Die Krise bringt es an den Tag und verstärkt die negativen Effekte, schrieb eine amerikanische Freundin kürzlich und meinte damit die ungleiche Risikoverteilung bei der Pandemie für die Armen und Reichen des Landes. Etwas Ähnliches lässt sich in Deutschland beobachten. Zumindest an den Schulen offenbaren sich nun die lange nur wegverwalteten Missstände, von maroden sanitären Einrichtungen über Baumängel bis hin zum Lehrermangel. Während die Privatschulen im digitalen Bildungswettlauf vorwärtsmarschieren und die Nach-Corona-Elite heranbilden, ächzen „Brennpunktschulen“ nicht nur wie üblich hinterher, sondern entwickeln sich, wie eine Lehrerin aus Nordrhein-Westfalen drastisch formulierte, zu „Durchseuchungs-Orten“.
Denn offenbar gibt es nicht nur systemrelevante Berufe, sondern auch mehr und weniger systemrelevante Kinder und Jugendliche. Für letztere wird der Schutzauftrag des Staats obsolet, weil es weder genügend Pädagogen gibt, um die abstandsgebotenen kleinen Gruppen zu unterrichten, noch Wasser, Seife und Luft – schulpädagogische Basalbestände des 19. Jahrhunderts! –, um die notwendige Hygiene zu gewährleisten. Das gilt sogar für jene wenigen Klassen, die nun die Schule wieder besuchen.
Über die Wiedereröffnung von Kitas und Schulen ist ein heftiger Streit entbrannt. Während die einen die Beschulung der altersmäßig vernünftigeren Kinder für vertretbar halten, pochen andere mit vielen guten Gründen auf die pädagogisch adäquate Verwahrung der Jüngeren. Die Empfehlung der Nationalen Akademie Leopoldina, die Kitas bis auf Weiteres geschlossen zu halten, hat viel Empörung ausgelöst, weil, wie etwa die Leiterin des Wissenschaftszentrums Berlin, Jutta Allmendinger, kritisiert, den Kindern dadurch der Kontakt zu anderen Kindern und das soziale Lernen vorenthalten würde. Sie verweist aber auch auf die Situation der Alleinerziehenden und Frauen, die wegen der Zwangsbespaßung des Nachwuchses berufliche Nachteile erleiden. Unterstützung kommt von ungewöhnlicher Seite: Unter dem Motto „Bildung muss gerechter werden“ reklamiert Michael Hüther vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft die baldige Wiederbeschulung der Jüngeren. Kinder bildungsferner Schichten würden abgehängt, da Platz, Computer und Lehrmaterial fehlen.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung wiederum fordert ein Corona-Elterngeld als staatliche Lohnersatzleistung zwecks Arbeitszeitverkürzung. Die Wirtschaft sorgt sich: um den Arbeitsnachwuchs, die erwerbstätigen Eltern, die die Wirtschaft braucht, aber auch wegen der Produktivitätsausfälle der Beschäftigten, für die die Unternehmen nicht aufkommen wollen. Ein Zielkonflikt, der auf den Staat abgewälzt werden soll. Dass sich 16 Bundesländer jetzt nicht einmal darüber einigen können, welche Berufsgruppen systemrelevant und per Kinder-Notbetreuung zu entlasten sind, gehört zu den Possen eines Föderalismus, der in dieser Krise ohnehin nicht die beste Figur macht.
Die Dänen sind einen klareren Weg gegangen und haben unter strengen Auflagen Kitas und Schulen bis zur Klassenstufe 5 wieder geöffnet. In Deutschland wären davon rund 4,2 Millionen Kinder betroffen – doch wer soll die in kleinen Gruppen betreuen, wo der Staat dies nicht einmal in normalen Zeiten zufriedenstellend schafft, wie der Wettbewerb um Kita-Plätze zeigt? Die Krise verstärkt eben nicht nur die negativen Effekte der Ungleichheit, sondern auch die falscher politischer Weichenstellungen – nicht nur im Gesundheitssystem.
