„Barbie“ von Greta Gerwig: Indie-Regisseurin verkauft sich an Mattel, aber wen kümmert es?
Filmindustrie Mit Greta Gerwig hat sich mal wieder eine Ikone des Indie-Films dem Mainstream ergeben. Ihr Film „Barbie“ ist nicht viel mehr als Werbung für einen Konzern und eine Puppe. Caspar Salmon über die Konsequenzen, die hieraus folgen
War mal zu „indie“ fürs Sundance Festival: Greta Gerwig (r.) mit Barbies und Kens beim Photocall im London
Foto: Ian West/dpa
In einer inzwischen eher nach Mythos klingenden Anekdote heißt es, dass Anfang der 90er Jahre die Schauspielerin Sarah Polley – damals zwölf Jahre alt – von Disney-Führungskräften aufgefordert worden sei, ihren Peace-Button abzulegen. Sie habe sich geweigert – und sei von Disney auf die schwarze Liste gesetzt worden. Diese Geschichte verlor an Überzeugungskraft, als jüngst bekannt wurde, dass Polley die Regie der Neuverfilmung des Disney-Klassikers Bambi übernehmen wird. Für Bewunderer von Polleys rigoroser Independent-Karriere könnte die Irritation kaum größer sein, hat sie doch mit Regisseuren wie Atom Egoyan, David Cronenberg und Hal Hartley gearbeitet, und das, bevor sie 22 Jahre wurde!
An Polleys Fall musste man a
s Fall musste man auch im schier ohrenbetäubenden Lärm um den Erfolg von Barbie denken, ein Film, der von einer anderen ehemaligen Königin des Independent-Kinos, Greta Gerwig, gedreht wurde. Ein paar Jahre später als Polley ins Rampenlicht gerückt, begann Gerwigs Karriere so „indie“, dass ihre Filme nicht mal in Sundance liefen, sondern auf dem Alternativ-Festival South by Southwest. Sie war so „indie“, dass der Guardian ihren Wechsel von Mikro-Budget-Mumblecore-Filmen zu einem Autorenfilm mit Noah Baumbach – Greenberg, 2010 – als „ihre ersten zaghaften Schritte in den Mainstream“ bezeichnete. Greenberg kostete 25 Millionen Dollar, die nicht wieder eingespielt wurden. Barbie, von Gerwig im Auftrag des Megakonzerns Mattel übernommen, hat ein Budget von 145 Millionen Dollar. Diese nun echte Wende zum Mainstream hin wirft die Frage auf: Hat der Ausdruck „Sich verkaufen“ überhaupt noch eine Bedeutung?Gerwig und Polley sind bei Weitem nicht die einzigen Regisseure, die sich in letzter Zeit in diese Richtung bewegen: Barry Jenkins hat gerade die Arbeit am Sequel zu Disneys König der Löwen abgeschlossen. Jenkins’ erster Spielfilm, Medicine for Melancholy, feierte seine Premiere 2008 auf dem South-by-Southwest-Festival, im selben Jahr, in dem Greta Gerwig ihr – gemeinsam mit Joe Swanberg inszeniertes – Regiedebüt Nights and Weekends vorstellte. Als Jenkins’ Moonlight 2017 den Oscar für den besten Film bekam, fragte man sich auf der Webseite IndieWire, „wie ein 1,5 Millionen Dollar teurer Indie-Film acht Oscar-Nominierungen erhalten konnte“. Aber hat Moonlight tatsächlich über die Industrie triumphiert, oder war es doch umgekehrt?Mattel und Disney sind zwei Riesenkonzerne, die all das verkörpern, wogegen diese Regisseure sind – oder sein sollten. Aber in einem kürzlich erschienenen Artikel zu Barbie im New Yorker wurde kein Geringerer als Gerwigs eigener Agent mit den Worten zitiert: „Ist es eine gute Sache, dass die Kreativsten unserer Schauspieler und Filmemacher in einer Welt leben, in der große Würfe nur im Umfeld von Massenprodukten möglich sind? Ich weiß es nicht, aber so ist das Geschäft.