Republikaner Rusty Bowers zu Trumps Putschversuch: „Das ist für mich Faschismus“
USA Wer Donald Trump die Gefolgschaft verweigert, kann seine politische Karriere begraben. Das Beispiel von Rusty Bowers in Arizona ist eine deutliche Warnung
Rusty Bowers ist auf dem Weg zum Ausgang. Nach 18 Jahren als Abgeordneter in Arizona, die letzten vier als Sprecher des Repräsentantenhauses, hat ihm seine Republikanische Partei kurzerhand die Tür gewiesen. Anfang August verlor er die parteiinterne Vorentscheidung um seinen Verbleib im Landesparlament. Statt seiner nominierte die Partei einen Rivalen vom rechten Flügel, der die Gunst Donald Trumps genießt: David Farnsworth. Er fiel mit der Aussage auf, die Wahl 2020 sei Trump nicht nur gestohlen, sondern auf satanische Weise „vom Teufel“ selbst entrissen worden.
Die Trump-Anhänger in Arizona, die in diesem Staat in der Mehrheit sind, wollten sich vor allem für Bowers’ Zeugenaussage vor dem Untersuchungsausschuss zum Sturm auf das Kapitol am 6
pitol am 6. Januar 2021 rächen. Vor diesem Gremium hatte Bowers den Druck geschildert, dem er ausgesetzt war, um das Wahlergebnis in Arizona zu kippen. Für diesen Staat eine typische Geschichte, für die ganze Nation eine düstere Warnung. Parallel dazu wurde Liz Cheney, die einst drittmächtigste republikanische Politikerin im US-Kongress, aus dem Rennen um ihren Kongresssitz für Wyoming gedrängt.Rusty Bowers hatte es abgelehnt, seine Macht als Vorstand des Repräsentantenhauses zu nutzen, um sich auf ein „geheimes, in Arizona geltendes Gesetz“ zu stützen, dessen Text bis heute nicht gefunden wurde. Es hätte dem Parlament angeblich erlaubt, den Willen von 3,4 Millionen Wählern zu verwerfen, die Joe Biden zum Präsidenten gewählt hatten, und einen Wahlausgang zugunsten Trumps festzustellen. Für Bowers spiegelte das eine skurrile Geisteshaltung, die er so beschrieb: „Wenn du nicht tust, was uns gefällt, dann weg mit dir. Wir marschieren weiter und machen es selbst – das ist für mich Faschismus.“Rusty Bowers ist MormoneVon Januar 2023 an wird Bowers in Arizona kein gewählter Politiker mehr sein. Er kann jetzt seine Meinung offen sagen und macht davon Gebrauch, wenn er Telefonate mit Trump und dessen Rechtsanwalt Rudy Giuliani offen wiedergibt, als Ende 2020 die Hysterie um die „gestohlene Wahl“ kulminierte. Er erzählt von der „emotionalen Gewalt“, von der ein großer Teil der Republikaner in Arizona vereinnahmt ist. Noch mehr beunruhige ihn die tatsächliche Gefahr für die Demokratie in den USA, die von der eigenen Partei ausgehe. „Die Verfassung hängt an einem seidenen Faden. Das Verrückte ist, dass wir diejenigen sind, sie aufzugeben, um eine Wahl zu gewinnen. Mich macht das komplett sprachlos.“Er führt über die Ranch seiner Familie. „Damit Sie ein bisschen sehen, warum ich so denke, wie ich denke.“ Das Anwesen liegt 90 Autominuten östlich von Phoenix eingebettet zwischen Wüstenbergen. Die letzten acht Kilometer führen über eine sich wild windende Staubstraße. Vor einem Jahr verheerte ein Waldbrand die Gegend, zerstörte majestätische Schwarzpappeln und Ahornbäume und schickte die Flammen die Hügel hinauf. Bowers’ Kunstatelier, in dem sich einige seiner Landschaftsbilder befanden, verbrannte.Was sagt diese extrem schöne und extrem harte Landschaft über seinen politischen Charakter aus? „Nun, ich bin kein vermögender Mann. Wir sind hier gezwungen, die Dinge mit unseren eigenen Händen zu tun. Das verändert die Art und Weise, wie man mit dem Leben umgeht.“ Seine Wertvorstellungen seien vom Aufwachsen in einer konservativen republikanischen Tradition geprägt, meint der Vater von sieben Kindern, dessen Tochter Kacey vergangenes Jahr starb. „Familie, Glaube, Gemeinschaft – das ist tief in mir verwurzelt. Hier draußen auf dem Land überlebt man nicht allein.