Kommentare 4
Die »Durchseuchungsorte« in seinem Land will NRW-Ministerpräsident und Shutdown-Beendigungspapst Laschet – wie wir spätestens seit gestern abend wissen – nun erst recht ohne jeglichen Flankenschutz ins offene Feuer schicken. Bemerkenswert finde ich vor allem die Art und Weise: Sicher ist es im Rahmen des üblichen demokratischen Meinungsstreits nicht verwerflich, wenn auch die Lockerungsbefürworter für ihre Positionen werben. Laschets Schulverantwortungs-Rumgetrickse in der gestrigen Anne-Will-Talkshow war allerdings derart unterirdisch, dass man sich fragt, wieso man dem Mann überhaupt einen Job gibt oberhalb vielleicht eines mit den nötigen Wassern gewaschenen OB-Ausputzers in einer vetternwirtschaftgeschlagenen mitteldeutschen Großstadt.
Worum ging es? Zunächst einmal: Lockerungen oder eher nicht. Pro Lockerungen standen die Gäste Laschet und Lindner; die Gegenposition vertraten der SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach und die Grünen-Vorsitzende Baerbrock. Zur Sprache kam dabei unter anderem das Thema Schulen beziehungsweise die hygienischen/organisatorischen Voraussetzungen für die anstehende Wiedereröffnung. Dass Armin Laschet der prononcierteste Öffnungsbefürworter im Land ist und auch als Landeschef sein Möglichstes tut, den aktuellen Kurs in der Krise aufzuweichen, ist sicher kein Geheimnis. Mit der Frage konfrontiert, wieso die Schulen in seinem Land sich auf die nun anstehende Wiedereröffnung Null vorbereitet haben und wieso es da selbst an der rudimentärsten Infrastruktur mangelt, verwandelte sich Laschet aus dem Stand in den trickreichen, mit allen Wassern gewaschenen Kommunalpolitiker (respektive: Landeschef) oben angerissenen Typs und schob die Verantwortung für die nicht aufgegleiste Hygiene-Infrastruktur auf die Kommunen.
Milimeterdünnes Eis ist das nicht nur sachlich. Nicht nur deswegen, weil sich die Länder in Bildungsangelegenheiten generell wie Kaiser aufführen. In Anbetracht der eifersüchtig behüteten Hohheit bezweifele ich selbst Schul-eigenständige Lehrer-Einstellungen ohne vorhergehendes Abnicken des jeweils zuständigen Kultusministeriums. Nicht nur deswegen, weil das hierarchisch-bürokratische »von-oben-nach-unten«-Prinzip im Schulbetrieb allgemein heilige Kuh ist. Auch in Bezug auf die aktuellen Lockdown-Regelungen hätte keine Schule auch nur den Hauch einer Chance, hier querzuschießen und etwa länger geschlossen zu halten.
Last but not least sind die Länder auch für das Allerwesentlichste zuständig – die Penunzen, die Schule A oder B verbraten darf. Der politische Druck in der Öffnungsfrage geht – in NRW – aber nunmal wesentlich auf Armin Laschet, also das Land zurück. Im Anblick dieser Umstände muß es auch dem NRW-Landesfürsten klar gewesen sein, dass seine Schwarzer-Peter-nach-unten-abschieben-Nummer inhaltlich arm und charakterlich vom Allerletzten ist. Was fehlte, war allein das Lob: Mehr und mehr steigerte sich Laschet in eine Mimik und einen Duktus hinein, als wolle er von der Talkmoderatorin für sein trickreiches Rumgeeiere auch noch gelobt werden – nach dem Motto: »Armin, die hast du aber mal gut über den Tisch gezogen«.
