Klassenkampf statt Klimakrieg

Konsumeinschränkung In der Klimadebatte werden oft apokalyptische Szenarien bemüht, um den Ernst der Lage zu betonen. Das birgt die Gefahr, dem Klimaschutz soziale Gerechtigkeit zu opfern

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Raus aus dem Klassenzimmer - rein in den Klassenkampf?
Raus aus dem Klassenzimmer - rein in den Klassenkampf?

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Der Klimawandel ist sicher eine der gewaltigsten Herausforderungen, denen die Menschheit sich je gegenüber gesehen hat. Und er hat längst begonnen. Die Menschheit weiß das seit Jahrzehnten – und hat dennoch bisher kaum etwas dagegen unternommen. Was die Lage natürlich nicht besser macht. Um deren Ernst zu unterstreichen, werden daher zunehmend Beschreibungen und Szenarien bemüht, die die Dramatik der Situation veranschaulichen sollen. Von der Klimakatastrophe ist dann die Rede oder gar einer Apokalypse. Oder auch von einem Klimakrieg. Diese Terminologie eignet sich dann hervorragend, um zur Bewältigung dieser Krise den Ausnahmezustand auszurufen und etwa eine extrem steuernde Kriegswirtschaft zu fordern, die vom Urlaubsflug bis zur täglichen Mahlzeit jeglichen Konsum reguliert und rationiert.

Es stellt sich bei diesen militärisch-apokalyptischen Begrifflichkeiten allerdings die Frage, was durch sie wirklich gewonnen wird? Werden sie in der westlich industrialisierten Welt tatsächlich zu einem Umdenken führen, solange die Kriegskatastrophe bei ihnen erst einmal vor allem in jeder Menge gutem Wetter besteht? Ja, wir müssen den Tatsachen des Klimawandels und seiner Folgen schonungslos ins Auge sehen und darauf reagieren. Und ja, der Klimawandel führt bereits heute zu zahlreichen internationalen Konflikten. Harald Welzer hat dafür schon vor zehn Jahren den Ausdruck „Klimakriege“ geprägt. Und doch läuft ein allzu katastrophisches Szenario Gefahr, den positiven Möglichkeitssinn zu lähmen und stattdessen vor allem dazu missbraucht zu werden, schmerzhafte Maßnahmen auf Kosten der Schwachen durchzusetzen, sprich die vermeintlich grüne Wende auch noch ohne sozialen Ausgleich herbeizuführen.

Denn die meisten der bisher vorgeschlagenen Maßnahmen bergen diese Gefahr, von CO2-Bepreisung über Elektromobilität bis hin zur Fleischsteuer. Wenn alles teurer wird, also realistischere Preise bekommt und dadurch weniger konsumiert wird, mag das gut fürs Klima sein. Aber wenn es einfach bei den höheren Preisen bleibt, geht der Klimaschutz vor allem zulasten der Ärmeren. Da nützen dann auch keine zehn oder zwanzig Prozent günstigeren Bahntickets (wenn die Steuervergünstigungen hier überhaupt voll bei den Fahrgästen ankommen) oder Elektroautos, wenn ich als Pendler auf dem Land gerade erst mühsam meinen Diesel abbezahlt habe. Und wenn ich dann auch noch um einen ersatzlosen Wegfall meines Jobs in der Braunkohle bangen muss, dürfte mich die Aussicht auf ‚Verzicht fürs Klima‘ nicht gerade begeistern. (Die Angst vor der Klimakatastrophe ist hier durch die Angst vor dem Jobverlust nur eher mittelmäßig gut ersetzt.)

Eine Lösung versprechen hier Konzepte eines „Green New Deal“ – sofern sie grüne Investitionen auch mit einer Abkehr vom Wachstumsparadigma verbinden und damit einem neuen Begriff von Wohlstand, der sich nicht mehr nur materiell versteht und allein am stetigen Wachstum des BIP orientiert ist. Das ist der Fall etwa in dem Entwurf eines „Green New Deal for Europe“ (GNDE), einer gemeinsamen Initiative der paneuropäischen Partei DiEM25, der New Economics Foundation und anderer Organisationen. Wie schon die zahlreichen „Green New Deal“-Vorschläge in der Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise seit 2008 sowie der aktuelle Vorstoß einiger US-Demokraten ist auch der GNDE, ganz im Sinne des ursprünglichen „New Deal“ Franklin D. Roosevelts aus den 1930er Jahren, in erster Linie ein Konjunkturprogramm, sozusagen grüner Keynesianismus, finanziert über Zentralbankgeld. Doch eine der „zehn Säulen“ des GNDE lautet auch „Schluss mit dem Dogma des endlosen Wachstums“. Nicht mehr das stetig steigende BIP soll der Indikator für Wohlstand und Fortschritt sein, sondern Ziele wie „Gleichheit, Umwelt, Zufriedenheit und Gesundheit“ im Mittelpunkt stehen.

