Freiwilligendienste fast weggespart: Parlament stoppt gefährlichen Ampel-Plan
Austerität Die rot-grün-gelbe Regierung setzte den Rotstift ans Budget für soziales Engagement und wollte den Etat für Freiwilligendienste kürzen. Erst der Haushaltsausschuss fängt diesen Irrsinn wieder ein
Bald ein Bild mit Seltenheitswert: Ein Teilnehmer des Bundesfreiwilligendienstes hilft einer blinden Frau beim Einkaufen
Foto: Thomas Meyer/Ostkreuz
In den Ferien an den Nord- und Ostseestränden sind sie nicht wegzudenken. Viele Eltern würden ihre Kids vielleicht gar nicht in die Wellen springen lassen, wären die jungen Freiwilligen der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) nicht vor Ort. In den Alten- und Behindertenheimen gewährleisten sie im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) viele zusätzliche Angebote: Spazierengehen, Singen, Ausflüge. Oder sie entlasten die völlig ausgepowerten Pflegekräfte, indem sie Bewohner:innen anziehen oder ihnen das Essen ausgeben. Die unter 27-Jährigen engagieren sich in der Denkmalpflege, im Kulturbereich oder im Katastrophenschutz. Im Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ) füttern Engagierte nicht nur Tiere oder retten Vögel, sondern ve
;gel, sondern vermitteln auch Wissen über unsere Lebensgrundlagen. Wieder andere machen im Programm „weltwärts“ Erfahrungen im Globalen Süden. Und ohne die „Bufdis“, jene Menschen aus dem Bundesfreiwilligendienst (BFD), in dem auch über 27-Jährige unterkommen, wäre zum Beispiel der Breitensport gar nicht denkbar.Mit 329 Millionen Euro waren die Freiwilligendienste das bisher billigste Berufspraktikum der Nation. Keine Schule, keine Universität und auch nicht die Unternehmen könnten auffangen, was diese Orientierungsphase für jährlich rund 100.000 Jugendliche bereitstellt: sich auszuprobieren, schauen, was geht und was einem oder einer liegt. Hier wird Kurs genommen auf ein einschlägiges Studium oder einen Beruf, oft genug im sozialen Bereich. Viele zukünftige Pflegekräfte kommen aus dem Freiwilligen Sozialen Jahr.Gut 400 Euro Taschengeld: den freiwilligen Dienst an der Gemeinschaft muss man sich leisten könnenEs wären noch viel mehr, nur fehlt es an Plätzen, denn der Freiwilligendienst ist chronisch unterfinanziert. Einer Bertelsmann-Umfrage zufolge könnten sich 70 Prozent der jugendlichen Befragten vorstellen, sich zu engagieren. In den Programmen tummeln sich mehrheitlich Abiturienten – ein weitgehend einkommensloses Jahr muss man sich nämlich leisten können. Mit einem Taschengeld von etwas über 400 Euro (im Osten oft weit darunter) kommt man nicht weit, selbst wenn Unterbringung und Verpflegung zusätzlich pauschal abgegolten werden.Die Freiwilligen schlagen mit rund 920 Euro pro Kopf zu Buche, finanziert von den Trägern und, je nach Programm, vom Bund. Am Jugendfreiwilligendienst beteiligt er sich mit 17 Prozent, bei den Bufdis zur Hälfte.Doch selbst das war der Ampel-Regierung zu teuer. Die Mittel der Freiwilligendienste, so der Plan, sollten im Programmjahr 2024/25 von 327 auf 214 Millionen Euro gekürzt werden. Bei einem Etat von 447,5 Milliarden Euro sind das sozusagen Peanuts, die Freiwilligenzahl dagegen würde um 30.000 schrumpfen. Auch bei anderen Programmen wie der Migrationsberatung, dem behördenunabhängigen Asylberatungsverfahren und den Psychosozialen Zentren, in denen traumatisierte geflüchtete und zugewanderte Menschen Hilfe finden, setzte der Rotstift an. Letztere hätten statt 17 Millionen sogar nur noch sieben Millionen Euro erhalten. Dass ausgerechnet Angebote beschnitten werden sollten, die Einwanderungswilligen den Start erleichtern sollen, wirkt wie Hohn angesichts der offiziellen Integrationsrhetorik.