Denis Nikitin: Der russische Rechtsextremist, der für die Ukraine kämpft
Krieg Nazi mit Hooligan-Vergangenheit, perfektem Englisch und eigenem Modelabel: Der Russe Denis Nikitin kämpft auf Seiten der Ukraine gegen den Kreml und greift dafür russisches Staatsgebiet an. Ein Treffen in Kiew
Denis Nikitin mit seinen zwei Bodyguards in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, wo der er seit 2017 lebt.
Foto: Alessio Mamo/Guardian/Eyevine/Laif
Zum vereinbarten Interview in einem Kiewer Restaurant erscheint Denis Nikitin mit umgeschnallter Pistole und flankiert von zwei Leibwächtern. Natürlich, es herrscht Krieg – also kein überraschender Anblick, wäre da nicht eine ganze Kleinigkeit: Nikitin ist Russe und als notorischer russischer Nationalist bekannt. Er vernetzte rechtsextreme Gruppen in ganz Europa und war eine der zentralen Figuren unter Russlands Fußballhooligans. Bei unserer Begegnung ist er komplett in Schwarz gekleidet und unter steter Beobachtung seiner Leibwächter.
zu Jahresanfang mehrere grenzüberschreitende Angriffe vorantrieb. Dabei wurden kurzzeitig Ortschaften in Russland eingenommen, bevor der Rückzug in die Ukraine anstand. Die Vorstöße – festgehalten in chaotischen Videos, die überall kursieren – verschafften Kiew einen enormen PR-Schub. Sie zeigten, dass die russische Armee anfällig ist für Partisanenaktionen.Nikitin hat ein Modelabel: „White Rex“Die ukrainischen Behörden haben bereits angedeutet, dass nach einem Sieg und dem Zusammenbruch des Putin-Systems das RDK und ähnliche paramilitärische Einheiten Teil einer pro-ukrainischen Armee werden könnten, die nach Russland einmarschiert, um die permanente Kontrolle über ganze Regionen zu übernehmen. Eine erstaunliche Perspektive, wenn man an die rechtsextremen Ansichten Nikitins denkt, der seit 2019 nicht mehr in die Schengen-Zone einreisen darf und im Ruf steht, einer der berüchtigtsten europäischen Neonazis zu sein. Nikitin wird „White Rex“ genannt und verfügt über ein Modelabel gleichen Namens, das sich einer offen rechtsradikalen Symbolsprache bedient.Seit 2017 lebt er in Kiew. Ein Jahr zuvor waren er und andere russische Hooligans in Marseille an gewalttätigen Zusammenstößen mit englischen Fußballfans beteiligt. Von der ukrainischen Hauptstadt aus organisierte Nikitin eine Reihe von Mixed-Martial-Arts-Wettkämpfen, zu denen er rechtsextreme Aktivisten aus ganz Europa einlud. Er sei zuletzt immer mehr zum Anti-Kreml-Mann geworden, erklärt Nikitin im Gespräch. „Uns wurde klar, dass Migranten nicht das schlimmste Übel sind. Unser Staat ist der Feind.“Angriff auf RusslandZur ersten Operation gegen Russland kam es Anfang März. „Es war ein berauschendes Gefühl, als wir zum ersten Mal die Grenze überschritten. Unser Vaterland war jetzt das Land des Feindes.“ Alle seine Kämpfer hätten „eine Handgranate als letzten Ausweg“ dabei. Für den Fall einer Gefangennahme gingen sie davon aus, dass Folter oder Schlimmeres zu erwarten seien.Nikitin spricht ein perfektes Englisch und genießt es sichtlich, im Rampenlicht zu stehen. Sein joviales Auftreten kann sich freilich schnell ändern. Einen deutschen Journalisten, der Verwandte Nikitins aufspürte, um sie über die Vergangenheit des Warlords zu befragen, werde er „eines Tages für seine Arbeit bezahlen lassen“, kündigt Nikitin an. Ohnehin würden die Medien übertreiben, um ihn berüchtigter wirken zu lassen als er sei. „Neonazi“ nenne man ihn nur, weil er gegen „LGBTQ-Propaganda und Cultural Marxism“ sei (ein Schlagwort der Rechten für die vermeintliche Gefahr einer Verschwörung von Linken).Mit Panzerfahrzeugen aus den USA„Völkermord und Gaskammern sind schlecht, egal, wer das macht.“ Aber am Dritten Reich gebe es auch viel zu bewundern. „Ich mag die Kultur und den Stil sehr.“ Das von Nikitin für das Treffen ausgesuchte Lokal, in dem junge Leute aus Kiew koreanische Lunch-Menüs bestellen, wirkt als Ort wenig passend für unser Gespräch. Während er über das Dritte Reich spricht, diskutieren am Nebentisch zwei skandinavische Diplomaten über demokratische Institutionen und Minderheitenrechte in der Ukraine. Auch unterbricht Nikitin die Unterhaltung, um mit einer Frau zu sprechen, die gekommen ist, weil sie ihn hier treffen kann. Es handle sich um die Schwester eines seiner Kämpfer, der während eines Einsatzes in Russland gefallen sei, so Nikitin. Eingewickelt in eine Plastiktüte überreichte er ihr eine ukrainische Medaille.Offizielle Stellen in Kiew leugnen direkte Verbindungen zum RDK und anderen russischen Kampfgruppen. Aber das ist eher eine