Damit ist dieses Programm einem der Säulenheiligen aller „New Deal“-Politik, John Maynard Keynes, sogar noch näher, als es die gemeinhin mit seinem Namen verbundenen Maßnahmen einer antizyklischen, expansiven Fiskalpolitik ohnehin schon suggerieren. Keynes entwickelte aber bereits 1930 die Vision einer Zukunft, in der die Menschen den gesellschaftlich erarbeiteten und dadurch enorm gewachsenen Wohlstand in erster Linie einfach nur noch genießen, anstatt durch gleichbleibende Arbeitsleistung immer weiter zu wachsen. Für das Jahr 2030 avisierte Keynes damals eine durchschnittliche Arbeitszeit von etwa 15 Stunden in der Woche, die genügen sollten, um allen ein ausreichend gutes Leben zu ermöglichen. Was den wachsenden gesellschaftlichen Wohlstand angeht, war Keynes‘ Vision äußerst treffsicher. Nur von der gleichfalls zunehmenden sozialen Ungleichheit sowie den scheinbaren heutigen Konsumnotwendigkeiten hatte er eine weniger genaue Vorstellung.

Das Democracy in Europe Movement 2025, kurz DiEM25, das mit seiner durchgreifenden Demokratisierungsagenda für Europa inklusive eines „Green New Deal“ mit einer transeuropäischen Liste bei den EU-Wahlen antrat, scheiterte mit seinem Spitzenkandidaten Yanis Varouvakis knapp an einem Einzug ins Parlament. Auf welche Weise dieses Konzept aber nun von der anderen politischen Seite aufgenommen wird, zeigt der von der neuen Kommisionspräsidentin Ursula von der Leyen kürzlich in Aussicht gestellte „Green Deal“ für die EU. Denn es ist nicht nur eine beliebige sprachliche Variation, dass das „Neue“ hier unter den Tisch fällt. So bleibt vom ursprünglich intendierten Neumischen und (Um-)Verteilen der Karten – im Sinne des Rooseveltschen „New Deal“ – letztlich nur noch ein schnöder unternehmerischer „Deal“, wie kein anderer als Donald Trump ihn erfolgreich zur Grundlage der Politik zu machen sich rühmt. So aber werden Wohlstand und Arbeit für alle dem Modethema Klimaschutz geopfert, anstatt mit ihm in Ausgleich gebracht zu werden.

Unter den gegebenen Umständen besteht die Gefahr, dass die Klimafrage zu einem neuen Klassenkampf wird, und zwar sowohl entlang der alten ökonomischen Konfliktlinie zwischen Kapital und Arbeit, als auch der neuen kulturellen zwischen Kosmopoliten und Kommunitaristen, durch die die alte zwar zunehmend verdeckt wird, aber deswegen nicht verschwunden ist. Kein Wunder, dass die rechtsnationalen „Kommunitaristen“ der AfD etwa in den Braunkohlegebieten sich weniger für Klimaschutz interessieren, als wenigstens so zu tun, ihren den Kohleausstieg fürchtenden Anhängern eine Zukunftsperspektive zu bieten. Und ebensowenig Wunder, nachdem man jahrzehntelang kein anderes Wohlstandsverständnis als ein rein konsumistisches propagiert hat, dass auf Einschränkungen nun vor allem diejenigen allergisch reagieren, die ihr bisschen Konsum nicht einfach durch kosmopolitisch-kulturelles Kapital substituieren können.

