Waren Sie vor Weihnachten krank? Dann ging es Ihnen wie mir: Sie standen vor verschlossener Praxistür. Keine Ahnung, ob mein Arzt sich dem Streikaufruf des Bündnisses „Praxis in Not“ vorauseilend schon eine Woche früher angeschlossen hatte, jedenfalls war er im alten Jahr nicht mehr zu sichten. Wie viele Arztpraxen während der Brückentage tatsächlich gestreikt haben oder ohnehin dichtgemacht hätten, ist nicht bekannt, auch auf der Webseite des Bündnisses, das von 24 Berufsverbänden unterstützt wird, findet sich dazu kein Hinweis.
Dafür steht da viel zu den Gründen des Streiks. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ignoriere die Nöte der 140.000 niedergelassenen Vertragsärzte, die über steigende Kosten
tragsärzte, die über steigende Kosten und sinkende Einnahmen klagen. Ausgeblutet und erschöpft fühlten sich die deutschen Kassenärzt:innen, die immer mehr Kranke versorgen müssen, kein Fachpersonal finden und keine Nachfolger für ihre Kassensitze. Patient:innen müssten immer länger auf Termine warten, 61 Arbeitstage, so die Klage, verbrächten die Ärzt:innen im Schnitt pro Jahr mit Bürokratie, Zeit, die ihnen für die Versorgung fehle.Ob bei einem durchschnittlichen Reinertrag von 336.000 Euro pro Praxis im Jahr – also dem, was übrig bleibt, wenn von den Einnahmen die Aufwendungen abgezogen werden – von Schlechtverdienern die Rede sein kann, sei einmal dahingestellt. Richtig ist aber, dass die Ärzteschaft ihre steigenden Kosten nicht einfach abwälzen kann, für sie gilt die lange nicht mehr erhöhte Gebührenordnung. Für einen Kassenpatienten nehmen sie im Quartal derzeit 39,62 Euro ein. Wenig, gemessen an dem, was ein Privatpatient berappen muss. Und dass gerade Hausärzte überlastet sind und nur noch wenig Zeit für ihre ursprünglichen Aufgaben haben, weiß jeder betroffene Patient aus Erfahrung.Krankenhäuser vor dem AusGanz unbegründet ist der Aufruhr unter den Niedergelassenen also nicht. Er wird geschürt durch die Haltung des Gesundheitsministers, der wenig Verständnis für deren Forderungen zeigt. Im Gegenteil macht er sie haftbar für die Vernachlässigung der vielen Menschen, die derzeit erkrankt sind. Für Januar hat der Minister die Vertreter der Hausärzte nun zu einem Krisengipfel eingeladen. Noch einer? Im Gesundheitsressort reiht sich gerade ein solcher Gipfel an den nächsten. Ein unglückliches Händchen beweist Lauterbach nämlich nicht nur im Hinblick auf die Ärzteschaft, sondern auch auf die Krankenhausreform, die eigentlich am 1. Januar hätte in Kraft treten sollen. Das jedoch liegt in weiter Ferne.Nach einer Verhandlungsrunde mit den Ländern im Herbst schien es noch so, als ob Lauterbach die Zielgerade schaffen könnte, wenn auch nicht ganz pünktlich. Doch dann hatten die Ländergesundheitschefs im November in einem Brief ihre anhaltende Unzufriedenheit mit dem Arbeitsentwurf zum Ausdruck gebracht. Unter anderem bestehen sie auf einer zeitnahen modellhaften Auswirkungsanalyse, was die künftige Finanzierung der Krankenhäuser betrifft. Darüber hinaus möchten die Länder in einem nachgelagerten Gesetz Ausnahmen bei der Zuordnung der Leistungsgruppen und mögliche Kooperationen zwischen Kliniken festgehalten wissen; die Planungs- und Entscheidungskompetenz soll definitiv bei den Ländern bleiben. Insgesamt fürchten die Gesundheitsminister, ihre Handlungsspielräume zu verlieren. Und obgleich Lauterbach in einem Interview betonte, dass er 2024 kein großes Kliniksterben erwarte, kreist über vielen Krankenhäusern der Pleitegeier, wenn der Bund keine zusätzlichen Mittel bereitstellt. Manches Haus ist vielleicht schon verschwunden, bevor die Reform überhaupt seine Pforten passiert.Ganz grundlos ist das Misstrauen der Gesundheitschefs also nicht, zumal Lauterbach die angekündigten Änderungen am Arbeitsentwurf schuldig blieb. Vielmehr peitschte er im Dezember das Krankenhaustransparenzgesetz – einer der vier Bausteine des Reformunternehmens – durchs Parlament, wohl wissend um den Widerstand der Länder. Im Mittelpunkt des Gesetzes steht ein niedrigschwelliges Informationsportal, das über Ausstattung und Qualität der deutschen Krankenhäuser Auskunft geben soll. Obgleich es, wie das Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“ im Rahmen einer ausführlichen Bewertung moniert, bereits entsprechende Angebote gibt, verkauft Lauterbach sein Vorhaben als besonders patientenfreundlich. Wieder einmal tritt er als angeblicher Sachwalter der Patient:innen auf.Die fortschreitende Digitalisierung der GesundheitDoch eigentlich geht es dem Minister darum, noch vor Verabschiedung der Krankenhausreform durch die Zuweisung von Leistungsgruppen die Kliniken jenen „Levels“ zuzuordnen, die die Länderminister erfolgreich aus dem ursprünglichen Entwurf des Bundes herausverhandelt hatten, weil sie um den Ruf einzelner Einrichtungen fürchteten. Den Fehdehandschuh aufnehmend, blockierten die Länder das Gesetz mit knapper Mehrheit im Bundesrat, der nun den Vermittlungsausschuss angerufen hat. Da Lauterbach, nicht ungeschickt, mit diesem Gesetz allerdings