Saudi-Arabien, USA, Ägypten: Was der Hamas-Terror für die Nahost-Diplomatie bedeutet
Israel/Palästina Wie die Regierungen der arabischen Welt Terror und Krieg in Israel und Gaza kommentieren, wer sich dort eigentlich kein Chaos leisten kann und was Teheran verhindern will
Teheran, 7. Oktober 2023: Iranerinnen und Iraner demonstrieren für Palästina.
Foto: Fatemeh Bahrami / picture alliance / AA
Während die Zahl der Todesopfer steigt und sich die sicherheitspolitischen Folgen vervielfachen, zeigt Israel mit dem Finger auf Teheran und beschuldigt den Iran, die Angriffe der Hamas orchestriert zu haben. Letztere mögen mit Wut über das monatelange Verhalten der Regierung Benjamin Netanjahus, einschließlich der Provokationen an der Al-Aqsa-Moschee, zu tun haben, aber der Iran und die von ihm unterstützten Kräfte verfolgen ein längerfristiges strategisches Ziel: Die von den USA angeführten Bemühungen um eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Israel zu vereiteln, – denn diese Normalisierung würde die Position der USA im Nahen Osten festigen und in der iranischen Perspektive die Palästinenser ihres letzte
A im Nahen Osten festigen und in der iranischen Perspektive die Palästinenser ihres letzten einflussreichen Sponsors berauben.Irans Interesse in der Region ist das genaue Gegenteil von Normalisierung, vielmehr soll es für Saudi-Arabien nahezu unmöglich werden, ein Abkommen zu schließen. Israel hingegen wollte die Rolle des Palästina-Konflikts auf der diplomatischen Ebene eigentlich zurückdrängen, damit er allmählich zur Nebensache wird, zu einer Art von historischer Kuriosität wie der Jom-Kippur-Krieg. Die Hilfe, die Israel über Katar in den Gazastreifen fließen ließ, ist ein Teil dieser Strategie.Ali Chameneis WarnungIn einer Rede vor wenigen Tagen warnte der oberste Führer des Iran, Ayatollah Ali Chamenei, Riad in knapper Form, dass jeder Golfstaat, der die USA unterstützt, auf das falsche Pferd setze. „Die endgültige Haltung der Islamischen Republik ist, dass die Regierungen, die dem Spiel der Normalisierung mit dem zionistischen Regime den Vorrang geben, Verluste erleiden werden“, sagte er in Äußerungen, die staatliche und halboffizielle iranische Medien verbreiteten. „Wie die Europäer sagen, setzen sie auf das falsche Pferd. Die heutige Situation des zionistischen Regimes ist keine, die zu einer Annäherung an das Regime motivieren sollte; sie sollten diesen Fehler nicht begehen.“Am Freitag schloss sich ihm der Leiter des Islamischen Dschihad, Ziyad al-Nakhalah, an – er sagte: „Diejenigen, die eine Normalisierung mit dem zionistischen Projekt anstreben, müssen wissen – und sie wissen es –, dass sie damit anerkennen, dass Palästina nicht unser Land ist und Jerusalem mit seiner Moschee nicht unser Land ist.“Saudi-Arabiens InteresseSaudi-Arabien, dessen Wirtschaft laut Weltbank in diesem Jahr aufgrund einer geringeren Ölproduktion schrumpfen wird, sucht verzweifelt nach ausländischen Investitionen und sehnt sich danach, von der Dynamik des israelischen Technologie-Sektors zu profitieren. Der Handel der Vereinigten Arabischen Emirate mit Israel hat sich nach dem Abschluss eines Freihandelsabkommens mit dem Land auf 2,56 Milliarden Dollar im Jahr 2022 verdoppelt. Doch Riad, das Gefallen findet an der allgemeinen Tendenz zur „transactional diplomacy“, einer Außenpolitik lukrativer Einzeldeals im Stile Donald Trumps, will auch neue US-Sicherheitsgarantien, die denen ähneln, die Bahrain im September gegeben wurden, wenn nicht sogar bessere, zudem Zugang zur zivilen Nutzung der Kernenergie. Etwas Handfestes in Sachen Wiederaufnahme israelisch-palästinensischer Gespräche könnte das saudische Regime obendrein gut gebrauchen. US-Außenminister Antony Blinken wollte all dies auf einer Reise in die Region, die für die dritte Oktoberwoche geplant ist, mit Saudi-Arabiens De-facto-Herrscher Mohammed bin Salman besprechen.Doch das, was jetzt begonnen hat und sich zu einem regionalen Krieg entwickeln könnte, verändert