Klimakrise Die Mittelmeerregion ist von starker Dürre betroffen. Sie vernichtet Ernten, erstickt die Wirtschaft und schränkt das Leben von Millionen Menschen ein. In Barcelona wird der Tourismus beim Wasser zur Ressourcenfrage
Die alte Kirche von Sant Romà de Sau Anfang Februar 2022 und Anfang April 2023
Fotos: Aitor de Iturria/AFP/Getty Images, Matthias Oesterle/Zuma/Imago Images (rechts)
Die 85-jährige Magdalena Coromina klopft mit ihrem Gehstock auf den harten Boden und blickt hoch zu der Kirche, die sich eigentlich unter Wasser befinden sollte. Vor 60 Jahren, als Ingenieure den Stausee gebaut hatten, wurde der Ort Sant Romà de Sau geflutet, und das Gebäude verschwand im Wasser. Die Regenfälle, die den Durst der Region stillten, hielten die Ruine bedeckt.
Aber diese Welt existiert nicht mehr. Die Dürre hat den Stausee bis auf ein Prozent seiner Kapazität ausgetrocknet, sodass Überreste des einstigen Dorfes wieder auftauchen. Verrottete Steinbauten stehen auf rissigem Boden zwischen verdorrten Pflanzen. Die Kirche, deren Turm früher bei Trockenheit aus dem See ragte, steht nun hoch über der Wasserlinie. Es mache sie so traurig, s
traurig, sagt Magdalena Coromina, die an einem ungewöhnlich warmen Märztag aus der nahe gelegenen Stadt Ripoll kommt, um die Ruinen zu sehen. Als sie ein Mädchen war, habe es im Winter stets Regen und Schnee gegeben. „Und heute? Nichts mehr davon!“Katalonien ist von starker Dürre betroffen. Sie vernichtet Ernten, erstickt die Wirtschaft und schränkt das Leben von Millionen Menschen ein, die einer Art Notstand ausgesetzt sind. Wissenschaftler prophezeien, in vielen Ländern Südeuropas werde bald darum gekämpft, dass weiter Wasser aus den Hähnen fließt, weil ganze Regionen aufgeheizt sind und austrocknen. Stefano Materia, Klimawissenschaftler am Barcelona Supercomputing Center, nimmt an, dass in Städten wie Valencia, Marseille oder Genua, in denen die Industrie und der Tourismus viel Druck auf ohnehin rare Wasserressourcen ausüben, „sich wahrscheinlich die Anfälligkeit erhöht“.Wasser entsalzenAnfang Februar, nach mehr als tausend Tagen Dürre, weitete die Regionalregierung die Restriktionen auch auf Barcelona und andere Orte aus. Gemeinsam mit Spaniens Umweltministerium deuten sich Pläne an, fast eine halbe Milliarde Euro in Entsalzungsanlagen zu investieren, um Trinkwasser zu gewinnen. Zudem wollen die Behörden Wasser aus anderen Landesteilen nach Katalonien leiten. Während man darauf wartet, dass Regen fällt und die Infrastruktur verbessert wird, sind die Katalanen zerstritten darüber, wie das Wasser verteilt wird. Das Dilemma lässt Städter, Landwirte und Touristen im Kampf um die knappe Ressource aneinandergeraten.Bauern, die ein Drittel des Wassers in den Einzugsgebieten verbrauchen, in denen die meisten Katalanen leben, stehen unter dem höchsten Druck, den Verbrauch zu senken. Die Regierung in Barcelona hat ihnen auferlegt, 80 Prozent weniger Wasser für die Bewässerung und 50 Prozent weniger für die Tierhaltung einzusetzen, während die Industrie ihren Konsum um ein Viertel reduzieren soll. Wegen der „Ungerechtigkeit“ bei den verordneten Beschränkungen fühlten sich die Bauern machtlos, meint Albert Grassot, Vorstand einer lokalen Bewässerungsgemeinschaft. „Es ist ein Gefühl von Schwäche und Wut.“Er bewirtschaftet eine Reisfarm in der Nähe der mittelalterlichen Stadt Pals und hat den Eindruck, dass die Dürre ihn mittlerweile stärker belaste als vor drei Jahren die Corona-Pandemie. Wenn bis Mai kein Regen falle, könne seine Familie nicht aussäen. Es wäre das erste Mal, seit sein Ur-Ur-Großvater mit dem Bewirtschaften des Landes begann. Die Auswirkungen wären verheerend. Reisfelder verbrauchten nun einmal viel Wasser, weil das Getreide auf überfluteten Feldern wächst. In Pals, nur drei Kilometer von der Küste entfernt, tragen agrarische Kulturen dazu bei, das Eindringen von Salzwasser ins Landesinnere zu verhindern, was dem gesamten Ökosystem schaden könnte.In Barcelona sind die öffentlichen Brunnen nicht in Betrieb, im Sommer werden die Duschen am Strand abgestellt. Die Last der Dürre wiegt leichter als in den Dörfern, aber sie hängt dennoch schwer über der Stadt. Poster in U-Bahn-Stationen erinnern mit strengen Worten daran, dass „Wasser nicht vom Himmel fällt“. Nachdem Barcelona 2008 bereits von einer schweren Dürre betroffen war, investierte die Stadt in das Recycling von Abwasser, die Entsalzung von Meerwasser und eine Aufklärungskampagne, die den Bürger zum sparsamen Umgang mit Trinkwasser ermahnte. Diese Bemühungen führten zu einem größeren Wasserangebot, während zugleich der Wasserbedarf der Stadt auf eine der niedrigsten Margen in Europa sank. Der Geograf Alexander Ross von der Portland State University in Oregon ist Co-Autor eines Buches über Wasserpolitik in Städten weltweit. Laut Ross ist Barcelona in vielerlei Hinsicht führend, dennoch reichten die Anstrengungen nicht aus. „Wenn selbst Barcelona trotz aller Vorkehrungen eine solche Krise wie jetzt durchlebt, zeigt das dem Rest der Welt: Es muss gehandelt werden.