auch die Vorfinanzierung der Pflegekosten von sechs Milliarden Euro verknüpft hat, die die Krankenhäuser dringend als Liquiditätshilfe benötigen, liegt der Schwarze Peter nun bei den Ländern. Der Schacher dürfte hinter den Kulissen also weitergehen, auch wenn der Minister ein geplantes Arbeitstreffen im Januar abgesagt hat. Da das Krankenhaustransparenzgesetz im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist, darf man gespannt sein, wie weitergedealt wird.Zwei weitere die Reform begleitende Gesetze sind dagegen noch im Dezember ohne größeren Widerstand, vielmehr mit viel Zustimmung der Union, durchs Parlament gegangen. Sie hätten mehr öffentliche Aufmerksamkeit verdient, denn wieder einmal mobilisierte Lauterbach das Patienteninteresse, um sie zustimmungsfähig zu machen. Im einen Fall geht es um das Digitalgesetz (DigiG), in dessen Rahmen die seit Jahren verschleppte elektronische Patientenakte (ePA) auf den Weg gebracht werden soll.Zum anderen soll das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) dafür sorgen, dass Gesundheitsdaten möglichst unkompliziert für die Forschung bereitgestellt werden. Ende November hatte die Gesundheitswirtschaft und insbesondere die Pharmaindustrie in einem vertraulichen Spitzengespräch im Kanzleramt ihre Wünsche dargelegt. Flankiert wurde der Vorstoß von einer Studie der Wirtschafts- und Forschungsinstitute IGES und WifOR, die im Auftrag des BDI die angebliche Rückständigkeit Deutschlands in diesem Bereich beklagt und ausgerechnet hatte, dass hier eine Wertschöpfung von über 30 Milliarden Euro möglich sei. Kurz zuvor brüstete sich Lauterbach mit der Ansiedlung des US-Konzerns Eli Lilly in Rheinland-Pfalz, der 2,3 Milliarden Euro in eine Produktionsstätte für Medikamente investiert.Pharmaindustrie in VorfreudeZentraler Baustein, so Lauterbach ganz offen, sei in diesem Zusammenhang die ePA, die aber auch für die Patient:innen von großem Vorteil sei. Das mag im Einzelfall stimmen, nur macht er gar keinen Hehl daraus, dass die elektronische Akte Voraussetzung dafür ist, dass die so verfügbaren Gesundheitsdaten für die Forschung auszuwerten seien, am besten gleich mittels KI. „Wir bauen eine zentrale Forschungsinfrastruktur auf“, erklärt er in einem Interview, in die „Daten aus Abrechnungen der Krankenkassen, aus Krebsregistern, Laboren und Gendatenbanken einfließen“ und die für den „Forschungs- und Pharmastandort Deutschland“ unverzichtbar sei.Sowohl seitens der Ampel als auch seitens der Union fand der Minister breite Unterstützung. Von einem „essenziellen Standortfaktor“ war im Zusammenhang mit der ePA die Rede und einer „digitalpolitischen Aufholjagd“, deren ökonomischer Nutzen noch gar nicht absehbar sei. Das Gesetz sieht vor, dass jeder Bundesbürger mit einer ePA ausgestattet wird. Das bedeutet, alle Gesundheitsdaten werden digital erfasst. Wer das nicht möchte, muss aktiv widersprechen. Lauterbach rechnet damit, dass mit diesem Verfahren mindestens 80 Prozent aller Daten kumuliert werden können. Auch Krankenkassen sollen Zugriff auf die Daten bekommen, um sie individualisiert auswerten und Versicherte beispielsweise vor einem erhöhten Krebsrisiko warnen zu können. Aber wer will schon ständig von solchen nur auf Stratifizierung basierenden und deshalb fragwürdigen Alarmsignalen belästigt werden?In einem bemerkenswerten Vortrag von Bianca Kastl und Daniel Leisegang, den die beiden auf dem 37. Chaos Communication Congress in Hamburg hielten, nahmen sie die Forschungsstrategie des Gesundheitsministers unter die Lupe. Den Wechsel von der Opt-in- zur Opt-out-Regelung, also der Widerspruchsoption, nennen die beiden einen „Paradigmenwechsel“. Tatsächlich hätte ein solch tiefer Einschnitt in den Datenschutz vor einigen Jahren noch lauten öffentlichen Protest hervorgerufen – nicht zuletzt von den Grünen. Doch mit deren gesundheitspolitischem Sprecher Janosch Dahmen, der im Bundestag die ePA als „Stärkung der Patientenrechte“ feierte, befindet sich die einst datenkritische Partei längst auf dem Mainstreamgleis. Lediglich seine Kollegin von der Linkspartei, Kathrin Vogler, kritisierte die Regelung als „unverantwortlich“ und wies auf das unermessliche kommerzielle Interesse an den Datensätzen und -flüssen hin, die kaum mehr kontrollierbar seien. In den USA, so Vogler, koste ein einziger Satz von Gesundheitsdaten rund 250 Dollar. Und außerhalb des Parlaments gab es weitere kritische Stimmen: Ein offener Brief der Verbraucherzentrale Bund und des Chaos Computer Club warnt vor Sicherheitslücken bei der geplanten Gesundheitsdigitalisierung.Lauterbach dagegen strebt an, die bislang von den Landesdatenschützern überwachten Genehmigungsverfahren für medizinische Forschungsvorhaben beim Bundesinstitut für Arzneimedizin und Medizinprodukt zu zentralisieren und dramatisch abzukürzen. Auf EU-Ebene will er sich außerdem für einen Datenaustausch zwischen Europa und den USA einsetzen. Das Datengold soll fließen. Alles nur im Interesse der Patient:innen?
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.