die Kalkulation der Risiken. Die Hamas hat ihre Feuerkraft unter Beweis gestellt und ihre Basis über den Gazastreifen hinaus erweitert. Die Bedeutung des Konflikts ist nicht kleiner geworden, sondern er hat sich viel mehr ausgeweitet. Die erste Reaktion Riads auf den Angriff der Hamas, einer Gruppe, zu der das Land nur wenige Kontakte unterhält, war der erste entscheidende Hinweis darauf, wie Saudi-Arabien die diplomatischen Folgen einschätzt. Dieser Hinweis war für Israel nicht ermutigend und konnte es sich angesichts der aufgeheizten Stimmungslage auch nicht leisten, es zu sein.Katars SchuldzuweisungDas saudi-arabische Außenministerium wies auf die beispiellose Situation zwischen bestimmten palästinensischen Gruppierungen und den Besatzungstruppen hin und rief alle Seiten zur Zurückhaltung auf. Es erinnerte jedoch an „seine wiederholten Warnungen vor der Gefahr einer Explosion der Situation infolge der anhaltenden Besatzung, infolgedessen, dass das palästinensische Volk seiner legitimen Rechte beraubt werde, und angesichts wiederholter systematischer Provokationen gegen seine heiligen Stätten“. Es forderte die internationale Gemeinschaft auf, einen glaubwürdigen Friedensprozess auf Grundlage einer Zwei-Staaten-Lösung wieder in Gang zu bringen.Katar wurde noch deutlicher und erklärte, Israel sei „allein verantwortlich für die anhaltende Eskalation aufgrund seiner ständigen Verletzungen der Rechte des palästinensischen Volkes, einschließlich der jüngsten, mehrmaligen Übergriffe auf die Al-Aqsa-Moschee unter dem Schutz der israelischen Polizei“.Seitdem hat der saudische Außenminister mit Blinken, dem Hohen Vertreter der EU, Josep Borrell, und allen Gesprächspartnern in der Golfregion gesprochen. Der UN-Sicherheitsrat trat zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Viele Diplomaten räumen jedoch hinter vorgehaltener Hand ein, es koste jetzt seinen Preis, dass sie die Nahostkrise auf ihrer Agenda nach hinten haben rutschen lassen.Die Türkei und Ägypten als VermittlerDie eigentliche Diplomatie wird im Verborgenen stattfinden. Auf kurze Sicht werden die Türkei und Ägypten als Vermittler auftreten. Ägypten, wo in zwei Monaten Wahlen stattfinden, kann sich kein Chaos in Gaza leisten. Das erste Ziel der Hamas wird sein, Israel dazu zu bringen, das Ausmaß seiner Vergeltung zu überdenken. Der Sprecher der Kassam-Brigaden der Hamas, Abu Ubaida, sagte: „Die Zahl der [israelischen] Gefangenen ist um ein Vielfaches höher, als Benjamin Netanjahu zugegeben hat, sie befinden sich in allen Achsen des Gazastreifens, und was mit den Menschen in Gaza geschieht, das wird auch mit ihnen geschehen, man hüte sich da vor falschen Hoffnungen.“Auch die Hisbollah hat über Ägypten eine Botschaft an Israel geschickt, in der sie auf die möglichen Folgen eines umfassenden Angriffs auf Gaza hinweist. Die USA ihrerseits fordern Israel auf, zu deeskalieren, von einem Angriff mit Bodentruppen abzusehen und sich auf Maßnahmen wie die Unterbrechung der Stromversorgung des Gazastreifens zu beschränken, um die Hamas zu Verhandlungen zu zwingen. Auch innerhalb Israels gibt es Stimmen, die zur Ruhe aufrufen und sagen, dass nach einer solchen Sicherheitslücke eine Einheitsregierung erforderlich sei, die es Netanjahu ermöglicht, seine verhängnisvolle Abhängigkeit von Extremisten zu beenden, um an der Macht zu bleiben. Da das Leben so vieler Geiseln auf dem Spiel steht, muss die Vergeltung sorgfältig abgewogen werden.Netanjahus politisches Überlebenstalent ist bekannt, aber es wird schwer sein, die Schuld für ein so offensichtliches geheimdienstliches Fiasko von sich zu weisen. Golda Meir wurde sechs Monaten nach dem Jom-Kippur-Krieg als Premierministerin abgesetzt und machte den Weg frei für Menachem Begin und schließlich das Camp-David-Abkommen mit dem Ägypter Anwar Sadat im Jahr 1978. Dass sich eine vergleichsweise Entwicklung heute einstellen könnte, ist im Moment schwer vorstellbar.
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