Der Prolet aus Würselen

Sozialdemokratie Wenn die SPD bei der Bundestagswahl 2017 erfolgreich sein will, dann sind Sigmar Gabriel, Olaf Scholz und Frank-Walter Steinmeier die falschen Kanzlerkandidaten

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Einzige Option Martin Schulz?
Einzige Option Martin Schulz?

Foto: TIZIANA FABI/AFP/Getty Images

Bei gerade mal 20 Prozent sehen die Umfragen die SPD noch, wäre am Sonntag Bundestagswahl. In Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt landete sie zuletzt bei wenig mehr als 10 Prozent, während die AfD in beiden Länder besser (in Sachsen-Anhalt mit 24 Prozent deutlich besser) abschnitt. Für die SPD ist das trotz des Erfolgs in Rheinland-Pfalz eine Katastrophe. Zumal es laut aktuellen Umfragen in anderen Bundesländern nicht so viel besser aussähe.

Gabriel ist bereits verwarnt

Wäre die SPD ein Fußballverein, dann wäre Sigmar Gabriel als Trainer bereits entlassen worden. Die „gelbe Karte“ hat er bereits auf dem Parteitag im Dezember 2015 erhalten; Sigmar Gabriel wurde mit lediglich 75 Prozent der Stimmen als Parteivorsitzender bestätigt. Für einen Parteivorsitzenden ist das ein klägliches Ergebnis.

In der Bevölkerung sind laut Deutschlandtrend von Infratest dimap nur noch knapp 40 Prozent mit Gabriels Arbeit zufrieden. Das ist zwar immer noch ein bisschen besser als die 38 Prozent, die mit der Arbeit von Horst Seehofer zufrieden sind, aber der ist auch nicht Bundesminister für Wirtschaft und Energie, sondern Ministerpräsident im Freistaat. Zuletzt wurde Gabriel von einer Putzfrau zurecht gewiesen. Da ging es zwar eher um die Auswirkungen der Agenda 2010, für die Gabriel nicht direkt verantwortlich ist, aber daran wird deutlich, warum die SPD gerade bei ihrer Stammklientel, den Arbeitern, viel Vertrauen verloren hat.

Die SPD hat ein gravierendes Imageproblem

Obwohl die SPD in dieser Legislaturperiode bereits viele Herzensanliegen der Sozialdemokratie umgesetzt hat, profitiert sie davon nicht. Der Mindestlohn, die Rente mit 63, die Frauenquote, fast scheint es, als würden diese Verdienste der CDU zugute kommen.

Die SPD hat ein erhebliches Imageproblem. Nicht nur hängen ihr immer noch die Auswirkungen der Hartz Reformen an, die „Affäre“ Edathy war sicher auch nicht hilfreich, und Sigmar Gabriel greift die CDU/CSU mal von links an, wenn er die Äußerungen gerade der CSU Politiker als populistisch verurteilt, nur um dann selber schnellere Abschiebungen zu fordern und Marokko und Algerien damit zu drohen, die Entwicklungshilfe einzustellen, sollten sie nicht straffällig gewordene Staatsbürger zurück zu nehmen. Auch bei TTIP gibt es keine einheitliche Linie: der linke Flügel der SPD fordert inzwischen den Abbruch der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen, während Gabriel als Wirtschaftsminister das Abkommen weiter verteidigt.

Wenn es so weiter geht, dann wird die SPD unter Umständen noch von der AfD überholt werden. Unter diesem Druck gibt die SPD insgesamt, aber auch gerade ihr Führungspersonal kein gutes Bild ab. Um noch mal die Fußballanalogie zu bemühen: Es könnte sein, dass sie SPD 2017 gegen AfD in die Relegation muss. Das kann nicht der Anspruch eines Traditionsvereins sein. Nur, von Tradition kann man sich nichts kaufen. Und wenn bereits die Nachwuchsspieler anfangen zu rebellieren, wie Johanna Uekermann auf dem Parteitag im Dezember, und der Parteivorsitzende gereizt reagiert, dann weiß man, dass die Entwicklung in die falsche Richtung geht.

Es fehlt das richtige Personal

Der einzige Grund, warum Sigmar Gabriel noch Parteivorsitzender ist und wahrscheinlicher Kanzlerkandidat der SPD werden wird, dürfte der sein, dass es sonst niemand machen will. Und eigentlich will nicht einmal Gabriel es machen. Er hatte ja bereits gesagt, dass er sich freuen würde wenn es es noch ein paar andere Personen gäbe, die sagen würden „Ich kann das“. Olaf Scholz hat bereits dankend abgelehnt, weil er weiß, dass er gegen Angela Merkel wahrscheinlich keine Chance hätte. Frank-Walter Steinmeier hat bereits 2009 gegen Merkel verloren. Es nochmal zu versuchen wäre zwar aller Ehren wert, hätte aber wahrscheinlich auch keine Chance auf Erfolg. Insgesamt macht das Personal der SPD in Deutschland nicht den Eindruck, Angela Merkel und der CDU 2017 gefährlich werden zu können.

