Als Geert Wilders Ende November mit seiner Partij voor de Vrijheid (PVV) die Parlamentswahl gewonnen hatte, kündigte er an, „Premier aller Niederländer“ sein zu wollen, „unabhängig von Glaube, Geschlecht, Hautfarbe, was auch immer“. Bemerkenswert war das deshalb, weil Wilders bis dahin eher das Gegenteil versprochen hatte: Politik betreibe er „für Henk und Ingrid“ (ein fiktives, in prekären Verhältnissen lebendes Paar ohne Migrationshintergrund) und „nicht für Ali und Fatima“. Der Kontrast zwischen beiden Aussagen sorgt dafür, dass im ganzen Land darüber diskutiert wird, ob die PVV nun regieren und ihr 60-jähriger Gründer tatsächlich Regierungschef werden sollte. Anders ausgedrü
52;ckt, wie viel Wilders von gestern, jener zeternden Galionsfigur aus der rechtspopulistischen Schmuddelecke, steckt noch im neuen, vermeintlich moderateren Anwärter aufs höchste Regierungsamt? Trifft es zu, dass Wilders nach gut 25 Jahren im Parlament altersmilde geworden ist?Kultureller Nationalismus mit sozialem AnspruchDie Antwort lautet: Geert Wilders wird sich treu bleiben. Er mag, um regieren zu können, auf Kompromisse bedacht sein und zugunsten etwaiger Koalitionäre Abstand von diskriminierender, antimuslimischer Programmatik nehmen. Aber schon mit rhetorischer Mäßigung ist es nicht weit her. Er hat nach wie vor Schlagworte wie „Asyl-Tsunami“ im Repertoire und klagte im Frühjahr bei einer rechten Demonstration in Den Haag über „Asylbewerber, die sich jeden Tag vollfressen, während unsere Alten im Heim mit 100 Gramm Fleisch und 150 Gramm Gemüse auskommen müssen“.Letzteres führt zur Erklärung von Wilders’ Wahlerfolg. Er hat es verstanden, einen identitären, kulturellen Nationalismus mit sozialem Anspruch auszustatten. Schon das erste Wahlprogramm der PVV von 2006 war mit der Ansage überschrieben: „Die Niederländer wieder an erster Stelle“, doch gab es nicht nur Law-and-Order-Parolen wie: „Mehr Blau auf der Straße!“, womit die Polizei gemeint war, sondern ebenso die Forderung: „Mehr Hände am Bett“, sprich: mehr Pflegekräfte in Heimen und Kliniken. Derzeit will Wilders die Kaufkraft fördern, den Eigenbeitrag zur Krankenversicherung abschaffen und einen „Asyl-Stopp“ verhängen.In Venlo geborenIn der unscheinbaren Grenzstadt Venlo aufgewachsen, was man seinem für die Provinz Limburg typischen Dialekt anmerkt, arbeitete Wilders als junger Mann im Sozialversicherungsdienst. Seine politische Laufbahn begann bei der liberal-rechten Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD), seit 2010 in Den Haag immer die stärkste der regierenden Parteien. 2004 kehrte er diesem Lager den Rücken, als kurzzeitig ein EU-Beitritt der Türkei in der Luft lag. Für Aufregung sorgte Wilders als junger Abgeordneter mit seinen Warnungen vor einem politischen Islam und dessen möglicher Hinwendung zum Dschihad. Als seine PVV, deren einziges Mitglied er war und blieb, dann erstmals ins Parlament einzog, wurde er international bekannt.Als geistiger Erbe des 2002 ermordeten Pim Fortuyn, der Leitfigur des niederländischen Rechtspopulismus, übernahm Wilders dessen Sicht auf den Islam und diskriminierende Semantik. Im aufgeheizten Klima nach dem Mord an dem Filmemacher Theo van Gogh im November 2004 musste Wilders wegen islamistischer Todesdrohungen auf Personenschutz zurückgreifen. Was ihn nicht daran hinderte, bei einem jederzeit leicht entflammenden Migrationsdiskurs Öl ins Feuer zu gießen.Wilders stand zweimal vor GerichtEr beschränkte sich keineswegs auf die Kritik eines politischen Islam, sondern hetzte gegen muslimische Einwanderer, ihre Nachkommen, die „Masseneinwanderung“, eine multikulturelle Gesellschaft oder gegen osteuropäische Arbeitsmigranten. Im Ausland galt er bald als „Islam-Hasser“. Zweimal stand er deswegen vor Gericht: 2011 wurde er vom Vorwurf der Anstiftung zu Hass und Diskriminierung sowie von einer Anklage wegen Beleidigung freigesprochen. 2016 hingegen sah er sich wegen Beleidigung von Menschen marokkanischer Herkunft verurteilt, aber nicht bestraft, weil das Gericht einen Schuldspruch für ausreichend hielt.International trat Wilders, der schon 2005 gegen eine EU-Verfassung agitiert hatte, als Befürworter eines „Nexit“, eines EU-Austritts der Niederlande, in Erscheinung. Zugleich war er gemeinsam mit Marine Le Pen einer der Architekten der Rechtsaußen-Fraktion Identität & Demokratie (ID) im EU-Parlament, der unter anderem die AfD, die FPÖ und die Lega angehören. „Brüssel“ gelten regelmäßig seine verbalen Attacken ebenso wie „Den Haag“, „der Elite“ oder dem „Grachtengürtel“ Amsterdams.Ihren so deutlichen, teils überraschenden Wahlsieg am 22. November verdankt die PVV einer stark ausgeprägten Anti-Zuwanderungsstimmung in den Niederlanden, aber auch ihren Plänen gegen Kaufkraftverluste und Wohnungskrise sowie dem nach den Skandalen der Rutte-Ära miserablen Leumund etablierter Politik. An einem Abend Ende November tauchte Wilders im Haager Quartier Kijkduin auf, um den dortigen Protest gegen die Unterbringung von Asylbewerbern in einem Hotel zu unterstützen. Man empfing ihn mit Jubel und „Geertje“-Sprechchören.