Zurechtgestutzte Perspektiven

Südeuropa-Gipfel Niemand hat mehr Angst vor den linken Griechen und die Erwartungen an das Treffen in Athen sind gering. Doch gerade deswegen könnte es zu Ergebnissen führen
Ausgabe 36/2016
Als Bedrohung gilt der zurechtgestutzte griechische Premier (links) längst nicht mehr
Als Bedrohung gilt der zurechtgestutzte griechische Premier (links) längst nicht mehr

Foto: Alain Jocard/AFP/Getty Images

Noch vor einem Jahr wäre das eine mittlere politische Sensation gewesen: Auf Einladung des griechischen Premiers Alexis Tsipras kommen an diesem Freitag die Regierungschefs fast aller südeuropäischen Staaten zusammen. Sie wollen in Athen über Wachstum und Flüchtlinge beraten. Zugesagt haben einige Schwergewichte der EU, wie Frankreichs Präsident François Hollande und Italiens Premier Matteo Renzi. Allein das hätte im Sommer 2015 schon für einige Aufregung gesorgt. Sofort wären Spekulationen um ein Südbündnis laut geworden, also um ein organisiertes Gegengewicht zum Berliner Kurs in der Eurokrise. Heute ist das anders. Das Athener Treffen weckt keine großen Hoffnungen, bringt in der Bundesregierung niemanden um den Schlaf.

Für die gedämpften Erwartungen steht wohl niemand so sehr wie der Gastgeber selbst: Alexis Tsipras ist längst nicht mehr die Symbolfigur des antineoliberalen Aufbegehrens. Allerdings musste er an diesem – auch von ihm und seiner Syriza befeuerten – großen Anspruch fast zwangsläufig scheitern. Griechenland ist zu klein und seine Wirtschaft zu schwach, als dass ein Premier aus Athen eine europäische Führungsrolle einnehmen könnte. Dazu kommt, dass Tsipras’ Parteienfamilie, die Europäische Linke, auf dem Kontinent zu wenig verankert ist, um einen solchen Vorstoß zu unterstützen. Daher hat sich Tsipras zuletzt der europäischen Sozialdemokratie angenähert und nimmt etwa an deren Vorbereitungstreffen zu EU-Gipfeln teil.

Umgekehrt gilt aber: Eben weil die Erwartungen gedimmt sind, kann dieses Treffen überhaupt stattfinden. Vergangenes Jahr wäre es noch symbolisch überfrachtet gewesen. Denn Hollande und Renzi konnten seinerzeit dem mindestens indirekt vorgetragenen Führungsanspruch von Tsipras nicht nachgeben. Damit hätten sie das diplomatische Gewicht von Paris und Rom reduziert. Vor allem hätten sie ihre Regierungen innenpolitisch in Bedrängnis gebracht. Schon damals stand in Frankreich und Italien die liberale Wirtschaftspolitik in der Kritik, und die linke Opposition hoffte auf den Erfolg der Syriza – als praktischer Beweis, dass Alternativen möglich sind. Hollande und Renzi durften also nicht den Eindruck erwecken, die griechischen Rebellen könnten ihnen etwas voraushaben. All dies hatten Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis bei ihrem ungestümen Vorpreschen ab Anfang 2015 zu wenig berücksichtigt. Darin bestand der große strategische Fehler der Syriza und ein Grund ihres Scheiterns.

Abkehr von der Austerität?

Heute erscheint Alexis Tsipras der europäischen Sozialdemokratie aber offenkundig nicht mehr als nennenswerte Bedrohung. Mit dem regelrecht zurechtgestutzten griechischen Premier kann etwa die französische Regierung ganz gut leben, sie hat viele ihrer eigenen linken Vorstellungen ja ähnlich spektakulär zu Grabe getragen.

Ironischerweise könnte der Athener Gipfel nun genau deswegen zu Ergebnissen kommen. Zwar wird er keine schroffe Konfrontation mit Berlin einläuten, die nach dem Brexit-Votum auch gefährlich für die EU als ganze wäre. Auch wird es keine Forderung nach einer großen wirtschaftspolitischen Kehrtwende geben. Aber Matteo Renzi dürfte sein neues Gewicht auf europäischer Bühne – nach dem Abgang der Briten – nutzen, um auf mehr Investitionen sowie größeren Spielraum bei den Defizitregeln zu drängen. Damit wäre eine langsame Abkehr von der Austerität nach portugiesischem Vorbild möglich. Das ist zwar weniger, als Europa benötigt – aber immerhin ein Anfang.

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