkere Besteuerung von Vermögen meinen, und der „Frieden“ dürfte auch ohne explizite Nennung gesetzt sein. Auf „Migration“ deutet nicht zuletzt hin, dass Wagenknechts einzige Einlassung am Wahlabend in Hessen und Bayern eine Aufforderung bezüglich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) war: „Wer in Wiesbaden scheitert, ist in Berlin fehl am Platz.“Leisten sie nicht der Aufforderung von Parteichefin Janine Wissler zur Mandatsrückgabe Folge, bleibt Wagenknecht und denen, die es aus der Linksfraktion mit ihr zieht, im Parlament die Organisationsform einer Gruppe. Doch die Frage, ob sich der andere Teil der Linksfraktion vollständig ebenso zu einer solchen Gruppe zusammenfindet, könnte den Zeitpunkt der Fraktionsauflösung noch etwas hinauszögern.Dafür spricht ein Beschluss der real existierenden Linksfraktion dieser Tage: Während Amira Mohamed Ali die Fraktionsspitze wie angekündigt verlässt und mit Wagenknecht, Leye, dem Unternehmer Ralph Suikat und Lukas Schön, ehemaliger Geschäftsführer der Linken Nordrhein-Westfalen und früherer Wahlkreismitarbeiter des Linken-Bundestagsabgeordneten Matthias Birkwald, die Parteipläne vorstellen wird, bleibt Dietmar Bartsch bis auf Weiteres alleiniger Fraktionsvorsitzender. Wer auch sonst sollte einen geordneten Übergang gewährleisten? Dies, wohl einen ihrer letzten Beschlüsse, hat die anwesende Linksfraktion einstimmig gefasst.
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