Der Populismus der Führung

Die SPD hat unter unter ihrer derzeitigen Führung ihren Markenkern verloren unter setzt unter dem Druck der Erfolge der AfD auf die Strategie der AfD: einfache Antworten. Vor den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg forderte Sigmar Gabriel plötzlich ein neues Sozialpaket. Im Januar 2015 hat er mit Pegida Anhängern diskutiert, nur um dann zehn Monate später sowohl Pegida als auch die Afd als „offen rechtsradikal" zu bezeichnen, und die Rassisten und Randalierer in Heidenau „Pack“ zu nennen.

Und selbst, wenn man der Meinung ist, dass Gabriel mit dem „Pack“ richtig lag, ist das für einen Politiker eine unangemessene Wortwahl. Gabriel hätte die Randalierer Nazis nennen können, weil das wahrscheinlich die Gedankenwelt dieser Menschen halbwegs beschreibt. „Pack“ ist aber natürlich genau die Wortwahl, die Fremdenfeinde auch im Zusammenhang mit Flüchtlingen verwenden. Dieses Niveau muss ein Politiker vermeiden, im Besonderen ein Sozialdemokrat. Er hat die Parteibasis verloren und er hat vor allem das Vertrauen der Wähler verloren. Sigmar Gabriel wirkt dünnhäutig und angreifbar in den letzten Monaten. Mit Sigmar Gabriel an der Spitze ist die SPD nicht zu retten.

Neue Köpfe

Was die SPD braucht, ist mehr Volksnähe ohne volkstümlich zu sein, die SPD braucht ein neues Gesicht und eine neue Persönlichkeit. Martin Schulz hatte ich eigentlich nie auf dem Schirm, erst als er Silvio Berlsuconi 2003 im EU Parlament so lange verbal angriff, bis Berlusconi sagte, Schulz könne gerne die Rolle des Lageraufsehers in einem Film über ein Nazi-Konzentrationslager übernehmen, der gerade in Italien gedreht werde.

Schulz ist ein Mensch der klaren Worte: über Heinz-Christian Strache sagte er: „Der Mann ist für mich ein Nazi“. Jetzt ist Martin Schulz EU Parlamentspräsident, eigentlich ein Amt ohne Macht. Die bisherigen Parlamentspräsidenten habe nur die Glocke gebimmelt und die komischen Rituale, mit denen der Parlamentspräsident in den Saal einzieht, mitgemacht. Martin Schulz hatte mehr vor. Er will mehr Macht für das Parlament, er will die EU demokratischer machen. Und er will mehr Macht für sich.

Mehr Macht für das Europäische Parlament

"Entscheidungen, die uns alle betreffen, werden von Regierungschefs hinter verschlossenen Türen getroffen, das ist für mich ein Rückfall in einen lange überwunden geglaubten Zustand der europäischen Politik: Es erinnert an die Zeit des Wiener Kongresses im 19. Jahrhundert." Er wollte und will versuchen, „wieder Begeisterung für Europa zu wecken". Ich glaube ihm das, Martin Schulz ist ein Europapolitiker, der die Europäer mit der der EU versöhnen könnte. Er setzt sich konsequent für mehr Befugnisse des Europäischen Parlaments, der gewählten Vertreter der europäischen Bevölkerung ein.

Und er hat einiges erreicht: Schulz hat das Parlament und sich selber mächtiger gemacht, weil er gesagt hat, dass das Parlament und er selber Macht haben müssen. Den Regierungschefs der EU Länder sagt er, es sei „nicht akzeptabel, dass die einzige direkt gewählte EU-Institution, die Stimme der Bürgerinnen und Bürger in Europa, von der Debatte über die Zukunft der EU ausgeschlossen wird".

EU Kritik

Das klingt wie EU Kritik, aber ausnahmsweise mal vernünftig. Über sich selber hat Martin Schulz mal gesagt: „Ich bin doch ein kleiner Prolet.“ Wer die Bürgerinnen und Bürger der EU sind, weiß er. Er ist ist in Würselen aufgewachsen, ein paar Kilometer von der niederländischen Grenze. Er hat kein Abitur, kein Studium abgeschlossen. Martin Schulz war in seinen Zwanzigern Alkoholiker und Buchhändler, er spricht Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und Niederländisch fließend.

Wenn die SPD bei der Bundestagswahl 2017 einen Kanzlerkandidaten aufstellt, dann sollte es Martin Schulz sein. Er hätte den Ehrgeiz und die Einstellung, die Republik aufzumischen. Lasst es bitte den Proleten aus Würselen machen, wenn er denn will. Meine Stimme hat er.

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