Die Angst, zu weiblich zu sein

USA Dass so viele weiße Frauen für Trump gestimmt haben, erzählt viel über gesellschaftliche Dialektik
Ausgabe 47/2016
Eine alte Theorie lebt wieder auf: die Frau als Komplizin der eigenen Unterdrückung
Eine alte Theorie lebt wieder auf: die Frau als Komplizin der eigenen Unterdrückung

Foto: Sean Rayford/Getty Images

Sie containert, um ihre Halbgeschwister zu versorgen, und schließt sich einer Drückerkolonne an, die durch den Mittleren Westen der USA zieht und trickreich Zeitschriften an den Mann oder die Frau bringen soll. Andrea Arnolds aktueller Kinofilm American Honey bebildert subtil die Perspektivlosigkeit jugendlicher Loser, die wie die 18-jährige Star nicht aussteigen, um die große Freiheit zu suchen, sondern für die es erst gar keinen Einstieg gibt. Mit ihrer Truppe trifft Star in der Provinz auf bibelfeste Hausfrauen, vereinsamte Arbeiter oder Deklassierte wie sie selbst – auf jene gesellschaftliche Black Box also, die Donald Trump zu seinem Aufstieg verholfen hat. „Du musst ihnen eine Geschichte erzählen, die sie hören wollen“, rät Jake, der Star in den Job einführt.

Genau eine solche Geschichte hat der Demagoge Donald Trump dem amerikanischen Wahlvolk erzählt. Sie handelte von einem Amerika, das wieder groß werden soll und seiner Weltmachtrolle gerecht wird. Sie handelte aber auch von einer Frau, die, wenn sie Präsidentin würde, dieses Projekt gefährdet. Trump erzählte die Geschichte einer machtgeilen, kriminellen Emanze von zweifelhafter Gesundheit, die beabsichtige, das Land zu kastrieren und zu unumkehrbarem Siechtum zu verdammen. Im Frühjahr 2016 waren 42 Prozent der Amerikaner davon überzeugt, dass Amerika „zu weich“, „zu feminin“ geworden sei.

Mahlwerk der Modernisierung

Ist das die kollektive Erinnerung an das „feminisierte“ Amerika der Prohibitionszeit, als Frauen ihre Männer trockenlegten? Dem fernen, kulturpessimistisch gestimmten Europa jedenfalls erschienen damals die USA mit ihrer Girl- und Massenkultur der 1920er Jahre gnadenlos verweiblicht. Sie lieferten die Projektionsfläche der eigenen Angstfantasie, der Mann könnte im Mahlwerk der Modernisierung zerrieben werden. Die Dauerkrise des Männlichen hat dann bekanntlich nicht nur im Diskurs ihre Spuren hinterlassen.

Alarmierend ist, dass fast 100 Jahre später solche geschlechtsdualistischen Zuschreibungen offenbar noch immer funktionieren und sogar Wahlen beeinflussen, nachdem doch eine Maggie Thatcher oder auch eine Angela Merkel aus dem konservativen Milieu vorgeführt haben, dass Frau „männlicher“, tougher sein kann, als man es von einem Mann erwartet, gerade indem sie als Neutrum auftritt. Auch Hillary Clinton war das zuzutrauen. Ihr, wie manche es tun, vorzuwerfen, sie habe keinen echt feministischen Wahlkampf geführt, verkennt das Problem: Aufsteigerinnen dürfen sich nicht zuerst als Frau und schon gar nicht als Schutzmacht ihres Geschlechts zu erkennen geben. Und Machtgesten einer Frau werden ebenfalls anders wahrgenommen als die eines Mannes.

Das Perfide an Trumps Wahlschlacht bestand darin, dass er mit der universalen Wertungskategorie Geschlecht – männlich positiv, weiblich negativ – gleich alle übrigen Bevölkerungsgruppen und Minderheiten abgeräumt hat. Die Frau als politische Gegnerin lieferte ihm die Folie, alles „Andere“ – insbesondere diejenigen, die sein eigentliches Angriffsziel sind, also Schwarze, Illegale, Homosexuelle oder Menschen mit Behinderung – abzuwerten. Das männliche Amerika, das er am Horizont aufsteigen lässt, duldet nichts außerhalb der Norm, nichts Feminisiertes.

Symbolische Ordnungen sind zählebig. Ihre Muster scheinen in Krisen eher auf als in ruhigeren Zeiten, in denen sich Grenzen auflösen, Substanzen vermischen, Versuchsfelder offenstehen. Sie rufen Erzählungen auf, die das Uneindeutige, das Überschreitende bannen, Grenzen markieren, in diesem Fall die Grenze des weißen Mannes, der sich als demografisch überwältigt (von nichtweißen Einwanderern), ökonomisch bedroht (von den Chinesen etc.) und – vielleicht nicht zuletzt – sexuell entwertet (selbstbewusste Frauen, nichtheterosexuelle Orientierungen) erlebt.

Frausein sei kein Programm, war allenthalben zu lesen, um zu erklären, weshalb 53 Prozent der weißen Amerikanerinnen Trump ihre Stimme gegeben haben, auch solche mit höherer Bildung. Mit dieser Wahl, heißt es hämisch, sei der akademische „Elitefeminismus“ erledigt, der sich von seiner Basis längst entfernt habe. Die klammheimliche Freude darüber ist unüberhörbar, denn auch hierzulande gibt es Leute, die sich vor angeblicher Feminisierung fürchten.

