Der „Danni“ als Schicksalsmoment der Grünen?

Aktivismus Für die hessischen Grünen könnte der Kampf um den „Danni“ zu einem Kampf um die eigene politische Identität werden

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Aktivist*innen im Dannenröder Wald
Aktivist*innen im Dannenröder Wald

Foto: Thomas Lohnes/Getty Images

Seit dem 1. Oktober knattern im Dannenröder- sowie im Herrenwald in Mittelhessen die Kettensägen. Hier soll ein 300 Jahre alter Mischwald für den Weiterbau der Autobahn 49 teilweise gerodet werden. Hinzu kommt: Von der Rodung sind mehrere Natur- sowie ein Wasserschutzgebiet bedroht, das den Trinkwasserspecher der Region bildet. Bio- und Ökolog*innen warnen seit Jahrzenten vor dem Projekt, dass in den 1970er Jahren geplant worden ist. Seit dem kämpfen verschiedene Bürger*innen-Initiativen gegen den Ausbau – auch mit Unterstützung der regionalen und lokalen Grünen.

Vor gut einem Jahr gewann dieser, teilweise schon verloren geglaubte Kampf eine neue Dynamik. Klimaaktivist*innen - einige direkt aus dem Hambacher Forst kommend - besetzten den Wald und errichteten dort Baumhäuser. Ein Ereignis, das zunächst vor allem regional Beachtung fand. Durch eine zunehmende mediale Professionalisierung der Aktivist*innen entwickelte sich die Waldbesetzung - je näher die am 1. Oktober beginnende Rodungssaison rückte - zu einem landes- und bundesweiten Politikum. Mittlerweile beherbergt die Besetzung im Dannenröder Wald über 100 bauliche Strukturen in fünf Baumhaus-Dörfern. Es existieren ein großes Unterstützer*innen- Protestcamp vor dem Wald sowie mehrere Mahnwachen. Auch gab eine kurzzeitige, mittlerweile aber geräumte Besetzung des benachbarten Herrenwaldes, der ebenfalls teilweise für den Weiterbau der A49 gerodet werden soll. In Größe und Infrastruktur hat die Besetzung des „Dannis“ mittlerweile den „Hambi“ überholt.

Schon längst geht es den Aktivist*innen nicht mehr nur um den Schutz eines gesunden Mischwaldes und eines Wasserschutzgebietes. In Zeiten von Hitzesommern, Dürren und Wasserknappheit sind die Auswirkungen des vom Menschen gemachten Klimawandels schon längst zu spüren. Wie der Hammbacher Forst einst ein Symbol für den Kampf für den Kohleausstieg darstellte, ist der „Danni“ zum Symbol für die dringend benötigte sozial-ökologische Verkehrswende geworden. Und insbesondere für die hessischen Grünen könnte der Kampf um den „Danni“ zu einem Kampf um die eigene politische Identität werden.

In Hessen regieren CDU und Grüne zusammen in einer Koalition. Am vergangenen Donnerstag, pünktlich zum Start der Rodungssession, diskutierte der Hessische Landtag über einen von der Linksfraktion eingebrachten Antrag für einen sofortigen-Bau- und Rodungsstopp. In der anschließenden namentlichen Abstimmung stimmten alle Abgeordneten der Grünen zusammen mit der CDU sowie SPD, FDP und AfD gegen den Antrag der Linken.

Seit dem geht ein Aufschrei durch die Klimagerechtigkeitsbewegung und die hessischen Grünen ernten in den sozialen Medien einen bisher ungekannten „Shitstorm“. Am Freitag besetzten Aktivist*innen die hessische Landesvertretung in Berlin. Die Botschaften auf den Transparenten, die die Aktivist*innen entrollten, richteten sich gegen die Grünen – nicht etwa gegen die Koalitionspartner*innen der CDU. Bisher als natürlich geglaubte Verbündete von Fridays for Future, Extinction Rebellion und Andere entziehen den Grünen ihre Unterstützung, die Grüne Jugend kritisierte den hessischen Landesverband der Partei ungewöhnlich scharf und einzelne Mitglieder verkünden in den sozialen Netzwerken ihren Austritt. Natürlich ist es fraglich, wie nachhaltig sich mediale Empörungswellen auf das Wahlverhalten von Menschen auswirken, ein „Shitstorm“ kommt so schnell wie er geht. In einigen Monaten könnte das Thema vergessen sein und andere Debatten den politischen Diskurs bestimmen.

