Wir brauchen Cops auf dem CSD: Es ist zu gefährlich

Super Safe Space Während 2021 zwei CSDs attackiert wurden, liegt die Zahl 2023 schon bei acht – und die Pride-Saison ist noch lange nicht zu Ende. Unser Kolumnist wendet sich angesichts der Gefahr von seinem alten Credo ab: keine Polizei auf der Pride!
Ausgabe 30/2023
Die Polizei, dein Freund und Helfer auf dem CSD?
Die Polizei, dein Freund und Helfer auf dem CSD?

Foto: Imago / Chromorange

Es ist Pride-Saison, und landauf, landab finden in großen, mittelgroßen und immer mehr kleinen Städten CSD-Veranstaltungen statt. Ja, auch im Osten. Und ja, auch in Bayern. Das sind manchmal Paraden und manchmal Demos, manchmal Kundgebungen und manchmal Partys. Manche sind riesig, wie der in Köln, manche sind klein, aber laut, wie zum Beispiel der in Dachau. Auf manchen von ihnen laufen und fahren Polizisten und Polizistinnen mit Pride-Flaggen auf ihren Autos in der Parade mit. Dafür werden sie von meist linksradikalen Queers angegangen. Das ist zum Beispiel in Kiel und in Frankfurt am Main so passiert.

Im Nachgang dieser Events kocht nun die beliebte Frage wieder hoch: Was haben Cops auf einem CSD zu suchen? Immerhin verbietet die Polizei auf dem CSD in Recklinghausen sogenannte Fetischmasken (unter anderem diese süßen Neopren-Puppymasken) mit Verweis auf das Vermummungsverbot. Und auf dem in Straubing „komplimentieren“ sie mehrere Neonazis aus der Veranstaltung heraus, um so Schlimmeres zu verhindern. Also noch Schlimmeres als die Präsenz von Nazis auf einer Pride.

Beim CSD geht es darum, den Kampf gegen diese organisierten Schergen und Scherginnen der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft zu feiern. Da will ich erst mal keine Polizei mitlaufen sehen, weil diese der Beschützer ebendieser Mehrheitsgesellschaft ist. Aber können wir uns das als Community gerade überhaupt leisten?

Stonewall, daran erinnern vor allem radikale Queers immer gerne, war ein Anti-Polizei-Krawall. Damals, 1969, ging es gegen die vielen Razzien, die die New Yorker Polizei gegen das Stonewall Inn und andere queere Locations regelmäßig durchführte. Angesichts dieser Geschichte erscheint die Frage nach der Polizeipräsenz auf Prides also durchaus vernünftig. Auch, wenn sie von vielen politisch moderateren Queers oft gerne als „linksradikale Selbstbeschäftigung“ abgestempelt wird.

Ja, die Polizei muss CSDs vor Angriffen schützen

Als alter Linksradikaler hatte ich bisher immer die klare Position: Cops in ihrer Funktion als Cops haben auf CSDs nix zu suchen. Sie können als Individuen gerne teilnehmen, aber als organisierte Berufsgruppe nicht. Aber die Frage hat noch eine andere Dimension: Sollten Cops die CSDs gegen Angriffe von außen schützen?

Das ist keine frivole, keine abstrakte Frage. Während 2021 nach meinen Recherchen „nur“ zwei CSDs attackiert wurden, stieg diese Zahl 2022 auf elf und liegt 2023 jetzt schon bei acht – und die Saison ist noch lange nicht zu Ende. Das Problem eskaliert mittlerweile derartig, dass ich von mehreren Queers gehört habe, die „ihren“ CSD dieses Jahr meiden oder nur mit Pfefferspray bewaffnet besuchen werden.

Klar, queere Selbstverteidigung wäre der Außenverteidigung durch eine uns gegenüber im besten Fall ambivalente Institution wie die Polizei vorzuziehen.

Aber da wir diese bisher noch nicht organisiert haben und die Angriffe auf uns so zunehmen, dass CSDs nicht mehr als sichere, sondern als umkämpfte, gar gefährliche Räume einzustufen sind, erscheint mir offensichtlich, dass die Frage nach der Notwendigkeit des Schutzes von CSDs durch Polizeikräfte mit „Ja“ zu beantworten ist. Denn ein CSD, der kein Safe Space ist – der wird halt bald wieder zum Riot. Und in einer rapide nach rechts robbenden Republik ist das keine besonders angenehme Perspektive.

Tadzio Müller ist Queeraktivist. Im Newsletter friedlichesabotage.net schreibt er gegen den „Normalwahnsinn“ an

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden