„Frauen in Leitende Stellungen“ lautet die Überschrift eines Artikels aus dem Jahr 1950, der in einem Glaskasten ausgestellt ist. Die „Vereinigung volkseigener Baumwollspinnereien“ wirbt darin um mehr weibliche Arbeitskräfte, um die Wirtschaft anzukurbeln. Wie die Realität dieser Arbeitskräfte in den meisten Fällen ausgesehen haben dürfte, zeigt ein anderes, daneben ausgestelltes Zeitdokument von 1962: Ein Arbeitsvertrag einer Angestellten in der Leipziger Baumwollspinnerei beziffert 1,50 DM Stundenlohn im Drei-Schicht-Betrieb, eine Kündigungsfrist von 14 Tagen und jährlich zwölf Tage Erholungsurlaub.
Die ein Stockwerk darüber zu sehende Webarbeit von Gabriele Stötzer, die wegen „politischen Verrats“
ts“ eingeknastet war und ab 1980 eine Galerie und Kunstmanufaktur in einer besetzten Erfurter Wohnung betrieb, wirkt wie eine Antwort darauf: Ein schmaler, langer Wandteppich, der vor gedeckten Farben eine leuchtend rote, nach oben gereckte Figur zeigt, unschwer zu erkennen als Der große Schwanz von 1985. Er versinnbildlicht gleichermaßen die Feststellung, dass im Textilbereich massiv weibliche Arbeitskraft ausgebeutet wird wie auch ein widerständiges „Fuck You“ an dieses patriarchale System – mit ebenjenen textilen Ausdrucksmitteln.Wer ist weich, wer hat Macht?Damit wären eigentlich die Marker gesetzt für die neue Ausstellung im Potsdamer Kunsthaus Das Minsk, in dem sich SAP-Gründer und Mäzen Hasso Plattner neben seiner milliardenschweren Impressionismus-Sammlung im nicht weit entfernten Museum Barberini seit eineinhalb Jahren auch noch ein wenig zeitgenössische Kunst, gerne mit DDR-Bezug, gönnt. Doch der neue Kurator des Minsk, Daniel Milnes, der zuvor am Haus der Kunst in München sowie am Hamburger Bahnhof in Berlin tätig war, will unter dem Titel Soft Power noch mehr. Viel mehr. In drei Kapiteln, die auf den zwei Etagen der Ausstellungsräume im liebevoll restaurierten Bau der Ost-Moderne bewusst nicht trennscharf voneinander abgegrenzt sind, soll nicht nur auf die Produktionsbedingungen von Textilien sowie deren Rohstoffe hingewiesen werden, sondern auch auf die künstlerische Verbandelung mit Vorgänger*innen und auf das formatsprengende Potenzial von textiler Kunst (die hier übrigens auch die Form von Edelstahl, Flaschenverschlüssen oder Pferdehaar annehmen kann).Der transatlantische Versklavungshandel mit seinem ungeheuren Hunger nach Baumwolle, die Geschichte von Quilts als widerständigem Ausdrucksmittel der Nachfahr*innen ebendieser Versklavten, die Situation von vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen in der ostdeutschen Textilindustrie oder das künstlerische Volksschaffen in Kreisen wie dem „Zirkel für künstlerische Textilgestaltung Potsdam“, dem ein eigenes Kabinett gewidmet ist, wären jeweils für sich schon große Ausstellungen wert, werden hier aber nur kurz angerissen. Auch um die Marginalisierung von europäischen Rom*nja geht es in den knallbunten Patchworkbildern von Małgorzata Mirga-Tas, um den Widerstand gegen die belorussische Diktatur in dem sieben Meter langen, maschinenbestickten Leinenband von Rufina Bazlova, um die erste trans Frau mit geschlechtsangleichender OP in einem Quilt-Siebdruck von Philipp Gufler, um die Umsetzung von Monique Wittigs queeren Sprachexperimenten in eingefärbte Garn-Leinwände von Wilder Alison, oder um tödliches Begehren und haitianische Traumata in zerfetzt-verkohlten Laken von Manuel Mathieu. Neben Newcomern sind Stars wie Rosemarie Trockel, William Kentridge, El Anatsui, Otobong Nkanga oder Rosemary Mayer zu sehen.Diese beeindruckende Vielfalt von Ansätzen, Positionen und Techniken ist gleichzeitig jedoch auch das Problem der Überblicksschau, die die Werke nicht mit Wandtexten und auch nur teilweise im Audioguide kontextualisiert. Sie kann sich nicht recht entscheiden, ob sie das Konzept einer künstlerischen Forschung wählen möchte, das ansatzweise mit dokumentarischen Werken wie zum Beispiel Ramona Schachts Fotos der Hände von Textilarbeiterinnen an Maschinen verfolgt wird. Oder ob doch eher das sinnliche Vergnügen an der Präsenz von Stofflichkeiten und Verfahren, an Farben und Formen, von der Decke hängenden oder am Fußboden ausgebreiteten Teppichen priorisiert wird. Zudem werden Fragen nach der schwankenden „Wertigkeit“ dieser traditionell meist als feminin markierten und damit als Kunsthandwerk abqualifizierten Werke nur implizit gestellt, dabei sind sie doch einer der zentralen Punkte in der Betrachtung textiler Künste.Denn wer ist im Feld soft, wer hat die Power? Auffällig ist, dass inmitten der Betonung von Parametern wie Dominanz, Hierarchie, Asymmetrie und Ausbeutung, die im einführenden Ausstellungstext eine große Rolle spielen, eine Kategorie nirgends explizit genannt wird: Gender. Das ist erstaunlich, da diese jahrhundertelang unsere Vorstellungen von den künstlerischen (Nicht-)Qualitäten von „weiblichen“ Techniken wie Sticken, Weben, Nähen, Knüpfen et cetera überformt hat. Aber vielleicht ist diese programmatische Leerstelle, die in den vielen feministischen Werken der Ausstellung dennoch großartig mit Inhalten gefüllt wird, auch ein hoffnungsfrohes Zeichen – für ein Verschwinden dieser Trennlinien in einer weniger binären Kunstzukunft.Placeholder infobox-1