Trotzdem scheint der 1. Oktober 2020 für viele Akteure der Klimagerechtigkeitsbewegung etwas verändert zu haben. In persönlichen Gesprächen zeigt sich, wie verletzend der scheinbare „Verrat“ der Grünen wahrgenommen wurde. Mit dem 1. Oktober ist ein tiefer Riss zwischen Bündnisgrünen und der Klimagerechtigkeitsbewegung entstanden. Spannend wird sein, ob sich dieser Riss wieder schließen lassen wird.

Natürlich fanden die hessischen Grünen eine schnelle Antwort auf ihr Abstimmungsverhalten. Man sei nach wie vor gegen den Ausbau der A49. Die Verantwortung dafür liege allerdings nicht beim Land Hessen sondern beim Bund. Verkehrsminister Scheuer sei die richtige Anlaufstelle für den Protest. In Hessen könne man hier gar nicht tätig werden, sondern müsse eine demokratisch getroffene und gerichtlich bestätigte Entscheidung lediglich umsetzen. Der Antrag der Linken sei daher pure Symbolpolitik und Populismus. Im Übrigen habe man ja erst vor wenigen Wochen einen Antrag für ein Bau-Moratorium in den Bundestag eingebracht. Dieser Antrag sei allerdings gegen die Stimmen von Grünen und Linken von einer Mehrheit des Parlaments abgelehnt worden. Das verkündete beispielsweise die grüne Landtagsabgeordnete und Verkehrspolitikerin Katy Walther via Twitter.

Die juristischen Diskussionen über die Frage, welche Möglichkeiten das Land Hessen nun tatsächlich hat um auf den Weiterbau der A49 einzuwirken einmal beiseitegelassen: Die tiefe Entfremdung zwischen Teilen der Klimagerechtigkeitsbewegung und den Grünen resultiert sicher nicht zuerst aus dem Abstimmungsverhalten der Partei über einen Schaufensterantrag im Landtag. Die Ursachen dafür liegen sicherlich in der Rolle, die die Grünen in der Debatte um die A49 zuletzt einnahmen.

Am Nachmittag des 1. Oktober, wenige Stunden vor der Abstimmung, fand vor dem Landtag in Wiesbaden eine Protestaktion von Greenpeace statt um noch einmal für einen Baustopp der A49 zu werben. Die Aktivist*innen hatten auf einem Tieflader einen großen abgesägten Baumstamm aus dem Dannenröder Forst mitgebracht, auf den sie mit weißer Farbe „Danni bleibt“ geschrieben hatten. Auf einem entrollten Transparent stand „Wenn das noch grün ist, sehen wir schwarz, Herr Verkehrsminister.“ Der angesprochene grüne Wirtschafts- und Verkehrsminister sowie Vize-Ministerpräsident Tarek Al-Wazir stellte sich dem Protest. Nachdem er nochmal ausführlich darlegte, weshalb er und das Land Hessen gar nicht tätig werden könnten und Adressat der Kritik Verkehrsminister Scheuer sein müsste, sagte Al-Wazir diesen einen fatalen Satz: „Der Kampf ist verloren.“