“ Der heute 69-Jährige wuchs in der Kirche des Christentums der Heiligen der letzten Tage auf, besser bekannt als Mormonen. Sein Glaube ebenso wie seine andere Leidenschaft – die Kunst; er malt und ist Bildhauer – sind überall sichtbar. Vor der Fassade des Haupthauses stehen drei gewaltige Bronzeskulpturen, um eine epische 1.770-Kilometer-Wanderung durch Amerika darzustellen, die von Mormonen in den Jahren 1846/47 unternommen wurde.Rusty Bower: „Irgendwann gerieten die Dinge aus den Fugen“Bowers identifiziert sich mit der Lebensrechtsbewegung Pro Life und hält die US-Verfassung für von Gott inspiriert. „Ich habe für Trump Wahlkampf gemacht und stand mit ihm auf der Bühne“, betont er. „Aber irgendwann gerieten die Dinge aus den Fugen. Es öffnete sich ein Spalt zwischen meinen republikanischen Werten und Trumps Hingabe an Verschwörungstheorien.“ Der daraus resultierende Konflikt habe sich nicht erst bei der Präsidentschaftswahl 2020 ergeben, sondern schon zu Beginn jenes Jahres, in den ersten Wochen der Coronapandemie. Fanatische Trump-Anhänger unter den Republikanern im Repräsentantenhaus von Arizona hätten in ihren Anti-Masken-Possen die gleiche Regelverachtung und den gleichen Hang zur Einschüchterung demonstriert, der sich später beim Wutausbruch über die „gestohlene Wahl“ zeigen sollte. „Es war wie ein Testlauf.“Im Blick auf die Präsidentenwahl am 3. November 2020 hatte Bowers für Arizona stets ein knappes Rennen erwartet. „Uns war bewusst, dass eine Bevölkerungsgruppe – Frauen zwischen 18 und 40, studiert und mit Job – nicht für Donald Trump stimmen würde“, erinnert er sich.Als klar war, dass Biden mit 10.457 Stimmen Vorsprung gewonnen hatte, überraschte das Bowers nicht. Als dann bewaffnete Trump-Anhänger vor Auszählzentren in Maricopa aufzogen, war der Tumult so groß, dass er beschloss, sich selbst einen Eindruck zu verschaffen. Er trommelte eine Gruppe von Anwälten zusammen, denen er vertraute, um mit ihnen die Auszählung unter die Lupe zu nehmen. „Ich bekam eine unglaubliche Menge an Protokollen zu sehen, die von freiwilligen Helfern – Demokraten, Republikanern und Unabhängigen – abgezeichnet waren. Ja, Republikanern, verflixt noch mal! Alles nach Vorschrift.“Zwei Wochen, nachdem Biden als Sieger feststand, erhielt Bowers am 22. November einen Anruf aus dem Weißen Haus. Am anderen Ende waren Trump und Giuliani. Nach dem Austausch von Floskeln kamen sie zum Geschäftlichen. Giuliani erklärte, sie hätten 200.000 illegale Einwanderer und 6.000 Tote gefunden, die in Arizona gewählt hätten. „Das müssen wir in Ordnung bringen“, so Giuliani, der Bowers nahelegte, einen parlamentarischen Sonderausschuss einzuberufen, um den angeblichen Betrug zu untersuchen. Bowers erinnert sich lebhaft, wie Trump und Giuliani „guter Bulle, böser Bulle“ spielten. „Trump war nicht wütend. Er drohte nicht. Er sagte nie zu mir: ‚Ich krieg dich, wenn du das nicht tust.‘ Giuliani war die Bulldogge.“ Bowers’ Antwort war höflich, aber bestimmt. Er forderte eindeutige Beweise. „Ich sagte, ich würde erst etwas tun, wenn sie mir die vorlegen. Ich machte klar, dass ich im Repräsentantenhaus von Arizona keinen Zirkus zulassen würde.“Ein Milizionär mit Waffe drohtDa zogen Trump und Giuliani ihren zweiten, noch gefährlicheren Vorschlag. Sie hätten gehört, dass es „in Arizona ein geheimes Gesetz“ gäbe, das es der von den Republikanern beherrschten Legislative unter Bowers erlauben würde, Biden-Wahlmänner rauszuwerfen und an ihrer Stelle Trump-Anhänger in den Kongress zu entsenden. Es dauerte einen Moment, bis bei Bowers der Groschen fiel. Von ihm wurde verlangt, die Wahl durch einen diktatorischen Akt zu kippen. „Ich bin kein Professor in Verfassungsrecht, aber ich verstand, was sie wollten: Dass ich die Wahl des Volkes von Arizona ignoriere. Ich sagte: ‚Moment, Moment. Fordern Sie mich gerade auf, die Wahlentscheidung der Wähler von Arizona zu kippen? Ich habe einen Eid auf die amerikanische Verfassung sowie auf die Verfassung und die Gesetze von Arizona geschworen. Welchen davon soll ich brechen?