„Die Grünen sind unser Feind“: Wie Klimapolitik von der AfD angegriffen wird
Gewalt Vor der Europawahl nehmen die gewalttätigen Angriffe auf Politiker zu. Besonders stark trifft es die Grünen, die mit ihrer Klimapolitik zur Zielscheibe rechtsextremer Akteure werden. Eine Reportage aus Görlitz
Im Europawahlkampf sind viele zerstörte Wahlplakate zu sehen: Die Grünen sind nicht nur Ziel der Rechtsextremen
Foto: Marc Stinger/Imago Images
Lutz Jankus, Stadtrat der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD), erhob seine Stimme über das Trommeln und Hupen der Traktoren und distanzierte sich von dem wütenden Protest, der sich vor ihm entlud. „Das sind Rechtsextremisten“, sagte er über die Freien Sachsen, eine lose politische Bewegung, zu der auch Neonazis und Skinheads gehören, während seine Kollegen damit begannen, ihr Zelt am Rande des Platzes im Zentrum von Görlitz zusammenzupacken. „Wir wollen nichts mit ihnen zu tun haben, aber wir sind hier, weil es auch viele Leute gibt, die die AfD wählen.“
In Sachsen, einem ostdeutschen Bundesland, dessen Geheimdienst beide Gruppen als extrem eingestuft hat, reicht die Unterstützung für die Rechtsextremen b
eimdienst beide Gruppen als extrem eingestuft hat, reicht die Unterstützung für die Rechtsextremen bis weit in den Mainstream hinein. Umfragen sehen die AfD auf dem besten Weg, bei den Landtagswahlen im September die meisten Stimmen zu gewinnen, genau wie in den Nachbarländern Brandenburg und Thüringen.Freie Sachsen, ein kleineres, aber radikaleres Netzwerk, ruft in einer Telegram-Gruppe mit 140.000 Abonnenten zu wöchentlichen Kundgebungen gegen die Regierung auf. Bei den Aufmärschen, die jeden Montagabend in Görlitz, einer Hochburg der extremen Rechten an der polnischen Grenze, und anderen Städten in ganz Deutschland stattfinden, machen Anhänger beider Parteien ihrer Wut über Einwanderung, Coronavirus-Beschränkungen und Militärhilfe für die Ukraine Luft. Doch eine Gruppe trägt die Hauptlast der Vorwürfe.Grüne Maßnahmen zurückfahren„Die Grünen sind unser Hauptfeind“, sagte Jankus und beschrieb die AfD als Partei der Freiheit und die Grünen als Partei der Verbote. „Wir wollen den Menschen nicht vorschreiben, wie sie zu heizen haben. Wir wollen den Menschen nicht vorschreiben, welchen Motor sie in ihrem Auto einbauen sollen.“In dem Maße, in dem sich der Klimaschutz von abstrakten Idealen zu konkreten Veränderungen entwickelt hat, haben die europäischen Staats- und Regierungschefs begonnen, Maßnahmen zurückzunehmen, die die Wähler bei den Wahlen im Juni vergraulen könnten. Obwohl die Befürchtungen eines gesellschaftlichen „Greenlash“ – einer Gegenreaktion auf die grüne Politik – weitgehend unbegründet sind, zeigen die Umfragedaten, dass die Klimapolitik und die Grünen zu einem Brennpunkt für rechtsextreme Angriffe geworden sind.„Unsere wichtigste Erkenntnis ist, dass es keinen weit verbreiteten grünen Backlash gibt“, sagt Markus Kollberg, Politikwissenschaftler an der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitautor einer aktuellen Studie über die Einstellung von 15.000 Wählern in Frankreich, Deutschland und Polen zur Klimapolitik. „Was wir in den Daten tatsächlich finden, ist eine sehr klare Polarisierung entlang der Parteigrenzen.“Haltung der AfD zum KlimaschutzDie AfD, die wegen ihrer Ansichten zur Einwanderung politische Schlagkraft erlangte, stellt die wissenschaftlichen Fakten zur globalen Erwärmung immer noch infrage, obwohl selbst die Erdölunternehmen sie längst nicht mehr leugnen.Oberflächlich betrachtet haben ihre Anhänger wenig Interesse daran, über Wetterextreme zu sprechen. „Klima, Klima, Klima“, sagte ein schwarz gekleideter Mann mit schweren Ringen bei der Kundgebung am Montagabend und schüttelte seinen kahlgeschorenen Kopf. „Scheiß auf das Klima, Mann, die Welt wird sich immer ändern, so oder so.