“Im Jahr 2022 zählte die Stadt zehn Millionen Touristen und war damit eine der meistbesuchten Städte Europas. Der Tourismussektor kam für zwölf Prozent der regionalen Wirtschaft auf. Hotelbesitzer fühlten sich ermutigt, die Errichtung mobiler Entsalzungsanlagen zu erwirken, um Beschränkungen für ihre Swimmingpools zu umgehen. Andernfalls befürchte man einen starken Rückgang der Buchungen.Für den größten Verbrauch eines Hotels sind häufig die Duschen und das „Grauwasser“ zuständig, das in den Abfluss fließt. Es könnte leicht wiederaufbereitet werden, würde es vom Abwasser getrennt, meint Gianluigi Buttiglieri, Wissenschaftler am Katalanischen Institut für Wasserforschung. „Aber ohne Gesetze, die das fordern, gibt es keinen Anreiz, das zu tun.“ Die Drei-Sterne-Herberge „Samba“ im Zentrum von Lloret ist eines der wenigen Hotels im Mittelmeerraum, das getrennte Abflussleitungen nutzt. Bei Renovierungsarbeiten ließ das Management die Rohre trennen, sodass Grauwasser in einem Tank im Keller geklärt werden kann. Von dort wird es zurück in die Bäder der Gäste gepumpt. Das Hotel testet derzeit ein System, mit dem Wasser vor der Desinfizierung durch mehrere Schichten von pflanzenreichem Erdboden gefiltert wird. Laut einer 2023 veröffentlichten Studie dieses Hotels, deren Co-Autor Buttiglieri war, amortisiert sich ein solches System in zehn Jahren. Die im „Samba“ dafür verantwortliche Managerin Laura Pérez erzählt, dass ihr Haus zwar von der beschränkten Wasserzufuhr für Pools betroffen war, weil diese nach spanischem Recht nicht mit geklärtem Grauwasser befüllt werden dürfen, doch habe man während der Dürre weniger Probleme gehabt als andere Hotels. „Wir leiden nicht so sehr, weil wir weniger Wasser brauchen.“Ein weiteres Schutzkonzept wird an der Peripherie von Manresa verfolgt, einer kleinen Industriestadt im Inneren Kataloniens. Dort lässt der für Umweltfragen zuständige Stadtrat Pol Huguet sechs Hektar Land in der Nähe einer stillgelegten Diskothek renaturieren, um das Terrain resistenter gegen extremes Wetter zu machen, auch wenn die Trockenheit den Zeitplan für das Projekt beeinträchtigt. Die jungen Bäume wurden nicht groß genug, um Schafe auf das Gelände zu lassen, ohne dass die Tiere sie fressen. Die Menschen hätten die Gegend so verändert, dass sie zu anfällig für heißes und trockenes Wetter sei, sagt Huguet und zeigt auf den Wald hinter sich. „Waldbrände breiten sich mit enormer Geschwindigkeit aus, wenn der Bewuchs sehr homogen ist, alle Bäume gleich hoch sind und sehr dicht stehen. Und das haben wir hier.“ Die Behörden teilen seine Sorge, Wälder könnten sich in Zunderbüchsen verwandeln. So wurden Einheiten zur Feuerprävention bereits im Februar verstärkt, vier Monate früher als geplant. Erschwerend sei, so Huguet, dass absterbende Pflanzen ein Niveau erreicht hätten, „das es in diesem Ausmaß noch nie gegeben hat“. Auch wenn die Folgen der Dürre in vielerlei Hinsicht beispiellos sind, sagen die Einheimischen, dass den Katalanen das Problem lösbar erscheine.Anfang März feierte Manresa den Bau des Kanals „La Séquia“, der vor gut sechshundert Jahren entstand, wodurch die Stadt eine Verbindung zum Fluss Llobregat erhielt, der in den Pyrenäen entspringt. Nach schweren Hungersnöten gegraben, diente der Kanal dazu, Manresas Landwirtschaft zu bewässern, und trieb später die Webstühle einer florierenden Textilindustrie an. Seinerzeit versuchte ein lokaler Bischof, der Mühlen am oberen Teil des Flusses besaß, die Kanalpläne zu durchkreuzen. Er exkommunizierte die gesamte Stadt, weil er befürchtete, die Umleitung des Wassers werde seine Gewinne verringern. Nach der Legende änderte er seine Haltung nach einem Blitzeinschlag. Er sah darin ein Zeichen, dass Gott den Bau des Kanals wollte. „Krieg um Wasser gab es in der Geschichte zu vielen Zeiten an vielen Orten“, sagt Huguet und starrt auf die verdorrte Vegetation vor ihm. „Jetzt ist es wieder so weit.“
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