“ Was du nicht sagst.Film „Barbie“ ist hauptsächlich Werbung für Spielzeugfirma MattelWarum hat der Begriff des Sichverkaufens heute so viel von seinem kulturellen Kapital verloren? Es fällt schwer, sich auf die Seite der Verteidiger zu schlagen, die angriffslustig darauf hinweisen, dass Gerwig zum Beispiel von Regisseuren wie Max Ophüls und Jacques Tati beeinflusst sei, als ob das für einen Film entschädigt, der vor allem Werbung für eine Spielzeugfirma macht, die nichtssagende, hypersexualisierte Puppen verkauft. Es gibt hier eine Parallele: Mit der Vorstellung, dass Barbie-Puppen nerven, steht man im aktuellen Klima genauso auf verlorenem Posten wie mit der Anklage gegen das Sichverkaufen. Das dominante Denken scheint zu sein: Seht her, die Bösen haben gewonnen, wir sollten uns damit abfinden; wir sind sowieso alle hypersexualisiert, also lasst es uns auf eine egalitärere Art und Weise sein; die Großkonzerne beherrschen alles, warum nicht wenigstens Leute mit ein bisschen künstlerischer Glaubwürdigkeit dazu bringen, dem Ganzen ein Gesicht zu geben.Der aktuelle Streik der Autoren und Schauspieler in den USA zeigt jedoch, dass das Sichverkaufen nicht nur eine Frage der persönlichen Ethik ist, sondern ein branchenweites Problem darstellt. Wenn ein Regisseur sich dafür entscheidet, mit den Goliaths der Unterhaltungsindustrie gemeinsame Sache zu machen, so hat das Konsequenzen; es steht im Gegensatz zur aktiven Förderung einer Industrie, in der kleinere Filme und Filmschaffende mehr Chancen haben. Der ehemalige Indie-Liebling Mark Ruffalo, heute den meisten als Marvel-Superheld Hulk bekannt, twitterte neulich: „Wie wäre es, wenn wir jetzt alle in Indie-Filme einsteigen würden?“ Er bezog sich darauf, dass die streikführende Gewerkschaft der Schauspieler in Hollywood, Sag-Aftra, in Ausnahmen die Fortsetzung der Dreharbeiten für Indie-Filme erlaubt. Aber die Sache ist die: Ruffalo und Co. hätten schon immer Indie-Filme machen können. Er selbst hat schließlich dort angefangen, bei Regisseuren wie Kenneth Lonergan. Stattdessen haben seine letzten Marvel-Filme Milliarden für Disney eingespielt. Natürlich sollten Filmemacher alle Möglichkeiten nutzen, um auch in einer zunehmend korrumpierten Branche etwas zu kreieren, aber es gibt immer noch eine persönliche Verantwortung. Die Handlungen des Einzelnen wirken sich aus.So bleibt abzuwarten, wie sich der aktuelle Streik auf die Branche auswirken wird. Vielleicht führt er ja zu einem Wiederaufleben des Indie-Kinos, das sich gegen das schädliche Disney-Monopol und die Vorherrschaft des „Intellectual Property“-Modells zur Wehr setzt. Mattel plant Filme, die auf Barney dem Dinosaurier, auf He-Man und Polly Pocket basieren – Ansagen, die die Hoffnungen eines Filmjournalisten in Asche verwandeln –, und neben den neuen Bambi- und König-der-Löwen-Filmen hat Disney eine Fülle von Reboots seines alten geistigen Eigentums in petto, darunter ein Remake von The Aristocats mit Questlove, dem Regisseur des Indie-Dokumentarfilms Summer of Soul. Der Kampf um die Seele des Kinos in einer sich verändernden Welt geht weiter.Placeholder authorbio-1