Auf einer Behelfsbühne im Cat Café in Mumbai sitzt Stand-up-Comedian Manaal Patil auf einem Holzstuhl und genießt ein dankbares Publikum. In seinem grüngestreiften T-Shirt erntet er viel Gelächter, als er Indiens Kastensystem aufs Korn nimmt. Er selbst gehört zu den Dalits, den „Unberührbaren“ am unteren Ende der hinduistischen Hierarchie, wo das moderne Indien viel Ausgrenzung und Armut bereithält. In ländlichen wie urbanen Regionen bekommen Dalits normalerweise nur niedere Jobs. Obwohl die „Unberührbarkeit“ in der indischen Verfassung offiziell verboten ist, arbeiten viele als Müllmänner oder reinigen Abwasserkanäle. Viele Inder aus höheren Kasten fühlen sich ihnen allein deshalb überl
Die Unberührbaren drehen am Rad: Dalit-Comedians attackieren das Kastensystem
Indien Die Zahl der Dalit-Kabarettisten steigt, ihre Programme, in denen sie das Kastensystem in Indien attackieren, kommen zusehends besser an. Inspiration holen sie sich von schwarzen US-Komikern, die den Rassismus anprangern
Asma Hafiz, Kamran Yousuf
|
The Guardian

Manjeet Sarkar (links), Ankur Tangade (Mitte) und Manaal Patil (rechts)
Collage: Natalia Alicja Dziwisch für der Freitag
erlegen. Auf der Bühne erzählt Patil eine Geschichte, die er selbst erlebt hat. „Wenn Sie mir nicht glauben, dürfen Sie mich berühren”, sagt er. „Versprochen!“ Heiliges WasserDas Publikum, hauptsächlich aus höheren Kasten, jubelt Zustimmung. In Indien wird durch Quotenregelungen – umgangssprachlich „Reservierungssystem“ genannt – fast die Hälfte der Plätze in Bildungsinstituten und staatlichen Stellen für Angehörige benachteiligter Kasten vorgehalten. Ein sensibles Thema, manche aus den oberen Kasten lehnen diese Praxis ab. Man sieht eigene Chancen beschnitten.Auch die Comedy-Szene wird von Brahmanen (oberste Kaste) dominiert, die sich auf kulturelle Stereotypen stützen, um Lacher zu ernten. Ihre Witze können voller Rassismus und mit Kastendenken gepfeffert sein. Im Vorjahr musste sich ein Komiker auf Twitter für einen sexistischen Gag entschuldigen. „Diese Leute sticheln gegen die Dalit-Community, indem sie sich über die Quotenregelung oder über Berufe lustig machen, die Dalits ausüben“, erzählt Patil. Derzeit entstehe eine kleine, aber aktive Community von Dalit-Comedians, die den Spieß umdrehen, wenn es darum geht, auf wessen Kosten gelacht wird.Wegen der Inhalte ihrer Shows bleiben Dalit-Comedians Mainstream-Plattformen verwehrt. Sie sind auf private Auftritte angewiesen, häufig in größeren Städten wie Delhi, Bengaluru oder Mumbai, und verdienen nicht viel. Die meisten brauchen den zweiten Job, um über die Runden zu kommen und materiell abzusichern, dass sie weiter auf der Bühne stehen .Der 25-jährige Manjeet Sarkar lugt durch ein Glasfenster im Supertalks Comedy Studio in Delhi. „Ich habe nicht mit Comedy angefangen, weil ich denke, dass ich dadurch eine Revolution herbeiführen würde. Ich erzähle einfach meine Geschichte.“ Sarkar stammt aus dem Bezirk Bastar im Staat Chhattisgarh in Ostindien, einem Stammesgebiet, in dem sich maoistische Guerillakämpfer, die als Naxaliten bekannt sind, und der indische Staat bekriegen. Laut Sarkar schaffen es die dabei verübten Gräueltaten selten in die Nachrichten, weil Inder aus den oberen Kasten glauben, Dalits bekämen, was sie verdienten. Der junge Mann ist erst der zweite Bewohner seines Dorfes, der eine höhere Bildung genossen hat. Er verließ den Ort vor sechs Jahren, um in Mumbai Komiker zu werden. Gleichzeitig arbeitet er als Werbetexter, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. „Ich spreche über meine Realität, wie das nur ich tun kann.“ Während seiner Show erzählt er davon, was ihm passiert ist, als er Wasser aus einer öffentlichen Handpumpe trank. Eine Frau aus einer höheren Kaste habe daraufhin „Gangajal“, heiliges Wasser aus dem Ganges, geholt, um die Pumpe zu reinigen. „Um ihr das heimzuzahlen, berührte ich auch noch das Gangajal selbst. Ich wurde wütend, als mir bewusst wurde, dass diese Praktiken als etwas Normales gelten.“ Wenn Sarkar Witze über das Kastensystem macht, muss er in der Regel feststellen, dass die meisten Leute im Publikum höheren Kasten angehören. „Vielleicht werden sie von dem geplagt, was man ‚Höhere-Kasten-Schuldgefühle‘ nennt.“Sarkar tourt mit seiner Show „Unberührbare“ durchs Land. Er thematisiert die Diskriminierung, der er als Kind ausgesetzt war, und die Erfahrung, in einer konfliktgeplagten Region aufgewachsen zu sein. Ihm sei manchmal unwohl dabei, über bestimmte Themen zu sprechen, selbst wenn er sie pointiert darzubieten versuche. Für seine Arbeit holt er sich häufig die Inspiration von schwarzen US-Komikern, die den Rassismus lautstark anprangern. Im College hat er Englisch gelernt und kann sich so regelmäßig die Shows des afroamerikanischen Comedians Patrice O’Neal anschauen. „Wenn schwarze Comedy etwas aussagen kann, dann Dalit-Comedy genauso.