Parodie auf Russlands langjährige Behauptung, nicht hinter den Separatisten in der Ostukraine zu stehen. Es ist schließlich wenig plausibel, dass man bewaffneten Gruppen von Russen zugesteht, im Land unkontrolliert und ohne Order unterwegs zu sein, zumal bei Vorstößen auf russischem Territorium von den USA gelieferte gepanzerte Fahrzeuge eingesetzt waren. Wie Nikitin freimütig berichtet, könne sein Korps „auf ukrainische Geheimdienstarbeit und militärische Infrastruktur zurückgreifen“, solange man sich in der Ukraine befinde. Sobald die Grenze nach Russland überschritten werde, sei man dagegen auf sich allein gestellt.Westliche Regierungen sollen Druck auf die Regierung Selenskyj ausüben, damit sie sicherstellt, dass ihre Militärgüter nicht für Angriffe gegen russisches Territorium genutzt werden oder in die Hände des RDK gelangen. Eine dem ukrainischen Geheimdienst nahestehende Quelle äußert sich dazu wie folgt: „Ich weiß, dass unsere westlichen Partner äußerst unglücklich sind, wenn wir diesen Leuten Waffen geben. Aber wir befinden uns in einer existenziellen Kriegssituation. Es ist bedauerlich, dass sie diese Ansichten haben, aber was sollen wir tun? Offensichtlich sind sie die einzigen, die eine Kalaschnikow in die Hand nehmen und über die Grenze nach Russland gehen.“Kontrolle im Russland nach PutinSelbstredend besteht die Gefahr, dass Kiew durch die Unterstützung des RDK russischer Propaganda in die Hände spielt, wonach die Ukraine ein Hafen für Nazis sei. Daran ändert auch wenig, dass Nikitins Gefolgschaft nur einen Bruchteil der ukrainischen Kampftruppen ausmacht und es zugleich Rechtsextreme gibt, die auf russischer Seite kämpfen. Einige davon kennt Nikitin von früher aus der Hooligan-Szene. „Jetzt schicken sie mir Todesdrohungen und nennen mich Verräter. Und ich nenne sie Verräter und sage, ihr habt unsere Ideen verraten.“Ukrainische Behörden haben noch andere externe Einheiten im Köcher, etwa die Legion „Freiheit Russlands“, die gemeinsam mit dem RDK auf russischem Gebiet operiert, aber nicht als rechtsextrem gilt. Diese Kräfte könnten, glaubt man in Kiew, eine wichtige Rolle in einem Russland nach Putin spielen. Sollte das jetzige Machtgerüst kollabieren, werde sich zeigen, „dass es draußen viele Privatarmeen gibt, die versuchen werden, die Kontrolle in verschiedenen Regionen zu übernehmen und zu halten“, zeigt sich Selenskyj-Berater Mychajlo Podoljak überzeugt. Gemessen an der Lage klingt das nach Wunschdenken. Lügendetektortest und StockschlägeSowohl das RDK als auch die Legion Freiheit Russlands weigern sich unter Verweis auf militärische Geheimhaltung, ihre Mannschaftsstärke anzugeben. Die meisten Schätzungen gehen davon aus, dass die Zahl dieser Kombattanten eher in die Hunderte als die Tausende geht. Das ergibt keine Invasionsmacht, auch wenn Nikitins Bataillone mit der Zeit wachsen sollten. Es gebe „mehrere hundert Anträge von Russen“, die für die Ukraine kämpfen wollen, meint Anastasia Sergejewa von der in Warschau ansässigen Organisation „Bürgerrat“. Ursprünglich habe man Kämpfer für das RDK rekrutiert, aber dann trennten sich die Wege, weil Teile der RDK-Ideologie „mit unseren Werten unvereinbar sind“. Inzwischen bemüht sich der „Bürgerrat“, eine weitere russische Einheit für die Ukraine zu formieren, die unter dem Label „Sibirisches Bataillon“ firmiert.Wer immer in solche Verbände will, muss sich in der Ukraine einem Lügendetektortest unterziehen. Es werden Fragen gestellt, um mögliche Verbindungen zum russischen Geheimdienst oder andere Gefährdungen zu entdecken. „Würden Sie die Ukraine verraten, sollte Ihre Familie in Russland bedroht sein?“, gehört beispielsweise zum Fragenrepertoire. Eine offizielle ukrainische Quelle lässt wissen, dass zwei Männer nach ihrer Einreise als „bekannte russische Agenten“ enttarnt worden seien und sich jetzt in Haft befänden. Nikitin glaubt, er habe eine gute Nase für Doppelagenten. Ihm helfe seine Zeit in der Fußball-Hooligan-Szene, als man auf Polizeispitzel achten musste. „Wenn am Verhalten eines Rekruten etwas auffällig ist, schreiten wir ein. Wir können ihm eine Waffe auf die Brust setzen und das Handy checken. Finden wir etwas, das nicht in Ordnung scheint, ist ein echtes Verhör fällig, und wir sehen, wie es läuft.“ Über Männer, die den Test offenbar nicht bestanden, teilt er mit: „Ich sage es mal so, sie stehen uns nicht mehr im Weg.“ Die Disziplin unter seinen Leuten werde gnadenlos durchgesetzt, er habe Stockschläge als Strafe eingeführt.
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