Indien: Wie Bollywood die Propaganda für Narendra Modis Wahlkampf liefert
Delhi Vom 19. April an wählt Indien ein neues Parlament. Der hindu-nationalistische Premier Narendra Modi will ein drittes Mandat als Regierungschef. Helfen sollen ihm regierungsfreundliche Kinofilme aus Bollywood
Der Schauspieler Arun Govil als Premierminister Narendra Modi im Film „Article 370“
Foto: Jio Studios/Everett Collection/Imago Images
Es sind Filmwerke, die den Anspruch erheben, die „wahre Geschichte“ Indiens zu erzählen und den Blick auf „das Übel von Linken und Intellektuellen“ zu richten. Sogar der Freiheits- und Unabhängigkeitskämpfer Mahatma Gandhi entgeht der Exkommunizierung nicht. Während Premier Narendra Modi und seine Bharatiya-Janata-Partei (BJP) bei den Wahlen, die am 19. April beginnen und sechs Wochen dauern, eine dritte Amtszeit anstreben, hat Produzenten in der Filmfabrik Bollywood eine fieberhafte, regierungsfreundliche Dynamik erfasst. Die Grenzen zwischen Unterhaltung und politischer Ambition werden nicht nur verwischt – sie sind erkennbar aufgehoben.
2019 stoppte die Wahlkommission ein Modi-Biopic
Fast ein Dutzend neue Filme, die den Regierungschef
mmission ein Modi-BiopicFast ein Dutzend neue Filme, die den Regierungschef und seine hindu-nationalistische Politik sowie Ideologie promoten, kommen gerade in die Kinos oder werden in den nächsten Wochen anlaufen. Filmkritiker und Analysten werfen mehreren Titeln vor, islamfeindliche Narrative zu verbreiten, auf mutmaßlich antimuslimische Verschwörungen abzuheben und auf „urbane Naxals“ zu zielen – ein abfälliger Terminus, um linke Aktivisten und Intellektuelle zu stigmatisieren. Produzenten und Regisseure haben zumindest Bedenken geäußert, dass Filme dazu genutzt werden könnten, Indien entlang religiöser Grenzen noch mehr zu spalten. Ein von einem BJP-Abgeordneten produzierter Streifen ist mit seinem Verriss muslimischen Lebens derart hetzerisch geraten, dass ein Gerichtsverfahren eingeleitet ist, um die Veröffentlichung zu verhindern. So erinnert die Flut an regierungsfreundlichen Filmen an die Zeit vor der Wahl 2019, als ein Biopic über Modi als konformistisch und verherrlichend eingestuft wurde, woraufhin die Nationale Wahlkommission einen Kinostart vor dem Urnengang stoppte.Sayandeb Chowdhury, Literaturprofessor an der Krea University in Chennai am Golf von Bengalen, hat viel über das indische Kino publiziert. Er beschreibt solche Produktionen als „dreiste Propaganda, die absichtlich Wunden und Bruchlinien schafft, um der politischen Agenda einer Regierung zu dienen“. Man müsse darauf hinweisen, dass Modi und seine Minister bei ihren Wahlkampfauftritten auf diese Filme Bezug nähmen. „Kino ist zu einer Form der politischen Mobilisierung geworden“, so Sayandeb Chowdhury.Eines der prominentesten Werke, das bald sein Publikum finden soll, hat den Charakter einer Biografie über Vinayak Damodar Savarkar, einen spalterisch veranlagten hindu-nationalistischen Führer und Aktivisten, der einst gegen die britische Kolonialherrschaft kämpfte. Seine Schriften befürworteten Gewalt gegen Muslime und brachten Sympathien für den deutschen NS-Staat und italienischen Faschismus zum Ausdruck. In diese Reihe subtiler Bekenntnisse gehört der Streifen Article 370, der vergangenen Monat angelaufen ist und unverfroren feiert, dass Narendra Modi Kaschmir als mehrheitlich muslimischer Region die Eigenständigkeit entzogen hat, obwohl die seit 1947 verbrieft ist. Zugleich wird der Premier als Figur hofiert, die eine künftige Weltmacht vor Gewalt und Korruption rettet. Modi selbst lobte den Film, während Kritiker ihn als „sachlich falsch“ bezeichneten.Eingebetteter MedieninhaltEin weiteres Opus attackiert die Jawaharlal-Nehru-Universität in Delhi. 2012 durch das National Assessment and Accreditation Council als beste staatliche Universität des Landes ausgezeichnet, gilt sie als Institution, die linken Denkschulen Raum gibt. Der Film Jahangir National University, der noch im April uraufgeführt werden soll, erzählt nun die Geschichte eines Campus, auf dem die Liebe zum Dschihad gepflegt wird, und „entlarvt“ eine Verschwörung, mit der „urbane Naxals“ versuchen, das Land zu unterwandern und zu spalten.Kino als Waffe, um in Indien Zwietracht zu säenProfessor Chowdhury kommt zu dem Urteil, dass diese Werke für einen Trend in Bollywood stehen, bei dem die nationale Filmindustrie mit den Jahren von Modis Herrschaft aggressiv vereinnahmt worden sei, obwohl sie historisch gesehen lange unpolitisch blieb. Er beklagt, dass Bollywood, das für eine lange Zeit Menschen über religiöse und kulturelle Unterschiede hinweg geeint habe, nun als politische Waffe missbraucht werde, um Zwietracht zu säen. „Wenn das Kino selbst zu einem Werkzeug der Spaltung wird, besteht die Gefahr, dass eines der geschätzten und verbindenden Symbole Indiens für immer verloren geht.“ Während nunmehr häufiger Filme laufen, die das Narrativ der regierenden BJP propagieren, sehen sich zugleich Streaming-Plattformen wie Netflix und Amazon mit der Aufforderung konfrontiert, Serien zu entfernen, weil sie als regierungskritisch gelten.Chowdhury glaubt, der Wendepunkt sei The Kashmir Files von 2022 gewesen, als die angeblich wahre Geschichte der Vertreibung von Hindus aus der Region geschildert wurde. Trotz des Vorwurfs, es handele sich um eine polarisierende Verzerrung der Geschichte, wurde es der Blockbuster-Hit des Jahres.Eingebetteter MedieninhaltDer Erfolg führte zu ähnlichen Filmen, die sich auf ein bestimmtes Geschichtsbild berufen und dabei größtenteils einer Dämonisierung von Muslimen verfielen. Sie waren ein Zeichen für das Anliegen der BJP, die Vergangenheit Indiens umzuschreiben. Jüngstes Beispiel ist Razakar. The Silent Genocide of Hyderabad. Dem Filmepos wird – gleichfalls vor Gericht – angelastet, islamfeindlich zu sein. Ein muslimischer Führer werde verzerrt dargestellt. Wie bei The Kashmir Files insistiert der Produzent, der Streifen sei zu „hundert Prozent korrekt“, nichts daran kommerziell intendiert.Raja Sen, Filmkritiker und Bollywood-Drehbuchautor, meinte gegenüber der Agentur Associated Press, viele Filmemacher würden auf den Zug springen und das Potenzial für Kassenerfolge erkennen, wenn polarisierende Werke öffentliche Debatten auslösten. „Das Erschreckende daran ist, dass diese Filme jetzt akzeptiert werden. Es ist wirklich beängstigend.“Placeholder authorbio-1
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