Esther Hayut: Die Präsidentin von Israels Oberstem Gericht und die Justizreform
Porträt Esther Hayut ist die Präsidentin von Israels Oberstem Gericht. Sie muss nun über das erste Gesetz von Benjamin Netanjahus Justizreform befinden. Dabei geht es um nicht weniger als das Wesen des Staates
In einigen Fällen stimmte Esther Hayut einer Ernennung von Ministern mit Vorstrafen zu – in anderen tat sie das nicht.
Foto: Ariel Schalit/AP/dpa
Als Esther Hayut 2017 das Amt der Vorsitzenden Richterin am Obersten Gerichtshof übernahm, versprach sie mit Nachdruck, sie wolle die Justiz des Landes vor politisch motivierten Versuchen schützen, deren Rechte zu untergraben und dadurch zu schwächen. „Es ist Ausdruck einer richtig angewandten Rechtsstaatlichkeit, dass sie als Klebstoff dient, um unsere Nation zusammenzuhalten. Ich bete, dass unser Justizsystem nicht zusammenbricht“, sagte sie vor Zuhörern, zu denen auch Benjamin Netanjahu gehörte – seinerzeit und heute wieder Premierminister.
Regierung Netanjahu gegen Obersten Gerichtshof
Esther Hayut, Kind von Holocaust-Überlebenden, war seit ihrer Jugend so etwas wie ein Popstar. Zusammen mit Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara w
ust-Überlebenden, war seit ihrer Jugend so etwas wie ein Popstar. Zusammen mit Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara wäre sie eine Kandidatin, würde nach denen gefragt, die das liberale Israel verkörpern. Acht Monate nach Beginn einer existenziellen Krise, ausgelöst durch die Justizreform der derzeitigen Regierung, sehen das Hayuts Anhänger kaum anders als ihre Kritiker. „Ich sehe, wie mutig Esther Hayut ist. Sie weiß, dass wir uns in einer ungewöhnlichen Lage befinden, und ist trotzdem bereit, sich zu äußern“, sagte ein einstiger Justizminister, der anonym bleiben möchte. „Sie teilt die Werte, die Israel bisher definiert haben.“Die Regierung Netanjahu erklärt, ihre Justizreform sei geboten, um einen nicht gewählten und voreingenommenen Obersten Gerichtshof einzudämmen. Der sich dagegen artikulierende Protest sieht darin eine Abkehr von der Demokratie. Bisher wurde nur ein Element der Reform zum Gesetz erhoben: die Abschaffung der „Angemessenheitsklausel“, die es dem Obersten Gericht erlaubt, Regierungsentscheidungen außer Kraft zu setzen. Seit die Obersten Richter mit Anhörungen zu dieser Restriktion begonnen haben, ist eine paradoxe Situation eingetreten: Die höchsten Juristen des Landes sitzen zusammen, um darüber zu befinden, ob sie ihre Befugnisse einschränken. Damit steht auch Hayuts Vermächtnis auf dem Spiel, bevor sie Mitte Oktober 70 Jahre alt wird und in den Ruhestand geht.Geboren wurde sie 1953 in einem Ma’abarot, einem Durchgangscamp, wie sie Anfang der 1950er-Jahre in Israel für Einwanderer errichtet wurden. Ihre Eltern waren Rumänen, die dem Holocaust nicht entkamen, aber ihn überlebten – die Mutter deportiert nach Transnistrien, der Vater im Lager Auschwitz. Sie ließen sich scheiden, als Esther Hayut noch ein kleines Kind war, sodass sie bei den Großeltern mütterlicherseits aufwuchs.Mit 18 Jahren, während ihres Militärdienstes, wurde sie als Sängerin in einer Band des Zentralkommandos der Streitkräfte landesweit bekannt. In den 1960er- und 70er-Jahren erfreuten sich diese Musikgruppen großer Beliebtheit und dienten als Sprungbrett für junge Frauen und Männer, die später berühmte Künstler wurden.Eingebetteter MedieninhaltWeggefährten aus dieser Zeit erinnern sich an Hayut als charmant, diszipliniert und klug. „Schon damals wollte sie Anwältin werden und strebte danach, Richterin zu sein“, sagte die Sängerin Dorit Reuveni 2017 gegenüber der Website Ynet.Kollektivstrafen gegen PalästinenserNachdem Hayut ihr Jurastudium an der Universität Tel Aviv abgeschlossen hatte, eröffnete sie eine Kanzlei, wurde 1990 Richterin und schaffte es 2004 ans Oberste Gericht. Da sich in diesem Gremium eine Präsidentschaft nach dem Dienstalter richtet, wurde sie 2017 auf dieses Mandat vereidigt. Wie das New Yorker Onlinemagazin Tablet vermerkt, hat es Hayut zu ihrer Maxime erhoben, sich stets auf einem schmalen Grat zu bewegen. Sie stand für Unterprivilegierte und befürwortete strengere Gesetze zum Schutz ausländischer Arbeitskräfte, doch blieb sie immer der nationalen Sicherheit verpflichtet. In ihren Entscheidungen zitierte sie oft Gedichte.Die Palästinenser haderten mit Hayut, als diese 2014 bekannt gab, es sei gerechtfertigt, die Häuser von Palästinensern zu zerstören, die Terroranschläge verübt hätten. Die internationale Rechtsprechung lehnt ein solches Verfahren als Kollektivstrafe ab. Zugleich war Hayut Teil der Mehrheitsmeinung, die das Tal-Gesetz für ungültig erklärte, das ultraorthodoxe Jeschiwa-Studenten vom Militärdienst befreite. In einigen Fällen stimmte sie der Ernennung von Ministern mit Vorstrafen zu, in anderen tat sie das nicht.Für die Anhörungen zur „Angemessenheitsklausel“ bestellte Hayut alle der 15 Obersten Richter ein, keiner durfte fehlen. Offenkundig war ihr daran gelegen, eine Entscheidung zu fällen, die von einigem Gewicht ist. Dabei scheint Hayuts Position klar zu sein. In einer flammenden, geradezu exemplarischen Ansprache hat sie bereits im Januar verdeutlicht, dass die Justizreform „die Unabhängigkeit der Justiz tödlich untergraben und der Knesset einen Blankoscheck geben würde, jedes Gesetz zu verabschieden, das ihr gefällt, selbst unter Verletzung grundlegender Bürgerrechte“. Hayut wandte sich besonders an die Vertreter der Regierung: „Sie glauben, dass die Pflicht zum vernünftigen Handeln beim Kabinett und seinen Ministern liegt, aber wer stellt sicher, dass sie dieser Pflicht Genüge tun?“
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