Zwei Wochen zuvor: Begleitet von einem großen Medientross aus Kamerateams und Fotograf*innen kletterten die Fraktionsvorsitzende der hessischen Linken Janine Wissler sowie einige andere schwindelfreie Landtagsabgeordneten der Linken auf eines der Baumhäuser im „Danni“. Wissler, die auch Vorsitzende ihrer Partei im Bund werden möchte, wirkte sichtlich gelöst, lachte. Einige Abgeordnete hoben solidarisch die Faust, Kameras klickten, die Bilder bestimmten die landespolitischen Nachrichten des Tages. Die Linksfraktion Hessen hatte zu einer öffentlichen Fraktionssitzung in den Dannenröder Wald geladen. Alle Abgeordneten der hessischen Linksfraktion, der komplette Mitarbeiter*innenstab, Pressevertreter*innen und Basismitglieder der Linken waren erschienen. Knapp 150 Menschen besichtigten so an diesem Tag die Waldbesetzung. Anschließend suchte man das Gespräch mit den Aktivist*innen, den Vertreter*innen der Bürger*initiativen aber auch mit Wissenschaftler*innen, welche die Bedeutung des Waldes für das regionale Ökosystem nahebrachten. Die Botschaft des Tages war klar: Wir stehen an eurer Seite und kämpfen mit euch gemeinsam für diesen Wald.

Am Ende ihres Redebeitrags erklärte Barbara Schlemmer, Aktive der BI „Keine A49“ und langjährige grüne Stadtverordnete: „Es ist schön, dass ihr hier seid. Aber es müssten Al-Wazir, Habeck und Baerbock sein, die heute hier stehen.“ In ihrer Stimme schwamm Enttäuschung mit. So reagierten an diesem Tag noch weitere Vertreter*innen der Bürger*inneninitiativen. Auch viele Aktivist*innen der Waldbesetzung waren positiv überrascht über die linken Solidaritätsbekundungen.

Einige Tage später besuchten auch Mitglieder der hessischen FDP-Fraktion die Waldbesetzung. Zwar steht die FDP fest an der Seite der Ausbau-Befürworter*innen, trotzdem suchte man das Gespräch mit den Aktivist*innen.

Die hessische Grünen-Landtagsfraktion hat den „Danni“ bis heute nicht besucht. Mit den nun beginnenden Rodungs- und Räumungseinsätzen, dürfte es dafür zu spät sein. Stattdessen besuchten der grüne Fraktionsvorsitzende Matthias Wagner und einige regionale Landtagsabgeordnete die grüne Basis in der Region, um für den landespolitischen Dreiklang der Grünen beim Autobahnausbau - prinzipiell dagegen sein, die Entscheidung aber akzeptieren und bei Fragen auf den Bund zu verweisen – zu werben. Bei der grünen Basis, die teilweise vor Ort seit Jahrzehnten gegen Ausbau der A49 kämpft, sorgte dieser Versuch für großes Unverständnis.

Seit dem Beginn der Räumungs- und Rodungsarbeiten wird der Polizeieinsatz im „Danni“ täglich von Parlamentarischen Beobachter*innen begleitet. Diese speisen sich zum größten Teil aus Bundes- und Landtagsabgeordneten der Linken. Auch einige wenige Bundestagsabgeordnete der Grünen, die ihre Wahlkreise in der Region haben, sind dabei. Die hessischen Grünen-Abgeordneten bleiben dem Wald jedoch weiterhin fern.

Den Aktivist*innen und Aktiven der Bürger*inneninitiativen fällt das durchaus auf. „Wo sind die Grünen?“ heißt es im persönlichen Gespräch vor Ort immer wieder. Und: „Ohne unsere Unterstützung aus der Klimagerechtigkeitsbewegung wären die nichts. Also, warum unterstützen die uns jetzt nicht?“

Es ist also vor allem der Politikstil, der zu einer Entfremdung der Aktivist*innen von den hessischen Grünen geführt hat. Die Grünen regieren in Hessen weitgehend staatstragend, sind de facto Staatspartei geworden. Sie wollen die Verhältnisse nicht mehr ändern sondern den Status Quo verteidigen – gegen die Gefahr einer neuen und antimodernistischen Rechten. Radikale Bewegungen, wie die Waldbesetzer*innen im „Danni“, stören da nur.