Richtig daran ist: Frausein allein ist kein Programm. Auch wenn es ein Signal gewesen wäre, in einem Land, das die formale Demokratie zu seinem Fundament erklärt, erstmals eine Frau ins Weiße Haus zu holen – selbst wenn Hillary Clinton vielleicht keine Traumbesetzung war. Es braucht auch nicht die Besserwisser in den Feuilletons, um zu wissen, dass es die ultimativen gemeinsamen Interessen von Frauen nicht gibt, so wenig wie die von Schwarzen oder anderen Gruppen – außer dem unbedingten Anspruch, nicht qua Geschlecht oder ethnischer Zugehörigkeit diskriminiert zu werden. Schlimm aber, dass dem Sexismus à la Trump stillschweigend doch von vielen zugestimmt wird, um so Feministinnen zu diskreditieren.

Seine Märchen

Auf der Suche nach Erklärungen für die verstörende Wahlentscheidung weißer Amerikanerinnen stößt man auf Frauen, die von sich behaupten, Feministinnen zu sein und dennoch Trump unterstützt zu haben – aufgrund seiner Märchen. Sie glauben, er könne neue Jobs schaffen und Amerika seine alte Größe wiedergeben. Sie verharmlosen seine sexistischen Witze und wollen darin sogar noch ein Zeichen seiner ökonomischen Potenz erkennen. Angesichts ihrer eigenen sexistische Sprüche klopfenden Männer zeigen sie Verständnis für Trump: Männer dürfen sich eben mehr herausnehmen als Frauen.

Was eine alte Theorie wieder aufleben lässt, die besagt, dass Frauen Komplizinnen ihrer eigenen Unterdrückung seien. In von Männern dominierten Gesellschaften, schreibt etwa Suzanne Moore im Guardian, sei es für Frauen ohnehin sinnlos, mit Männern zu konkurrieren. Deshalb verlegten sie sich auf den horizontalen Wettstreit mit Frauen, der vor allem darin besteht, einen Mann in seinen Interessen zu unterstützen – in der Hoffnung, dass sie in ihm einen Beschützer finden. So dächten wohl auch die Frauen, die Trump gewählt haben.

Diese Wahl, resümiert Moores US-Kollegin Katie Roiphe, offenbare eben nicht nur das männliche Misstrauen gegenüber weiblicher Macht, sondern auch die nicht verstandene Geschichte des weiblichen Misstrauens gegenüber weiblicher Macht.

Doch diese Identifikation mit dem Aggressor, das sogenannte Stockholm-Syndrom, greift zu kurz. Das Phänomen hat ja durchaus Ähnlichkeit mit der Tatsache, dass Musliminnen das Kopftuch oder gar den Niqab tragen, obwohl es sich nicht nur, aber auch um ein Zeichen weiblicher Unterdrückung handelt. Frauen, die sich lieber an die Tradition klammern, als gegen sie anzugehen, weil das Versprechen der Moderne ein zwiespältiges und mit dem Verlust von Sicherheiten verbunden ist. Weil es Gefährdungen mit sich bringt, auch Unzumutbarkeiten wie Doppelbelastungen und nicht endenden Kampf.

Der weibliche Weg im Land einer Hillary Clinton würde vielleicht von ein paar Sozialprogrammen begleitet sein, aber vor allem von der Aufforderung, in einer von Konflikten aller Art zerrissenen kapitalistischen Gesellschaft für sich selbst zu sorgen. Der Protektionismus eines Donald Trump verspricht Wohlstand vor allem für weiße Männer, auf Kosten aller anderen Gruppen. Auf diese Weise versuchte schon Adolf Hitler, den „arischen“ Teil der Deutschen zu bestechen.

Dass das großsüchtige Programm des Milliardärs Trump in der versprochenen Form kaum eingelöst werden wird, sondern er noch entschiedener als andere Regierungen seinesgleichen protegieren wird, zeichnet sich jetzt schon deutlich ab. Aber er verdankt seinen Aufstieg einer Erzählung, die uns zu denken geben sollte. Er hat dabei psychologische Schwingungen verstärkt, die von Trotz über Angst bis Wut reichen. Und mit dem über die Kategorie Gender mobilisierten Rassismus wird das Land noch zu tun haben, wenn Trump gar nicht mehr auf der Bühne steht.

Trotz gibt es aber auch von anderer Seite. Von überall her hört man ein Jetzt-erst-recht, wird die Entschlossenheit bekundet, das Land nicht zu verlassen, sondern gegen eine Regierung zu kämpfen, die den Hass predigt und die Verachtung pflegt. Es wird auch schon über neue feministische Bündnisse nachgedacht, die aufgeklärte und halbwegs aufgeklärte Männer einbeziehen. Wer dem Feminismus bislang ambivalent gegenübergestanden und Frauenrechte nicht öffentlich unterstützt habe, schreibt die Juristin und Journalistin Jill Filipovic in der Washington Post, müsse jetzt seine Stimme erheben.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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