Inzwischen sind es keine Einzelfälle mehr, man muss sogar von einer Strategie sprechen. Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres stehen Frauenärztinnen vor Gericht, weil sie gegen §219a verstoßen haben sollen, der die Werbung für den Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellt. In einem Halbsatz klären die zwei Ärztinnen auf ihrer Homepage Patientinnen darüber auf, dass sie in ihrer Praxis auch Schwangerschaften unterbrechen.
Bereits im November 2017 war die Gießener Hausärztin Kristina Hänel vom Amtsgericht Gießen deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt worden. In beiden Fällen gehen die Anzeigen auf bekannte „Lebensschützer“ zurück, die auf diese Art und Weise versuchen, Frauenärztinnen einzuschüchtern – mit dem Effekt, dass es hierzulande immer weniger Möglichkeiten gibt, Ärzte und Ärztinnen zu finden, die eine Abtreibung durchführen.
Die Betroffenen, Nora Szász und Natascha Nicklaus, die eine Gemeinschaftspraxis führen, treten vor dem Amtsgericht Kassel ausgesprochen offensiv auf. Ihnen geht es nicht nur darum, freigesprochen zu werden, sondern den Nachweis zu führen, dass der §219a in vielerlei Hinsicht verfassungswidrig ist: Er behindere die freie Berufsausübung von Ärzten, verletze die Informationsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht von Patientinnen sowie das Gebot der Gleichberechtigung.
Ein von ihnen angeforderter Sachverständiger wurde vom Richter abgelehnt, die Verteidigung reagierte mit einem Befangenheitsantrag und die Verhandlung wurde vergangene Woche vertagt. Auch die für den 6. September vor dem Landgericht Gießen angesetzte Berufungsverhandlung im Fall Kristina Hänel wurde verschoben, weil „keine entsprechend großen Räumlichkeiten“ zur Verfügung gestanden hätten, wie das Gericht mitteilte.
Die Tatsache, dass die Prozesse große öffentliche Aufmerksamkeit erregen und die Angeklagten große Solidarität erfahren, bringt die Politik nun in Zugzwang. Denn zum Kasseler Prozess wäre es vielleicht gar nicht gekommen, wenn sich Anfang des Jahres die SPD in dieser Frage zu einer großen Koalition mit Linkspartei, Grünen und FDP durchgerungen und die Streichung des §219a gegen die Union durchgeboxt hätte. Durch falsche Rücksichtnahme wurde diese Möglichkeit jedoch verspielt. Nun hat Justizministerin Katarina Barley den Auftrag, mit der Union einen Kompromiss auszuhandeln. Mal sehen, ob das Bundesverfassungsgericht, das die beiden mutigen Ärztinnen nötigenfalls anrufen wollen, der Politik zuvorkommt.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.