Ein instruktives Beispiel für eine Verwischung dieser alten und neuen Konfliktlinie hat kürzlich Wolfgang Uchatius in einem Dossier der Wochenzeitung Die Zeit gegeben. Er vergleicht das heutige Weltproblem des Klimawandels mit dem alten Weltproblem der Sklaverei und schreibt: „Heute ist die Sklaverei abgeschafft. […] Noch immer gibt es Zwangsarbeit auf der Welt, noch immer schuften Arbeiter mancherorts für ein paar Münzen am Tag. Die Ausbeutung des Menschen ist noch existent, aber sie hat stark abgenommen. Was zugenommen hat, ist die Ausbeutung der Erde.“ Das ist zwar zutreffend, aber leider eine etwas zu einfache Gegenüberstellung. Denn im Grunde sind beide Formen der Ausbeutung schon immer – und immer noch – aufs Engste verknüpft. Dass die in Menschenrechtsfragen ach so vorbildliche (nord)westliche Welt die größten und – in mehrfacher Hinsicht – schmutzigsten Teile ihrer industriellen Produktion inzwischen in den globalen Süd(ost)en verlagert hat, verschleiert für uns nur die Verhältnisse.

Dementsprechend einfach ist Uchatius‘ Lösungsvorschlag: mehr „verbieten“ und „verteuern“, denn „auch die Natur braucht Sozialgesetze.“ Er sagt aber nicht dazu, wie wichtig es ist, bei diesem Verbieten und Verteuern gleichzeitig zu verhindern, dass diese Sozialgesetze für die Natur in erster Linie zulasten derer gehen, für die ursprünglich Sozialgesetze geschaffen wurden. Uchatius hat vollkommen recht, wenn er eine „Stärke der Schwachen“ im Politischen statt im Privaten sieht: „sie zeigt sich nicht im Verzicht, sondern auf der Straße, die Straßen müssen nur voll genug sein.“ Er ist nur etwas unachtsam bei der Zuordnung der Schwachen. Denn das sind ja wohl nicht so sehr die jungen, urbanen „Fridays for Future“-Demonstranten, deren Eltern – so wie der umweltbewusste Zeit-Autor selbst – vielleicht oftmals schon gar kein Familienauto mehr besitzen, auf das sie verzichten könnten, die Politik aber dazu zwingen müssen, ihnen die Urlaubsflüge zu verbieten. Schon eher sind es die Menschen, die sich überhaupt keinen Urlaub leisten können. Etwa diejenigen, die ebenfalls seit dem vergangenen Herbst in Frankreich nicht so einfach streiken gehen konnten, um ihre Unzufriedenheit mit der Politik zum Ausdruck zu bringen, und die sich stattdessen Samstags ihre gelben Warnwesten angezogen haben, um klar zu machen, dass sie nicht bereit sind, Klimaschutz um den Preis von sozialer Gerechtigkeit in Kauf zu nehmen.

Auch sie haben einiges erreicht. Wirklich am Ziel wird der gesellschaftliche Fortschritt in dieser Frage allerdings wohl erst dann sein, wenn Gelbwesten und Fridays-for-Future-Demonstranten irgendwann einmal gemeinsam auf die Straße gehen. Vielleicht ja einfach am „Framstag“ (dem beliebten Aktionstag eines großen deutschen Lebensmitteldiscounters), um zusammen für Alternativen zu einem System einzutreten, für das Wohlstand sich allein in Wirtschaftswachstum bemisst und in dem nicht einfach „die“ Menschen die Natur ausbeuten. Sondern in dem einige wenige, sehr wenige Menschen sehr viele, nämlich so gut wie alle anderen Menschen UND die Natur ausbeuten, um sich durch künstlich kreierte Konsumzwänge an ihnen zu bereichern. Für Alternativen dazu müssen wir alle, Kosmopoliten und Kommunitaristen, gemeinsam die Straßen und Plätze fluten. Und am besten dehnen wir die Demos auch noch bis Montag aus, damit auch die Demonstranten in Dresden und anderswo möglichst bald endlich einmal wieder auch echte politische Alternativen haben. Denn die eigentlich relevante Frage ist doch, wie diese mentale Revolution gelingen kann, ohne dass es irgendwann tatsächlich zu (weiteren) kriegsähnlichen Zuständen und den mit ihnen einhergehenden weiteren sozialen Verwerfungen und Verschärfungen kommt.

Dieser Beitrag erscheint auch bei demokratiEvolution.
Eine überarbeitete Fassung erschien zuerst im Neuen Deutschland.

Update 5.9.: Eine Übersetzung ins Japanische durch Prof. Seung Joon Park erschien inzwischen auf der Webseite der NGO e-Mirai Kousou, Einführung von Uiko Hasegawa, Co-Vorsitzende der japanischen Grünen.

Update 18.11.: Nun auch übersetzt ins Englische.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tom Wohlfarth

Politische Theorie und Kultur

Tom Wohlfarth

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