Das grüne Politikverständnis in Hessen beschränkt sich auf die Bühne des Parlaments. Dort werden Anträge gestellt und dadurch politische Entscheidungen getroffen. Das Verständnis für radikale Formen der politischen Praxis, für politische Symbole, die auf den gesellschaftlichen Diskurs einwirken und für die Bedeutung von zivilgesellschaftlichen Bewegungen für den sozialen und ökologischen Fortschritt, ist weitgehend verloren gegangen. Daher auch der immer wiederkehrende Verweis auf den scheinbar wirkungslosen „Schaufensterantrag“ der Linken im Landtag und den eigenen Antrag im Bundestag.

Oftmals kommt aber in der gesellschaftlichen Debatte nicht an, wer wann und wo welchen Antrag gestellt hat und welches das formal-korrekte Verfahren für oder gegen eine Entscheidung ist. Politik in medialen Massendemokratien vermittelt sich ganz häufig über symbolische Handlungen und Bilder. Diese beeinflussen gesellschaftliche Debatten und können politische Veränderung erzeugen, sie können Hoffnung schaffen. Wie das gelingen kann, zeigt nicht nur der Kampf um den Hammbacher Forst, der den Kohleausstieg in Deutschland massiv beschleunigt hat.

Aber keine grüne Minister*in klettert im „Danni“ in ein Baumhaus oder spricht mit den Aktivist*innen. Keine prominente Grüne nimmt bisher als Parlamentarische Beobachter*in an den Räumungen teil, wirkt deeskalativ und verhandelt mit der Polizei über die Freilassungen von festgenommenen Aktivist*innen. Keine prominente Grüne steht solidarisch an der Seite der Bewegung und verhilft dazu, den Druck auf die Bundesregierung zu vergrößern.

Stattdessen erklärt ein grüner Verkehrsminister, dass eine politische Entscheidung, die vor gut 50 Jahren getroffen wurde, nun unumstößlich und der Kampf damit verloren sei, während die hessische CDU fröhlich verkündet, dass bei den Grünen endlich verkehrspolitische Vernunft eingekehrt sei. Durch ihre Rolle im Kampf um den Dannenröder Wald schaffen die hessischen Grünen keine Hoffnung. Sie nehmen Hoffnung und ziehen sich argumentativ hinter scheinbare Sachzwänge zurück.

Und so kommt in der Klimagerechtigkeitsbewegung vor allem an, dass die Grünen im Hessischen Landtag gegen den Baustopp der A49 gestimmt haben und ihre Ideale damit dem Willen der Koalitionspartnerin untergeordnet haben. Der pure Machterhalt sei wichtiger als die Rettung des Klimas.

Oder wie es ein Aktivist im persönlichen Gespräch resigniert ausdrückte: „Wenn es denn stimmt, dass der Antrag der Linken eh nichts hätte ändern können, dann hätten die Grünen doch auch dafür stimmen können. Realpolitisch wäre also nichts passiert und die CDU hätte keinen Grund für Unmut. Für uns wäre es aber ein wichtiges Zeichen der Solidarität gewesen. Scheinbar war den Grünen der Koalitionsfrieden aber wichtiger.“ Deutlicher hat es die Grüne Jugend in einem Tweet als Reaktion auf eine Pressemitteilung ausgedrückt, mit der die hessischen Grünen ihre Haltung zur A49 ausdrückten: „Liebe Grüne Hessen, leider habt ihr ‚Wir sind auf eurer Seite und tun alles, um die Räumung zu verhindern und den Wald zu retten‘ schon wieder falsch geschrieben."

Was bleibt, ist für viele Aktivist*innen also das Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein. Und dieses Gefühl wiegt deutlich schwerer als das tatsächliche Durchsetzungsvermögen eines Landes-Verkehrsministers im Kampf gegen eine Bundesautobahn.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tim Dreyer

Bloggt zu den Themen Politische Ökonomie, Antifaschismus und hessische Landespolitik

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