„Der Sozialstaat ist ernsthaft gefährdet“Die Wohlfahrtsverbände, die um die Kontinuität ihrer Programme und Dienste bangen, liefen Sturm. Anfang November forderten sie auf einer Kundgebung in Berlin die Rücknahme der geplanten Kürzungen, die „den Sozialstaat ernsthaft gefährdeten“, so heißt es in ihrer Erklärung. Es sei „erschütternd“, so der Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Rolf Rosenbrock, dass die Bundesregierung „in einer Zeit wachsender sozialer Spaltung bei solchen Strukturen kürzt, die den Menschen in Armut und prekären Lebenslagen helfen“. Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, sieht zudem einen „klaren Widerspruch“ zu dem im Koalitionsvertrag vorgesehenen Ausbau der Freiwilligendienste. Gar nicht zu reden davon, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nicht müde wird, für einen sozialen Pflichtdienst zu werben, um den Zusammenhalt zwischen den Generationen zu fördern. Unabhängig davon, was man von diesem Projekt hält: Es würde mit mehreren Milliarden Euro erheblich teurer werden als alle Freiwilligendienste zusammen.In einer Petition an den Deutschen Bundestag hatten Betroffene schon im vergangenen Sommer die Verbesserung ihrer Situation reklamiert und 100.000 Unterstützer:innen gefunden. Sie forderten ein Taschengeld, das an den Bafög-Satz angelehnt ist, ein kostenloses Deutschlandticket und einen Mobilitätszuschlag bei wechselnden Einsatzstellen. Außerdem soll das Taschengeld nicht mehr auf die Sozialleistungen anderer Familienangehöriger angerechnet werden, um auch Interessierten aus einkommensbenachteiligten Schichten die Möglichkeit zu geben, sich zu engagieren. Inzwischen will das Ministerium zumindest das zugelassene Taschengeld auf 584 Euro erhöhen. Was kaum mehr durchschlagen wird, wenn den Verbänden die Mittel gekürzt werden.Baden wird gefährlicher, Fachkräftemangel steigtWelche konkreten Auswirkungen die Kürzungen haben könnten, rechnet die ehemalige stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ute Vogt in der Zeit vor, mittlerweile Präsidentin der DLRG. Von deren derzeit 150 Freiwilligen würden 45 nicht mehr eingesetzt werden können. Das bedeute an den Stränden von Nord- und Ostsee 600 weniger Wachtage im Jahr. In Flächenstaaten wie beispielsweise in Baden-Württemberg fielen von den 18.000 Freiwilligenplätzen 4.500 Plätze weg, in der Diakonie 300, beim Paritätischen Wohlfahrtsverband 700. Zu spüren bekämen das, so die Vorständin Uta-Micaela Dürig gegenüber dem SWR, die Klient:innen in den Einrichtungen und das Fachpersonal. „Wir befürchten, dass dadurch weniger junge Menschen einen sozialen Beruf ergreifen, was den Fachkräftemangel noch verstärken würde“, sagt Dürig. Irgendwann müssten die Einrichtungen auf billige geringfügig Beschäftigte zurückgreifen.Auch im Osten der Republik hätten die Kürzungen drastische Folgen. Gerade in strukturschwachen Gegenden sind die Dienste oftmals eine wichtige Anlaufstelle für Jugendliche und junge Erwachsene, um Erfahrungen zu sammeln. Und andererseits, so Daniela Broda, Vorsitzende des Deutschen Jugendrings, in der Welt, seien die Verbände dort auf Förderung angewiesen, um ihre Projekte aufrechtzuerhalten, von der Bereitstellung von Jugendräumen bis hin zu Ferienfreizeiten. „Die Zukunft junger Menschen ist fragiler geworden“, erklärt sie, die jungen Leute lebten in einer Zeit „maximaler Unsicherheit“. Fatal, ausgerechnet jetzt, wo die Demokratie ohnehin massiv hinterfragt würde, die Zivilgesellschaft durch kurzfristige Haushaltsentscheidungen zu schwächen.Die Grünen können sich nicht durchsetzenBroda gehört zu den Stimmgeberinnen, die sich mit anderen Vertreterinnen von Kinder- und Jugendorganisationen unter viel öffentlicher Aufmerksamkeit gerade aus dem „Bündnis für die junge Generation“ zurückgezogen hat. Der von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) initiierte Zusammenschluss sollte die Belange junger Menschen stärker ins politische Zentrum rücken.Die Grünen waren es auch, die sich in den Koalitionsverhandlungen für die Freiwilligendienste starkmachten. Doch das negative Signal, das die Haushaltsverhandlungen aussenden, so erklären die