Es musste wohl so kommen und wird weiter eskalieren. Israel tut, was es kann. Zunächst blieb Teheran nach dem Angriff auf die Botschaft in Syrien kaum etwas anderes übrig, als die kontrollierte Eskalation mit dem „kleinen Satan“ zu suchen. Alles sonst hätten die Verbündeten der Mullahs in der Region als Schwäche gedeutet. In der Folge wäre Irans Führungsanspruch in der „Achse des Widerstandes“ geschwächt worden und damit das wichtigste Instrument regionaler Machtprojektion.
Teheran hat versucht, diesem Dilemma in Großmachtmanier zu begegnen. Und das recht erfolgreich. Seine Reaktion auf den Anschlag in Damaskus war militärisch beispiellos, eindrücklich, auf strategische Ziele begrenzt und diplomatisch eingehegt.
militärisch beispiellos, eindrücklich, auf strategische Ziele begrenzt und diplomatisch eingehegt. Es war eine Machtdemonstration mit Vorankündigung in Washington (und damit in Jerusalem), versehen mit der deutlichen Botschaft: Wir können weiter eskalieren; aber wir würden es dabei belassen. Fürs erste jedenfalls. Denn der Iran hat kein Interesse daran, einen regionalen Kriegszustand herbeizuführen. Warum auch, wenn die israelische Kriegsführung in Gaza dem Regime in Teheran und seinen Verbündeten in die Hände spielt? Wenn der Gaza-Krieg arabische Regimes in der Golfregion dazu nötigt, sich von einem strategisch ausgleichenden Kurs gegenüber Israel zu verabschieden, bevor dieser wirklich begonnen hat? Und wenn die israelische Führung mit ihrer Kriegsführung selbst etablierte arabische Partner wie Ägypten und Jordanien in Opposition zu Benjamin Netanjahus Kriegskabinett zwingt?Israels zutiefst unmoralisches Vorgehen in GazaAngesichts der nicht mehr zu rechtfertigenden Art und Weise, wie das israelische Militär seit Monaten versucht, den Gazastreifen zu „befrieden“ und die Hamas zu eliminieren, ist jeder anti-israelischen Propaganda Tür und Tor geöffnet, zugleich jeder berechtigten Kritik am Vorgehen von Israels Armee IDF.Für die einzige Demokratie im Nahen Osten muss die Verhältnismäßigkeit der Mittel ein nicht verhandelbares Axiom sein. Auch deshalb sind Zehntausende unschuldig getötete und zigtausend mehr vertriebene, geflüchtete und verzweifelte Menschen in einem völlig zerbombten Landstrich ohne Aussicht auf Rettung vor Tod und Zerstörung inakzeptabel. Wer so Krieg führt, handelt zutiefst unmoralisch und wird nicht gewinnen. Das sollte auch Israel aus dem sogenannten „Krieg gegen den Terror“ gelernt haben.Israel, Saudi-Arabien – und PalästinaDer brutale und menschenverachtende Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 war eine Reaktion auf den diplomatischen Vorstoß der Netanjahu-Regierung, mit Saudi-Arabien und anderen arabischen Regimes zu einem strategischen Ausgleich zu kommen, ohne dabei die Palästinafrage explizit in den Blick zu nehmen. Dieses politische Manöver war ein durchaus ernsthafter Versuch von Netanjahus Rechtsaußenkoalition, sich regional- und machtpolitisch um die Kernfrage des Nahostkonfliktes herumzumogeln. Solche Manöver waren in der Vergangenheit taktisch und auf kurze Sicht gelegentlich erfolgreich, haben aber strategisch fast immer Schiffbruch erlitten.So sollte es auch diesmal sein. Die tatsächliche und perspektivische Sicherheit des israelischen Staates wird immer davon abhängen, wie Israelis und Palästinenser im Heiligen Land zusammenleben. Und das wird für einen sehr langen Zeitraum nur dank einer Zwei-Staaten-Lösung möglich sein. Die jedoch ist angesichts der aktuellen Machtverhältnisse unrealistischer als je zuvor. Für einen palästinensischen Staat gibt es unter den Bedingungen der gegenwärtigen israelischen Besatzungspolitik politisch und geografisch keinen Platz mehr. Dieser Raum des Möglichen ist seit Jahren im ganz engen Wortsinn besetzt. Und genau daran rüttelt jetzt das iranische Regime mit seinen Vasallen – sei es um der Palästinenser willen, sei es aus purem Machtkalkül.Innenpolitische Motive in Teheran und JerusalemDer daraus resultierende Teufelskreis ist in Jerusalem und Teheran gleichermaßen innenpolitisch grundiert. Netanjahu weiß, dass er politisch sehr schnell Geschichte sein könnte und vielleicht auf der Anklagebank landet, wenn er seinen Job als Regierungschef verliert. Und so tut er sichtbar alles, um seine persönliche Sicherheit mit dem Schicksal der von ihm geführten Regierung zu verbinden – ein Egotrip-Spiel mit dem Feuer, zu Lasten der Sicherheit des israelischen Staates. Und die ist deutlich wertvoller als das politische Überleben dieses Regierungschefs und seiner zum Teil mehr als zweifelhaften Koalitionäre.Das iranische Regime hingegen braucht und benutzt das palästinensische Narrativ, um den eigenen Machtambitionen in der Region Geltung zu verschaffen. Teheran hat die Rolle als Anwalt der Palästinenser bis dato sehr erfolgreich übernommen. Ein direkter militärischer Schlagabtausch mit Israel allerdings würde – nicht zuletzt vor diesem Hintergrund – ziemlich sicher in einem Desaster enden. Für das Mullah-Regime steht daher viel auf dem Spiel. Am Ende womöglich sogar die Islamische Republik selbst. So bleibt es für einen noch nicht überschaubaren Zeitraum zwischen Iran und Israel bei fünf vor zwölf. Der Schlüssel zur Deeskalation liegt in Washington. Nur wenn die Biden-Regierung Israel weiter die zwingend nötige Gefolgschaft bei einem Waffengang mit Teheran verweigert, kann ein regionaler Flächenbrand noch vermieden werden.