Weder Kopf noch Herz

Innenminister Flüchtlingsdrama und NSA-Überwachung: Hans-Peter Friedrich wirkt mehr als hilflos. Unser Autor hat versucht ihn zu verstehen, in einem persönlichen Brief
Dass Hans-Peter Friedrich sich nicht um Flüchtlinge kümmert, kann man angesichts solcher Bilder schlicht nicht glauben.
Dass Hans-Peter Friedrich sich nicht um Flüchtlinge kümmert, kann man angesichts solcher Bilder schlicht nicht glauben.

Foto: Julian Stratenschulte/ dpa

Sehr beschäftigter Innenminister Friedrich,

haben Sie manchmal das Gefühl, Sie kommen nicht dazu eigene Themen zu setzen? Ich bin mir sicher, dass würden Sie gerne tun. Und dann sterben wie aus heiterem Himmel 300 Flüchtlinge vor der italienischen Küste - und das berührt die Menschen.

Plötzlich sind Flüchtlinge ein Problem. Das waren sie vorher ja nicht. Und als zuständiger Minister müssen Sie angemessen darauf reagieren. In gewohnter CSU-Manier, wie ein waschechter Hardliner, versteht sich.

Sie haben blitzschnell reagiert. Und die Vorschläge, die Sie aus dem Hut gezaubert haben, sind geradezu revolutionär: Eine Konferenz für Syrien-Flüchtlinge, die Seenotrettung aufrüsten, mit afrikanischen Staaten zusammenarbeiten. Mehr können Sie als deutscher Innenminister wirklich nicht tun. Eine sinnvolle Flüchtlingspolitik kann nur auf europäischer Ebene funktionieren.

Deutschland könnte als wirtschaftlich stärkstes Land in der EU Italien bei der Problemlösung unter die Arme greifen, vielleicht sogar als Vorreiter dastehen. Aber wo kämen wir hin, wenn wir unseren Nachbarn bei jedem gekenterten Flüchtlingsboot Hilfe anböten? Zu einem solidarischen Europa? Womöglich gar zu einer Flüchtlingspolitik, die sich an den Betroffenen ausrichtet?

Immerhin haben Sie auf europäischer Ebene durchgesetzt, dass das Schengen-Abkommen verwässert wird. So können Flüchtlinge an den innereuropäischen Grenzen leichter aussortiert werden. Damit haben Sie schon einen großen Schritt in Richtung Problemlösung geleistet.

Denn von einem CSU-Innenminister kann man nicht erwarten, dass er seine treuen Wähler mit einem Akt der Menschlichkeit verprellt. Ein Beispiel dafür wäre das Einwanderungskontingent für Flüchtlinge zu erhöhen - oder die Grenzen gleich ganz zu öffnen.

Wer dafür argumentiert und womöglich noch auf die Menschenwürde verweist, verschließt die Augen vor der deutschen Realität. Sollen Flüchtlingscamps wie auf dem Oranienplatz etwa weiter wachsen? Sollen noch mehr Flüchtlinge vor dem Brandenburger Tor hungern? Nein, danke. Dann sorgen wir lieber dafür, dass sich Italien effektiv wehren kann gegen die Eindringlinge, auch im Namen Deutschlands.

Wenn Sie weder Kopf noch Herz für ertrinkende Flüchtlinge haben, kann das nur daran liegen, dass Sie noch eine andere Baustelle haben: Edward Snowden und die Überwachung durch die NSA. Deren ehemaliger Mitarbeiter behauptet, dass deutsche Bürger von amerikanischen Geheimdiensten ausgespäht werden.

Ungeheuerlich, unseren amerikanischen Freunden einen Vorwurf zu machen! Die Datenschützer schreien Zeter und Mordio, 20.000 Menschen protestierten kürzlich gegen die Überwachung. Zum Glück bewahrt einer die Ruhe. Und das sind Sie.

Wenn die Amerikaner uns glaubhaft versichern, dass ihre Geheimdienste uns nicht ausspionieren, warum sollten wir daran zweifeln? Immerhin haben Sie der US-Regierung vor Ort knallharte Fragen gestellt - und "ganz klare Antworten" erhalten. Als Innenminister wissen Sie, dass sich Geheimdienste strikt an die Gesetze anderer Länder halten.

Es soll uns erstmal jemand beweisen, dass die Amerikaner uns ausspionieren! Abgesehen von dem Bericht des EU-Parlaments, der belegt, dass ausländische Geheimdienste in die Grundrechte der EU-Bürger eingreifen, gibt es tatsächlich kein Grund zur Beunruhigung. Es ist schließlich kein Supergrundrecht betroffen.

Wir sind uns sicher einig, dass man Ihnen nicht die Chance gegeben hat, Ihren Job zu machen. War nicht die Sicherheit das Thema, das Sie setzen wollten - vor allen anderen? Stattdessen müssen Sie sich jetzt mit Themen wie Menschenwürde und Freiheit herumschlagen. Das ist ärgerlich. Damit Sie sich das nicht länger antun zu müssen, sehe ich nur einen Ausweg: Überlassen Sie den Job jemandem, der etwas davon versteht!

Darum bittet höflich,

Timo Stukenberg

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Geschrieben von

Timo Stukenberg

Kölner Journalistenschüler und VWL-Student. Lieblingsthemen: Gesundheit und Datenjournalismus.

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