Selbstverständlich ist der reifen Allwissenheit der Erzählstimme von Helen Mirren, die zu Beginn dieses Films an das Phänomen Barbie heranführt, feine Ironie beigemengt. Sie begleitet die sich lustvoll an Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum anlehnende Anfangssequenz: Einer bis dato mit Babypuppen spielenden Horde kleiner Mädchen erscheint plötzlich Barbie als gigantischer Monolith, der sie in ein neues, glorreiches Zeitalter führt. Doch bevor uns Mirrens Stimme ins schreiend bunte Barbie-Land geleitet, bittet sie um Nachsicht für dessen Bewohnerinnen. Diese hielten nämlich alle Fragen des Feminismus für beantwortet und alle Probleme im Zuge der Gleichberechtigung für gelöst …
Von Beginn an ist dem Film Barbie anzumerken, wie e
arbie anzumerken, wie er um Selbstreflexion bemüht ist. Was dieser Film über die 1959 erstmals von der Spielzeugfirma Mattel herausgebrachte Plastikpuppe eigentlich werden sollte, war lange Zeit unklar. Die Verfilmungsrechte wechselten seit 2009 von Universal zu Sony und schließlich zu Warner Bros. Zeitweise war Diablo Cody (Juno, Jennifers Body) als Drehbuchautorin angedacht und die Comedienne Amy Schumer als Hauptdarstellerin. Richtig Fahrt nahm das Projekt aber erst auf, als man sich 2020 schließlich auf Greta Gerwig einigte. Gerwig hat sich durch ihre Filme über junge, um Selbstbestimmung und Unabhängigkeit kämpfende Frauen (Lady Bird, Little Women) in Hollywood den Ruf einer feministischen Regisseurin erworben. Gemeinsam mit ihrem Partner Noah Baumbach (Marriage Story), mit dem sie schon ihren Durchbruchhit Frances Ha schrieb, lieferte sie ein Skript ab, für dessen Umsetzung Warner Bros. schließlich ein Blockbuster-Budget von 145 Millionen US-Dollar bereitstellte.Eingebetteter MedieninhaltWorin es zuvorderst investiert wurde, wird kurz nach Ankunft des Publikums im Barbie-Land klar: in die Kreation einer schreiend pastelligen Plastikwelt, die nostalgische Entzückung hervorrufen will – von den mit Rutschen versehenen Traumhäusern bis zu den klobigen Haarbürsten, mit denen man Barbies Mähne (vergeblich) im Zaum halten sollte. Dutzende Barbies in unterschiedlichsten Ausführungen dominieren diese Welt. Sie wird von Präsidenten-Barbie (Issa Rae) regiert, während sich die übrigen Barbies mit Nobelpreisen überschütten für Errungenschaften in den unzähligen Professionen, in denen sie hier erhältlich sind. Auch Barbies Gefährte Ken ist in diversen Ausfertigungen präsent, die aber bilden bewusst ein marginalisiertes, Beifall-klatschendes Beiwerk zum glamourösen Barbie-Treiben. Und keine beherrscht es wie die von Margot Robbie glanzvoll verkörperte „stereotype“ Barbie. Glücklich gleitet sie durch ihre Welt, ohne Beruf, aber mit Bravour, trifft hin und wieder den ihr zugewiesenen, noch unbedarfteren Ken (Ryan Gosling), aber verbringt die meiste Zeit im freudigen Reigen mit den übrigen Barbies.Der naive Flair dieser Welt ist durchs detailverliebte Set-Design wohlgestaltet, doch der Witz, mit dem sich etwa frühzeitig abgesetzten Kuriositäten aus der Produktpalette (etwa der schwangeren Midge) zugewandt wird, ist schnell aufgebraucht. Dramaturgisch gerade zur rechten Zeit ereilt Barbie eine Sinnkrise: Von heute auf morgen schleicht sich der Gedanke an den Tod in ihre Gedanken, ein morgendlicher Mundgeruch setzt ihr zu, ebenso wie das plötzliche Abflachen ihrer für High Heels dauergeformten Füße. Ein Besuch bei der durch zu wildes Spiel verschandelten „Weird Barbie“ (Kate McKinnon) bringt die Gewissheit, dass etwas mit Barbies Besitzerin nicht stimmen könnte und sich daher ein Portal zur realen Welt geöffnet hat.Ryan Goslings Ken frohlockt über das PatriarchatIn der Zeichnung dieser realen Welt, in die es Barbie und den ungebeten mit ihr aufbrechenden Ken daraufhin verschlägt, kommen wir zum Kernpunkt von Gerwigs Auseinandersetzung mit den problematischen Aspekten des Frauseins in der Gegenwart: Beim Rollerbladen in Los Angeles wird Barbie der sie sexualisierenden Blicke gewahr, ebenso der Dominanz von Männern im Stadtbild und in allen höheren gesellschaftlichen Positionen. Während Ken übers Patriarchat frohlockt, ist Barbie schockiert, dass die Chef-Posten des Mattel-Konzerns ausschließlich von Männern besetzt sind – eine Feststellung, die den kindischen CEO (Will Ferrell) brüskiert.In dieser komödiantisch weitgehend gelungenen Herangehensweise an Barbies Einführung in die Realität schwingt durchaus feministische Gesellschaftskritik mit. Es wird aber zugleich offensichtlich, dass das Skript von Gerwig und Baumbach hier einen Spagat wagt, der ironischerweise an die Dauerverrenkung der Weird Barbie erinnert: So wird etwa im Film die Omnipräsenz des „male gaze“ in der patriarchalen Gegenwart effektreich attackiert, aber in keinem Moment darauf eingegangen, dass die mit unmenschlich hyperfemininen Körpermaßen ausgestattete Barbie-Puppe historisch ebendiesem entsprungen ist. Mattel-Mitbegründerin Ruth Handler erschuf die Barbie-Puppe, nachdem sie bei einer Schweiz-Reise „Lilli“ entdeckt hatte, die Puppenversion eines anzüglichen Bild-Zeitungs-Comicstrips über eine laszive junge, mit Sugardaddys kokettierende Frau.Nach dem patriarchalen Schock findet Barbie schließlich ihre erwachsene Besitzerin Gloria (America Ferrera), deren abgeklärte Tochter Sasha (Ariana Greenblatt) kein gutes Haar an der ihres Erachtens Sexismus und Materialismus begünstigenden Puppe lässt. Sasha wird allzu leicht durch eine Reise ins Barbie-Land bekehrt, bei der sie der Vereitelung einer drohenden Übernahme durch aufmüpfige Kens beiwohnt. Obgleich Barbie als Komödie hier sehr viel Charme und treffende Gags versprüht, muss das Publikum um seinerseits bekehrt und gut unterhalten zu werden, die Nachsicht walten lassen, die Mirrens Erzählstimme zu Beginn sanft einforderte: Es gilt, über die sichtbaren Verrenkungen hinwegzublicken, die Gerwigs Film vollführt, um den Anschein einer glaubwürdigen feministischen Botschaft zu erwecken – und sich auf Barbie als nostalgieversessenen und nur scheinbar gegenwartsbewussten Spaß einzulassen.Placeholder infobox-1