“Umfragen zeigen zwar, dass AfD-Wähler sich weniger um den Klimawandel kümmern als der Durchschnittsdeutsche, aber sie sind eher der Meinung, dass die Maßnahmen, die ihn aufhalten sollen, zu weit gegangen sind.Als Kollberg und seine Kollegen den Menschen eine Liste mit 40 Maßnahmen zur Verringerung der Erderwärmung vorlegten, stellten sie fest, dass die AfD-Wähler kaum vier davon unterstützten, während die Wähler der Grünen sie alle befürworteten. Die negativsten Reaktionen gab es auf Maßnahmen, die Gaskessel und Autos mit Verbrennungsmotor betrafen. Ein Gesetz, mit dem neue Gaskessel verboten werden sollen, wurde in einschlägigen Medien als „Heizungshammer“ bezeichnet.Wirtschaftliche Lage als FaktorIn den prachtvollen Straßen von Görlitz, einer historischen Stadt, deren Gebäude als Kulisse für Filme wie The Grand Budapest Hotel und Inglourious Basterds dienten, beklagen sich die Einwohner, dass der Wandel zu schnell geschieht, dass die Grünen zu radikal sind und dass Deutschland die Welt nicht allein retten kann. „Man kann nicht ein ganzes System ändern, indem man plötzlich in einem Land alles anders macht“, sagte eine Frau auf dem Marktplatz. „Man muss in China anfangen“, sagte eine andere.Die verlassenen Gebäude, die Görlitz durchziehen, lassen auf einen wirtschaftlichen Grund für den Widerstand gegen grüne Maßnahmen schließen. Fabriken, in denen früher Kutschen und Kondensatoren hergestellt wurden, stehen heute leer und sind mit Neonazi-Aufklebern und Antifa-Graffiti gesprenkelt. „Wenn es keinen wirtschaftlichen Aufschwung gibt, geht es der AfD gut“, sagte ein junger Inhaber eines Maschinenbauunternehmens, der befürchtet, dass der Erfolg der Partei es den Unternehmen erschweren wird, Arbeitskräfte und Investitionen anzuziehen. „Es gibt hier nicht viel Industrie und sehr wenig Kapital.“Obwohl das Durchschnittseinkommen in der Region Görlitz niedriger ist als in den meisten anderen Teilen Deutschlands, ist es seit der Wiedervereinigung auf ein Niveau gestiegen, das höher ist als in Spanien und knapp hinter dem in Frankreich und Italien liegt. Bereinigt um die Lebenshaltungskosten lag das jährliche BIP pro Person im Jahr 2021 in Görlitz um 9.200 Euro höher als in Zgorzelec, dem polnischen Teil der Stadt, der gleich hinter der Brücke liegt.Die Wahlversprechen der GrünenPolitiker, die sich davor scheuen, die Bürger für ihre Umweltverschmutzung zur Kasse zu bitten – aufgeschreckt durch die Proteste der Landwirte, die in diesem Jahr in ganz Europa ausgebrochen sind – befürchten, dass die wahrgenommenen Kosten des grünen Wandels die armen und ländlichen Wähler zu radikalen Parteien treiben. Die Forscher sind skeptisch. „Wir finden in unseren Daten keine Beweise dafür“, sagt Kollberg. „Es ist die Ideologie, die die Unterschiede ausmacht, nicht das Einkommen“.Für die Grünen, die auf einer Welle der Unterstützung für den Klimaschutz in eine Dreierkoalition im Jahr 2021 geritten sind, ist die unpopuläre Politik eine natürliche Folge der Wahlversprechen, die Zunahme extremer Wetterereignisse zu verhindern.Bei der letzten Bundestagswahl, kurz nachdem tödliche Überschwemmungen, die durch den Zusammenbruch des Klimas verstärkt wurden, mehr als 180 Menschen im ganzen Land getötet hatten, verpflichteten sich alle großen Parteien mit Ausnahme der AfD, die Erwärmung des Planeten bis zum Ende des Jahrhunderts auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu halten.Angriffe auf ParteimitgliederDoch seither sind die Grünen zum Prügelknaben in den Medien geworden und im wirklichen Leben Opfer von weit mehr Aggressionen als andere Parteien.Der Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck wurde im Januar beim Verlassen einer Fähre von einem Mob bedrängt, und die Co-Vorsitzende Ricarda Lang wurde im Februar von Landwirten am Verlassen einer Parteiveranstaltung gehindert, die Feuer entzündeten und Straßen mit Traktoren blockierten.Vor dem Büro der Görlitzer Grünen, das auf der Route der wöchentlichen Demonstrationen liegt, sagte die Parteisprecherin Carolin Renner, dass ihr und ihren Kollegen Morddrohungen ins Gesicht geschrien, White-Pride-Aufkleber an die Tür geklebt und täglich eine Flut von hasserfüllten Kommentaren auf ihren Social-Media-Kanälen gepostet worden seien. Kurz vor Weihnachten kippten Demonstranten Pferdemist vor dem Büro der Grünen im nahe gelegenen Zittau aus. „Es ist beängstigend“, sagte Renner. „Wenn man hier [in der Geschäftsstelle] arbeitet, kann man nirgendwo anders hin.