Asien erwacht

Rezension Der Widerstand gegen Kolonialismus und Imperialismus hat eine lange Geschichte. Davon erzählt das bemerkenswerte Buch eines asiatischen Intellektuellen

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Im März dieses Jahres erhielt Pankaj Mishra den «Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung». Bekannt geworden ist der indische Publizist vor allem durch sein Buch «Aus den Ruinen des Empires», dessen englische Originalausgabe 2011 erschien. Dort erzählt er die Geschichte von drei grossen Intellektuellen Asiens aus dem späten 19. und dem beginnenden 20. Jahrhunderts, die hierzulande kaum bekannt sind. Ebenso wenig ist uns geläufig, wie langwierig und vielfältig der Widerstand gegen die Vorherrschaft des weissen Mannes in der Ära des Kolonialismus und Imperialismus gewesen ist.

Wenn wir Asien heute aus europäischer Perspektive betrachten, so dominiert vielfach die Angst – sei es vor chinesischer Konkurrenz auf dem Weltmarkt oder vor fundamentalistischen Bewegungen im islamischen Raum. Ein vertieftes Verständnis für die Vorgänge, die heute im Nahen wie im Fernen Osten vonstattengehen, haben wir uns kaum angeeignet. Das Werk von Pankaj Mishra ist deshalb so wertvoll, weil es einen Einblick in das «Asiatische Drama» (so der Titel eines Buches des berühmten schwedischen Ökonomen Gunnar Myrdal) vermittelt.

Wege der Erneuerung

Das Drama bestand vor allem darin, dass die hoch entwickelten Reiche von den östlichen Gestaden des Mittelmeers bis zum Pazifischen Ozean der Kraft des europäischen Kapitalismus nicht standhalten konnten und sich den Mächten aus dem Westen unterwerfen mussten. Deren Waren und insbesondere auch eine moderne Waffentechnik machten der früheren Eigenständigkeit ein Ende. Die Unterwerfung erfolgte oft mit grosser Brutalität. Die Kolonialmächte nahmen auch kaum Rücksicht auf die kulturellen Errungenschaften des Ostens, die in vielen Fällen ein weit höheres Niveau als Europa erreicht hatten.

Doch aus den Ruinen jener Reiche entstand neues Leben. Auf dem Höhepunkt der Kolonialherrschaft fragten sich einheimische Intellektuelle, woran denn ihre Länder gescheitert waren und wie die Wiedergeburt Asiens aussehen könnte. Pankaj Mishra beschreibt drei unterschiedliche Reaktionen auf die westliche Macht: Da waren jene, die erklärten, man müsse an den eigenen religiösen Traditionen festhalten, denn diese seien allen anderen überlegen. Man könnte diese als die «fundamentalistische» Position bezeichnen, die heute im Salafismus zum Ausdruck kommt.

Andere behaupteten, man müsse nur einige westliche Techniken übernehmen, um wieder zu erstarken. Das ist der Weg, den Japan mit einigem Erfolg gegangen ist und den auch andere asiatische Staaten eingeschlagen haben. Die dritte, «radikale» Position, wie sie von Atatürk in der Türkei und Mao Zedong in China eingenommen wurde, ist der Auffassung, dass die gesamte bisherige Lebensweise umgestürzt werden müsste, «um unter den dschungelartigen Bedingungen der modernen Welt konkurrieren zu können», wie der Autor schreibt.

Kampf der Demütigung

Einer der drei im Buch Porträtierten ist Liang Qichao (1873 – 1929), der als «erster moderner Intellektueller Chinas» bezeichnet wird. Sein Heimatland war durch die Kolonialmächte aufs Äusserste gedemütigt worden. Die erzwungene Öffnung der Märkte zerstörte die einheimische Wirtschaft. Der Widerstand gegen den vordringenden Kapitalismus wurde mit aller Härte bekämpft, wie am Beispiel des so genannten Boxeraufstandes im Jahr 1900 gezeigt werden kann. Dieser richtete sich gegen Ausländer, insbesondere christliche Missionare, welche die Vorherrschaft des Westens symbolisierten. Daraufhin schickte der deutsche Kaiser eine Strafexpedition nach China. Seine Soldaten sollten dafür sorgen, «dass es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen».

Im japanischen Exil betätigte sich Liang als Journalist und gründete Zeitungen, die sich der politischen Aufklärung widmeten und den Gedanken der Souveränität des Volkes verbreiteten. Seine Zeitschrift «Erneuerung des Volkes» erreichte eine Leserschaft von rund 200‘000 Menschen – unter ihnen ein junger Student namens Mao Zedong. «Ich las und las sie immer wieder, bis ich sie auswendig kannte», sagte er später. Von Liang hatte Mao dann auch einiges übernommen – beispielsweise den Gedanken einer gutartigen Autokratie, die das chinesische Volk in einem zentralisierten Staat zusammenschweissen könne, um einen Rückfall in den Zustand der Hilflosigkeit gegenüber fremden Mächten um jeden Preis zu verhindern.

Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs ist ein allmählicher, wenn auch unaufhaltsamer Aufstieg Asiens zu beobachten, der mit einem neuen Selbstbewusstsein der asiatischen Völker einhergeht. Doch dieser Erfolg ist zweideutig, denn für Pankaj Mishra verdeckt er «einen gewaltigen intellektuellen Fehlschlag»: Bis heute gebe es «keine überzeugende universalistische Antwort auf westliche Vorstellungen von Politik und Ökonomie». Eine blosse Nachahmung des europäischen Konsummodells sei gefährlich, weil sie auf eine ökologische Katastrophe hinauslaufe und bei den Hundertmillionen Habenichtsen ein «gewaltiges Reservoir an nihilistischer Wut» schaffe. Dieser Warnung des indischen Publizisten ist nichts hinzuzufügen.

Pankaj Mishra: Aus den Ruinen des Empires. Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens. Aus dem Englischen von Michael Bischoff. Mit einem Nachwort von Detlev Claussen. Frankfurt/Main: S. Fischer Verlag 2013, 441 S., € 26,99

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Seifert

Journalist / Publizist / interessiert an Fragen der sozialen Ökologie

Seifert

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