“Drei Wochen HaftDer ebenfalls 25-jährige Manaal Patil begann 2015 damit, als Comedian aufzutreten. Als er sich für die Universität bewarb, erfuhr er davon, dass es eine Quote für die Studienzulassung benachteiligter Gruppen und „rückständiger Schichten“ gab. Dank dieser Regelung studierte Patil schließlich Werbung. „Die Erfahrung, dass es für uns Quoten gibt, was die meisten Leute aus den höheren Kasten aufbringt, war der Anstoß zu einem Dreißig-Sekunden-Witz“, erinnert er sich. „Mit den Jahren wurden es dann Darbietungen von bis zu 20 Minuten, nach und nach begann ich Dalit-Witze zu erzählen.“ Patil probierte sich bei Open-Air-Sessions in Mumbai aus und bemerkte, dass seine Zuschauer größtenteils über das verfügten, was man in Indien eine „englische Bildung“ nennt. Freunde warnten ihn, er werde keine berufliche Zukunft haben, wenn er Witze über das Kastensystem in sein Programm aufnehme. „Es gibt eben Hürden, wenn man sich in Indien einen Namen als Komiker machen will“, so Patil. „Über die Probleme zu reden, mit denen man als Dalit zu kämpfen hat, scheint eine davon zu sein.“Placeholder infobox-1Im Februar 2022 organisierte er eine Comedy-Show nur mit Dalit-Comedians unter dem Titel Blue Material. Die Farbe Blau beschwor den Widerstand der Dalit-Community. Ziel der Show war es, unterrepräsentierte Komiker dabei zu unterstützen, Zugang zu einem größeren Publikum zu erhalten.Tatsächlich steigt mittlerweile die Zahl der Dalit-Comedians. An Blue Material sind sieben beteiligt und ihr erster Auftritt in Mumbai, im Café Dorangos, war ein Erfolg. „Bis dahin mussten wir für unsere Auftrittszeiten bezahlen, weil niemand uns groß Zeit auf der Bühne geben wollte. Wir bekamen höchstens fünf Minuten“, erzählt Palit. „Wir hofften, dass eine Show zum Oberthema ‚Dalit‘ jedem von uns 30 Minuten bringen würde. Und es war so.“Im vergangenen Sommer sollte es für Blue Material einen Auftritt in Goa geben. Der Veranstalter wollte zuvor einen Videoclip des Programms sehen. Nachdem Patil den geschickt hatte, kam per Mail die Absage. Die Gruppe sei wegen ihrer Inhalte nicht willkommen. „Unser Humor sieht die Welt durch die Linse des Kastensystems. Wir prangern die Diskriminierung an, der wir ausgesetzt sind. Was die meisten Komiker tun, nennt man im Englischen Punching down (Niederschmettern – die Red.). Komiker aus höheren Kasten machen Witze über uns. Wenn wir uns revanchieren, passt das nicht jedem“, sagt Patil.Ankur Tangade aus der Stadt Beed im Staat Maharashtra ist Standup-Comedian und Aktivistin für eine gerechtere Gesellschaft. Als sie Ende 2018 aufzutreten begann, hielt sie sich mit Scherzen über Kasten und die Religion zurück, weil sie meinte, das Publikum würde das nicht mögen. „Ich dachte, wenn ich damit übertreibe, würde das niemand verstehen“, erinnert sie sich. Aber sie hätte nie gedacht, dass ihre Identität ihr eines Tages im Weg stehen könnte. „Ich hatte geglaubte, das Talent gehört in keine Kaste.“ Die Vorstellung, als Dalit keine Chance zu bekommen, empörte sie. Ihr wurde klar – über ein Engagement auf großen Bühnen entscheiden noch immer die Komiker aus den oberen Kasten.Bei Auftritten in Unternehmen dürfe man die Religion oder andere sensible Themen nicht ansprechen, sagt Tangade. Sie erinnert an den Fall eines muslimischen Comedians, der nach einem Auftritt drei Wochen in Haft saß. Ihm wurde vorgeworfen, hinduistische Gefühle verletzt zu haben. Seine weiteren Auftritte wurden abgesagt. Ihr sei es passiert, erzählt die junge Komikerin, dass Zuschauer auf sie zukamen und ihr bedeutet hätten: „Die Welt hat sich verändert. Warum sprichst du über diese Dinge? Ich frage mich, wenn das so ist, weshalb gibt es dann einen alarmierenden Anstieg von Hassverbrechen gegen Dalits?“ Bevor sie sich in ihren Show-Auftritten als Dalit zu erkennen gab, outete sich Tangade als queer. Sie begann mit queeren Inhalten zu experimentieren. Nach und nach fügte sie Episoden ein, um zu zeigen, wie man im modernen Indien als Dalit aufwächst.„Alle sollten kommen und hören, was wir zu sagen haben. Auch wenn sie nicht zustimmen, können sie zuhören. Vor Kurzem wollte mich ein Freund gemeinsam mit seiner Mutter besuchen. Er warnte mich davor, dass sie nichts aus unseren Tassen trinken würde. Ich fragte ihn, ob es damit zu tun habe, dass wir Dalits sind. Sein Tonfall wurde defensiv und er nannte als Grund, dass wir keine Vegetarier seien. Als ob wir Fleisch aus unseren Tassen essen würden! Wer sagt, die Kasten seien Indiens Vergangenheit, der leugnet die Tatsachen.“Placeholder authorbio-1