Bei jedem Theatertreffen gibt es mindestens eine Inszenierung, die etwas aus dem Rahmen der üblichen Einladungspraxis fällt und mit der sich die Jury vermutlich beweisen will, dass sie nicht nur einfach ein Best-of des deutschsprachigen Theaters nach Berlin bittet. Nach welchen Gesichtspunkten man da aber genau vorgeht, weiß allerdings nur das hohe Gremium selbst. Zu diesem Zeitpunkt schon ein Fazit zu ziehen, wäre sicher verfrüht. Bei der Stuttgarter Inszenierung von Tschechows Onkel Wanjain der Regie von Robert Borgmann scheint es sich aber um so einen Fall zu handeln.
http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2014/04/tt14_p_motiv1.jpg
© Berliner Festspiele
Die Jury des TT bescheinigte Robert Borgmanns Onkel Wanja „Mut zur Entschleunigung“. Die Inszenierung laufe dennoch nie Gefahr zu langweilen. Lethargie und lähmende Hitze inszeniere Borgmann mit „zirpenden Grillen und einem suggestiven Soundteppich“. Grillen waren zwar neben dem benebelnden Elektrosound nicht zu vernehmen, dafür aber ausgiebig die Pfeifkünste des Hauptdarstellers Peter Kurth zu bewundern. Damit besitzt der Regisseur aber noch lange kein herausragendes Alleinstellungsmerkmal. Seine Inszenierung bewegt sich höchstens etwas neben der gängigen Aufführungspraxis, die schon länger versucht, Tschechow aus der melancholisch psychologisierenden Ecke herauszuholen. Man denke da nur an die kraftvolle Inszenierung von Lensing/Hein mit Josef Ostendorf als Wanja, Devid Striesow als Astrow und Ursina Lardi als Jelena 2008 in den sophiensaelen. Hier war die Luft von Anfang an gewittrig dick und die Wut der von ihrer Verzweiflung Gezeichneten förmlich greifbar.
Auch Borgmann zeige laut Jury „wie Trauer in Depression und Trägheit in Aggression umschlagen“. Das führe er gänzlich unsentimental vor. „Ein erstaunlich dynamisches Stillstandszenario.“ Was da wie ein Widerspruch in sich klingt, verbreitet dann auch ganz bewusst und entschieden lähmende Langeweile. Borgmann füllt sie lediglich an mit den Mätzchen kindischer Männer, die aus Mangel an Gelegenheit um eine zickige Großstadt-Trulla (Sandra Gerling als Jelena) kreiseln. Aggressives Verhalten zeigen diese beiden Kraftpakete lediglich beim Slapstick mit dem Auto, beim sich kurz mal gegen die Wand werfen oder in einem Wutanfall, der Peter Kurths Wanja ergreift, als der hypochondrische Familientyrann und des öden Landlebens müde Professor im Ruhestand (Elmar Roloff) das ihm verhasste Gut verkaufen will, die einzige Aufgabe, die Wanja noch am Leben hält. Die Depression ist alles was ihm bleibt. Aus dem Dämmerschlaf seines Lehnstuhls erwacht, dämmert ihm nun die Vergeblichkeit seines bisherigen Lebens und die Kläglichkeit seiner Bemühungen, dieses zu ändern.
Auch Thomas Lawinkys Arzt Astrow hat sich eigentlich schon innerlich aufgegeben. Die Gefühle sind abgetötet, der Alkohol tut sein Übriges. Sein Bemühen um die Natur und seine Hoffnung auf eine bessere Zukunft erscheinen ihm angesichts der Schönheit von Jelena plötzlich vollkommen sinnlos. Der Verstand rutscht in die Hose und sein Vortrag vor der an diesen Dingen völlig Desinteressierten wird zur Posse mit albernen Froschflossen. Die ihn anhimmelnde Sonja (Katharina Knap) sieht Astrow nicht, auch wenn sie ihm immer wieder auf roten Pumps ungeschickt vor die Füße fällt. Der grobe Klotz, der keine Samoware oder russische Seufzerseligkeit mag, torkelt durch die Gegend, schleppt eine Kaffeekanne mit sich herum und zerschmeißt die Tassen. Hier macht sich jeder so gut er kann zum Hans Wurst.
Onkel Wanja
Szenen aus dem Landleben in vier Akten von Anton Tschechow
Regie und Bühne: Robert Borgmann
Kostüme: Janina Brinkmann
Musik: webermichelson
Licht: Sebastian Isbert
Dramaturgie: Jan Hein.
Mit: Elmar Roloff, Sandra Gerling, Katharina Knap, Susanne Böwe, Peter Kurth, Thomas Lawinky, Michael Stiller, Gina Bartel/Nora Liebhäuser.
Dauer: 3 Stunden 30 Minuten, eine Pause
Premiere im Schauspielhaus Stuttgart: 27. Oktober 2013
Weitere Infos: http://www.schauspiel-stuttgart.de/spielplan/onkel-wanja/
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.