Ausgetretenen, zeige deutlich, dass das Ziel des Bündnisses verfehlt wurde. Dass die Sprecherin des Familienministeriums dabei nur „Einzelentscheidungen“ wahrnehmen kann und keinen „unmittelbaren Zusammenhang“ mit den Haushaltskürzungen sieht, muss angesichts solcher unmissverständlicher Erklärungen erstaunen.Auch in den Verhandlungen zur Kindergrundsicherung konnte sich Paus gegen Lindner nicht durchsetzen und signalisierte, die strikten Haushaltsvorgaben einzuhalten. Die Wohlfahrtsverbände stehen mit ihrer Kritik an der Sparpolitik Christian Lindners (FDP) nicht alleine. Schon vor der eigentlichen Sitzung zur „Haushaltsbereinigung“ hatten sie zusammen mit Gewerkschaften, Mieterbund und Umweltverbänden vor den vorgesehenen drastischen sozialen Kürzungen gewarnt. Wer notwendige Investitionen unterlasse und bei der Daseinsvorsorge einspare, appellierten sie an die Haushaltspolitiker:innen, schade unmittelbar und belaste die künftigen Generationen. Sie fordern eine Reform der im Grundgesetz festgeschriebenen Schuldenbremse.Kürzungen sind kurzsichtig – und wirtschaftlich nicht weiseÖkonomen warnen ebenfalls vor der Haushaltspolitik Lindners, der abenteuerlich mit Rücklagen und Sondervermögen jongliert, um die Schuldenbremse schon 2023 wieder in Kraft zu setzen. Statt die angesammelten Rücklagen von fast 50 Milliarden Euro anzuzapfen, so der Wirtschaftsweise Achim Truger im Tagesspiegel, wäre es besser gewesen, in der Niedrigzinsphase den vorhandenen Kreditrahmen auszuschöpfen, um in den folgenden Jahren mehr Spielräume zu haben. „Man kann schonender konsolidieren.“Auch die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, ist der Auffassung, dass es eine Reform der Schuldenbremse brauche, die Zukunftsinvestitionen ermögliche. Sie denkt dabei nicht zuletzt an die Kindergrundsicherung, die derzeit im Orkus der Haushaltskonsolidierung zu verschwinden droht. Die SPD bekannte sich in ihrem Leitantrag zum Parteitag im Dezember zu einem Umbau der Schuldenbremse und einer temporäre Krisenabgabe für Vermögende.Dagegen genehmigt sich die Ampel andere, sehr viel teurere und angeblich in die Zukunft weisende renommierte Projekte wie eine Chipfabrik für zehn Milliarden Euro oder eine „grünes“ Stahlwerk, das sie mit zwei Milliarden sponsert. Und würde nur ein Teil der umweltschädlichen Subventionen im Verkehrs- und Energiebereich, die das Bundesumweltministerium in einem Umfang von 65 Milliarden Euro auflistet, gekürzt oder gestrichen, ließe sich davon nicht nur ein Freiwilligendienst finanzieren, in dem junge Menschen auskömmlich arbeiten, der Gesellschaft dienen und Erfahrungen für die Zukunft sammeln könnten.27 Millionen Euro mehr für FSJ und FÖJOffenbar wurde auch den Haushältern der Koalition mulmig bei dem Gedanken, die Wohlfahrtsverbände könnten künftig ein Viertel ihrer jungen Unterstützer:innen verlieren. In einer Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses am Freitag nahmen sie die Kürzungen bei den Freiwilligendiensten fast vollständig zurück und stockten die Mittel um 80 Millionen Euro auf, davon fallen 53 Millionen an den Bundesfreiwilligendienst. Für das FSJ und das FÖJ sowie die internationalen Freiwilligendienste gibt es 27 Millionen Euro mehr. Außerdem wurde für die Migrationshilfen mehr Geld bewilligt.Um für die Jugend ein Zeichen zu setzen, beschloss der Haushaltsausschuss darüber hinaus, die Gelder für das Schüler- und Studierenden-BAföG um 150 Millionen Euro zu erhöhen. Der Etat von Familienministerin Lisa Paus steigt damit um 230 Millionen Euro. Die Sozialverbände atmen auf. Doch welche Auswirkungen das BVG-Urteil auf den künftigen Haushalt haben wird, ist noch nicht abzusehen. Und es sollte zu denken geben, dass die Kürzungen bei den Diensten durchaus ernst gemeint waren. Wenn im kommenden Jahr der nächste Haushalt beraten wird, dürfte das Zittern bei den Verbänden wieder losgehen.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.