“Rhetorik gegen KlimaaktivistenDie Grünen sind nicht nur ein Ziel der Rechtsextremen. Friedrich Merz, der Vorsitzende der konservativen Opposition, bezeichnete die Grünen als den „Hauptgegner“ seiner Partei in der Regierung, während Michael Kretschmer, der konservative Ministerpräsident von Sachsen, der mit den Grünen zusammen regiert, seine Koalitionspartner als „diese Leute“ verhöhnte, die er nicht besonders mag.Klimaaktivisten im ganzen Land – zumeist junge Frauen – sind Beschimpfungen ausgesetzt, die ihrer Meinung nach noch schlimmer werden, wenn sie von den etablierten Politikern als „Öko-Terroristen“ und „Klima-Taliban“ bezeichnet werden. Bei einer öffentlichen Veranstaltung vor zwei Jahren verglich der Bundeskanzler Olaf Scholz allem Anschein nach eine Gruppe radikaler Klimaaktivisten mit Nazis – ein Vorwurf, den er zwar bestritt, sich aber wiederholt weigerte zu erklären.„Ich glaube nicht, dass [die nationale Rhetorik] einen direkten Einfluss darauf hat, wie die Leute in Görlitz auf uns reagieren“, sagte Renner, die letztes Jahr wegen der Drohungen nach Dresden gezogen ist. „Aber auf lange Sicht normalisiert es die Gewalt und die Art und Weise, wie man auf seine Gegner losgeht.“Gegen die „grüne Ideologie“Sebastian Wippel, AfD-Abgeordneter im sächsischen Landtag, sagte in seinem Büro in der Görlitzer Innenstadt, dass alle drei Parteien der Bundesregierung Verantwortung für ihre Politik trügen, nicht nur die Grünen. Die Grünen vertreten aber in vielerlei Hinsicht „ein ideologisches Weltbild, das dem unseren völlig widerspricht“, fügte er hinzu.„Unsere Wähler haben wenig Angst vor dem Klimawandel“, sagte Wippel, der 2019 beinahe Oberbürgermeister von Görlitz geworden wäre, und fügte hinzu, dass sich die AfD-Anhänger Sorgen darüber machten, dass die Energiepolitik die Lebenshaltungskosten in die Höhe treibe und ihren Geldbeutel schwäche. „Man bekommt den Eindruck, dass die Regierung, wie wir in Deutschland sagen, mit Kanonen auf Spatzen schießt“, sagte er.In seiner jüngsten Überprüfung der wissenschaftlichen Forschung kam der Weltklimarat (IPPC) zu dem Schluss, dass der Mensch für den gesamten beobachteten Temperaturanstieg von 1,2 °C seit der industriellen Revolution verantwortlich ist.Wippel sagte, das Spektrum der Ansichten innerhalb der AfD reiche von denen, die nicht glaubten, dass sich das Klima verändere, über diejenigen, die glaubten, dass es sich verändere, aber dass der Beitrag der Menschheit unbekannt sei, bis hin zu denen, „die, sagen wir mal, diesem grünen Narrativ folgen“. Letztere seien zwar selten, „aber es gibt sie“, fügte er hinzu.Deutsche Mehrheit für mehr KlimaschutzDie Ansichten der AfD zum Thema Klima scheinen ihre Kernanhänger nicht zu beunruhigen, könnten der Partei aber Probleme bereiten, wenn sie versucht, ihre Wählerschaft zu vergrößern.Die große Mehrheit der Deutschen akzeptiert, dass der Mensch das Klima verändert – auch wenn ihre Ansichten darüber, wie die Verschärfung des Klimawandels aufgehalten werden kann, und ihre Bereitschaft, dies zu tun, stark variieren. Die Wähler, die sich am meisten Sorgen um die Migration machen, könnten sich fragen, was es bedeutet, wenn wir zulassen, dass die Temperaturen in Afrika und Asien auf immer unerträglichere Werte steigen.„Das sehe ich nicht“, sagte Wippel. „Das Problem der Migration ist nicht das Klima, sondern die unterschiedlichen Lebensbedingungen, die bereits in den Ländern herrschen.“Einig sind sich Grüne und AfD darin, dass beide Parteien keinen Sinn darin sehen, der jeweils anderen Partei Stimmen abzujagen, sondern lieber die Menschen in der politischen Mitte Deutschlands überzeugen wollen. Und während es unwahrscheinlich ist, dass ihre Klimapolitik Wähler auf der anderen Seite des politischen Spektrums anzieht, ist es auch unwahrscheinlich, dass sie ihre eigenen Anhänger abschreckt, so Kollbergs Forschung. „Wir denken, dass Polarisierung ein schlechtes Wort ist, aber unsere Ergebnisse sind in gewisser Weise sogar positiv“, sagte Kollberg. „Progressive Parteien können eine ehrgeizige Klimapolitik betreiben, ohne dass sie mit massiven Rückschlägen bei ihren eigenen Wählern rechnen müssen.“
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