Olfat al-Kurd wurde im Gazastreifen geboren. Das Interview mit ihr konnte dank der Unterstützung eines Mitarbeiters von B’Tselem geführt werden, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit den Helfern von B’Tselem im Kriegsgebiet gerade jetzt Kontakt zu halten. B’Tselem ist in Israel seit Monaten Anfeindungen und Verleumdungen ausgesetzt
der Freitag: Wo wohnten Sie, bevor Sie flüchteten?
Olfat al-Kurd: Zusammen mit meinem Mann und den vier Kindern wohnten wir im Norden des Gazastreifens in Al Shuaiyeh nahe der Grenze zu Israel in einem Haus mit fünf Stockwerken. Es gehörte meinem Mann und ist in der zweiten Woche des Krieges durch israelische Bomben zerstört worden.
Wann verließen Sie Ihr Haus?
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den.Wann verließen Sie Ihr Haus? Kurz nach dem 7. Oktober schon packte ich das Nötigste und machte mich mit der Familie zu Fuß auf den Weg zu meiner Schwester Ghada in den Westen von Gaza. Wir kamen dort für drei Tage unter. Dann waren wir für eine Nacht bei einer Schwester meines Mannes. Anschließend flüchteten wir in das Al-Shifa-Krankenhaus weiter südlich, weil wir glaubten dort sicher zu sein.Placeholder image-1Wie lange konnten Sie dort bleiben? Nur drei Tage, dann drangen israelische Soldaten in die Gebäude ein. Sie wurden geräumt. Wir flohen weiter nach Süden nach Mughraqa kurz vor dem Wadi Gaza und dann in das Flüchtlingslager von Chan Yunis auf den wenigen Straßen, die überhaupt noch passierbar waren. Wir versuchten aus Plastikplanen selbst ein Zelt zu bauen, um uns vor Kälte und Regen zu schützen. Teile des Lagers drohten, überflutet werden, was gefährlich ist, denn es gibt dort keine Kanalisation. In Chan Yunis erfuhr ich, dass mein Vater durch fehlende Medikamente in Gaza-Stadt verstorben war. Er war zu schwach, um ihn auf die Flucht mitzunehmen. Wie viele Familienangehörige haben Sie seit Beginn der Kämpfe verloren? Außer meinem Vater einen Bruder mit seiner Frau, eine andere Schwägerin mit ihren fünf Kindern und viele entfernte Verwandte. Wer hat Ihre Toten beerdigt? Diejenigen, die sie gefunden haben und in der Lage waren, sie zu begraben. Aber es gibt keine geordneten Begräbnisse mehr. Die meisten Friedhöfe sind zerstört. Wie haben Sie sich versorgt, wenn Sie auf der Flucht waren? Wir haben versucht, vor allem für die Kinder Essen zu bekommen, aber insgesamt war es für die tagelangen Fußmärsche mit Gepäck viel zu wenig. Wir sind seit fünf Monaten immer wieder froh, wenn es wenigstens Brot gibt. Manche Güter kosten inzwischen bis zu 400 Prozent mehr, und es ist zunehmend schwieriger, an Geld zu kommen, da die meisten Geldautomaten zerstört sind. Nun sind wir auf der Flucht wie meine Großeltern 1948, die aus dem Ort al-Majdal am See Genezareth vertrieben wurden. Der Gazastreifen misst von Norden nach Süden etwa 42 Kilometer, aber durch die vielen Umwege haben wir auf der Flucht längere Strecken zurücklegen müssen. Wo befinden Sie sich im Augenblick? Im Moment in Rafah im Haus meines Bruders, der vor zehn Jahren bei einem israelischen Angriff ums Leben gekommen ist. Zusammen mit seiner Witwe sind wir 20 Personen. Es gibt die meiste Zeit kein fließendes Wasser, und wenn es Wasser gibt, ist es verunreinigt und nicht trinkbar. Wir sind abhängig von Solarpaneelen und haben so nur eingeschränkten Zugang zum Internet. Ab und zu kann ich mit dem Büro von B’Tselem in Jerusalem Kontakt halten. Für meine wenigen Berichte, die in meiner Lage möglich sind, suche ich Orte auf, an denen ich mich auf die Übermittlung konzentrieren kann. Ich berichte über Frauen und Kinder, die inzwischen auch in Rafah Bombardierungen ausgesetzt sind. Können Ihre Kinder zur Schule gehen? Nein. Es gibt wegen der Zerstörung von Schulen und Universitäten in ganz Gaza keinen Unterricht mehr, und Online-Unterricht ist ohne Elektrizität nicht möglich. Außerdem sind viele Lehrer durch die israelischen Bomben ums Leben gekommen. Was passiert, wenn jemand von Ihnen krank wird? Eine medizinische Versorgung gibt es nur noch durch die wenigen verbliebenen Krankenhäuser für absolute Notfälle. Aber auch da ist die Versorgung zum Teil zusammengebrochen, und Krankentransporte werden immer wieder beschossen. Was tun Sie, wenn die israelische Armee auch Rafah angreift? Ich weiß es nicht. Es gibt in ganz Gaza keinen Ort mehr, an dem man sicher ist. Und es gibt keinen Plan, wohin über eine Million Menschen vor den Bomben jetzt noch flüchten können. Als Palästinenserin und Mutter möchte ich nur Frieden für mich und meine Kinder. Wir sind mit dem Überleben beschäftigt. Ob uns das gelingt, wissen wir nicht.