‘“Bei dieser Intervention blieb es nicht. Einmal kam der Druck aus dem Weißen Haus, dann wieder von „America-First“-Politikern aus dessen Umgebung – bis zum Vorabend des 6. Januar 2021. Da rief ihn John Eastman an, ein konservativer Juraprofessor, der Trump bei seinem versuchten Wahlcoup beriet. Eastman forderte ihn auf, den Wahlmännern „ihre Berechtigung zu entziehen“: „Machen Sie es einfach und lassen Sie die Gerichte das Ganze klären“, so Eastman. Auch diesmal war Bowers’ Antwort: „Nein.“Kurz vor dem 6. Januar wurden die Angriffe persönlich. Eine Kolonne wütender Trump-Anhänger fuhr hupend mit Make-America-Great-Again-Fahnen vor Bowers’ Haus in Mesa vor. Einige zeigten digitale Leinwände, auf denen behauptet wurde, er sei pädophil. Um seine Familie zu schützen, ging Bowers hinaus und trat den Demonstranten entgegen. Ein Mann hatte drei Balken auf der Brust, ein Hinweis auf die Mitgliedschaft in der rechtsextremen Miliz The Three Percenters. „Der Mann rief obszöne Dinge und trug eine Pistole bei sich. Ich musste so nah wie möglich an ihn heran, um mich verteidigen zu können, falls er zur Waffe greifen sollte.“ Das Schlimmste sei gewesen, dass während dieses bedrohlichen Aufruhrs seine Tochter Kacey im Haus wegen eines Leberversagens todkrank im Bett lag. „Sie fragte dann: ‚Was machen die da draußen?‘ Sie war sehr emotional und sagte zu mir: ‚Ich werde sterben.‘ Ich antwortete: ‚Liebes, du stirbst nicht.‘ Wir versuchten zu erreichen, dass sie optimistisch bleibt.“ – Kacey Bowers starb am 28. Januar, drei Wochen nach dem Sturm auf das US-Kapitol.Im Juli 2022 wurde Bowers von seinem Parteivorstand in Arizona gerügt. Die Vorstandsvorsitzende Kelli Ward erklärte, er sei „kein anständiger Republikaner mehr“. Am 2. August wurde er dann aus dem Landesparlament gekickt, als er weniger Stimmen bekam als Gegenkandidat Farnsworth. Am gleichen Tag errangen die Wahlleugner, die für politische Ämter kandidieren wollten, einen großen Sieg. Die Nominierungen für den Gouverneursposten, den Sitz im US-Senat, für das Amt des Justizministers von Arizona gingen alle an enthusiastische Handlanger Trumps. Deren Aufstieg zeugt vom Wandel in der Republikanischen Partei Arizonas. Die von Bowers verkörperte Verfassungstreue zählt nichts mehr. Schon im Februar war für den Staat ein Gesetzentwurf zur „Wahlintegrität“ eingebracht worden, ein Zeichen für den antidemokratischen Furor in der Republikanischen Partei. Das als „Vorlage 2596“ firmierende Gesetz sollte der von den Republikanern kontrollierten Legislative die Befugnis geben, jedes Wahlergebnis abzulehnen, das der parlamentarischen Mehrheit nicht passt.Bowers boykottierte den Vorstoß, indem er die Novellierung nicht nur in einem Ausschuss des Repräsentantenhauses, sondern in allen zwölf Ausschüssen behandeln und versauern ließ. „Ich versuchte, die klare Botschaft zu senden: Das ist Unsinn. Die Idee, dass die Legislative eine Wahl annullieren kann – das ist nicht konservativ, sondern faschistisch. Und ich bin kein Faschist.“Bowers bleibt optimistisch, dass die Partei eines Tages den Weg zurück aufs richtige Gleis finden wird. Darin bestärkt fühlt er sich durch viele Reaktionen auf seinen Sturz. Viele Leute seien zu ihm gekommen – im Stillen, so dass es niemand hörte – und hätten versichert, wie sie ihn bewunderten. Wahrscheinlich werde sich die Lage zunächst weiter verschlechtern, bevor es wieder aufwärts gehe. „Vorerst wird die Partei nicht mehr vom Denken bestimmt, sondern allein von Emotionen. Es geht nur noch um Rache und Wut. Es gibt nichts anderes mehr. Man glaubt manchmal, der Laden hat den Verstand verloren.“Placeholder authorbio-1
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