Schlechter Scherz

Übernahme Die Berliner Zeitung hat neue Eigentümer, gebürtige Ostberliner. Für manchen ein Grund zur Häme. Das zeigt, wie tief die Vorurteile gegen „Ossis“ noch sitzen
Ausgabe 39/2019
Was der Eigentümerwechsel für die Angestellten bedeutet, ist noch nicht klar
Was der Eigentümerwechsel für die Angestellten bedeutet, ist noch nicht klar

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Gehen zwei Psychoanalytiker spazieren … Mit solchen Sätzen beginnen Witze. Sigmund Freud hat ein Buch darüber geschrieben. „Es lag mir daran, die Quelle der Lust am Humor zu finden. Und ich meine, ich habe gezeigt, dass der humoristische Lustgewinn aus erspartem Gefühlsaufwand hervorgeht.“

Vor ein paar Tagen haben die Unternehmer Silke und Holger Friedrich die Berliner Zeitung gekauft. Einst SED-Zeitung und doch im Ruf, nicht ganz so schlimm gewesen zu sein. Immer noch Ostberliner Gazette, und doch hat eine schon seit Jahren eingesickerte West-Tonalität die Seele der Leserschaft gekränkt. Als einmal einer der neuen Herren die Washington Post zum Vorbild erhob, schüttelten manche in Ostberlin den Kopf – der damalige Besitzerwechsel wirkte wie Zitronenlake in offener Hüben-drüben-Wunde. Warum ausgerechnet Washington?

Nun also wieder einmal verkauft, und man drückt die Daumen, schon der vielen Kolleginnen wegen, nicht zu vergessen jene in der Druckerei. Daumendrücken auch den neuen Besitzern. Ein Wochenblatt titelte über jene: „Kaufen sich zwei Ostberliner eine Zeitung“.

So beginnen Witze. Ist das lustig? Der Autor nämlicher Zeile wollte den neuen Eigentümern nichts Böses. Vielleicht ist es so: weil es sich bei den Friedrichs um Leute handelt, die schon ihrer Bescheidenheit wegen in der Branche auffallen. Denen nicht zuallererst irgendwas mit Vier-Punkt-Null zum Journalismus einfällt, die stattdessen vom Osten nicht nur reden, sondern auch von dort her fühlen – deshalb löst so eine Schlagzeile Unbehagen aus. Weil sie den Fakt an sich ins Lächerliche zieht. Unbewusst wohl, so wie es Witze nun einmal tun. Ist es immer noch lustig, wenn einmal Leute einen medial beachteten Deal schließen, die nicht aus dem Westen kommen?

„Kaufen sich zwei Ostberliner eine …“ Und der Osten denkt: humoristischer Lustgewinn aus erspartem Gefühlsaufwand. Im eingangs erwähnten Witz übrigens dreht sich alles um einen Ertrinkenden, der um Hilfe ringt, während die Psychoanalytiker ungerührt weitergehen. Als der in Not Geratene schließlich ruft: „Ich ertrinke!“, meint einer der Ärzte zum anderen: „Wurde ja auch Zeit, dass er sein Problem erkennt.“

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Tom Strohschneider war Redakteur des Freitag, arbeitete dann kurz bei der taz und von 2012 bis 2017 als nd-Chefredakteur

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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