Nettestmöglich ausgedrückt steht die von Laschet, Lindner & Co. anvisierte Lockerungspolitik unter dem Stern des St.-Florians-Prinzips, der einkalkulierten Verantwortungslosigkeit und der in Kauf genommenen Kollateralschäden; die Verantwortung: wird im Zweifelsfall auf die Befehlsempfänger in den unteren Etagen abgeschoben. Selbst der CDU-nahe »Tagesspiegel« wertet Laschets Will-Auftritt als hochpeinliche Nummer. Das beschriebene Intermezzo wirft zwar nur in indirekter Weise ein Schlaglicht auf die Mißstände im staatlich-föderativen Schulsystem. Wer allerdings mit den Mitteln eines kommunalpolitischen »Tricky Armin« die Gesundheit und eventuell das Leben von Kindern und Jugendlichen zur Disposition stellt, gehört schlichtweg abgewählt. Oder, anders und weniger nett formuliert: Wählerinnen und Wähler, die eine derartige Figur zum Ministerpräsidenten wählen, können schlechterdings nicht mehr alle Tassen im Schrank haben.
Ich will gerne mit Nachdruck unterstreichen, dass Laschets fahrigher, unsensibler und brachialer Schlingerkurs, bei dem man unterstellen kann, dass (s)eine Profilierung in der Kanzlerfrage ein nicht unerhebliche Rolle spielt, ihn für eben diese disqualifiziert.
Laschet hätte, wenn er gekonnt hätte, per Gesetzeserlass über Nacht, sogar eine explizite Risikogruppe von pensonierten Ärzten an die Front geschickt und zwangsrekrutiert, dass disqualifiziert ihn auf Lebenszeit für einen Kanzlerposten. Unwählbar und eine Vollkatastrophe, da er zu 100% die politische Verantwortung dafür trägt.
Wer derart nervös und in der Krise unsouverän agiert, hat an der Spitze der Politik nichts verloren. Jeder, nur nicht Laschet.
Heute habe ich in der MOZ gelesen, daß der Landesvorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung - G.Fuchs- in einem Gespräch u.a. anmerkte, daß bei Infektionen in Schulen auch Lehrer und Lehrerinnen belangt werden können, wenn Abstandsregeln usw. nicht eingehalten werden.Ich kenne nicht den genauen Inhalt seiner Aussagen. Was mich ärgert ist, daß in dieser Aussage gleich Schuldige gesucht werden, keine Aussage zu zusätzlichen Helfer und Helferinnen in Klassen einzusetzen , um normal auf Kinder einwirken zu können. Meiner Meinung nach, werden genau diese Hilfen gebraucht.Und woher kommt dieses Winken mit Klagen, weil infiziert können die Kinder schon vorher sein. Berlin hat jetzt diese Laptop- Aktion, das ist sehr gut und wichtig.Gleichzeitig müssen die Lehrer und Lehrerinnen eine Lohnerhöhung bekommen, denn auch sie können sich -mit einem hohen Durchschnittsalter gibt es ja viele-infizieren. Wir werden viele Kinderpsychologen brauchen ebend auch an Schulen.Und ich wünsche den zu Prüfenden der 10.Klassen faire Aufgaben und wenigstens noch eine zusätzliche Nachprüfung. Ich weiß nicht, wie es anders oder sicherer laufen könnte.Fakt ist aber, daß Astmakinder, Neurodermitiskinder ebend gefärdet sind und eine extra Betreuung brauchen ebend Einzelbetreuung z.B. in einer Gefährdetengruppe. Auf alle Fälle müssen die Schulpädagogen Handwerkszeug in Form von Sprachformulierungen erhalten und das Kommunizieren müssen z.B. Psychologen usw. machen.Dann wird es einfacher für die Lehrenden an Schulen. Dazu wünsche ich mir komkrete Aussagen. Ich weiß aber wieviele Bildungsreformen Brandenburg hatte- tja und bei einer Pandemie sind echte Vorschläge wichtiger, wie Warnungen mit Klagen.Das weiß das Personal selber.
Erst einmal finde ich es gut, dass auf eine Ungleichheit zwischen den Schulen und den dadurch benachteiligten Kindern hingewiesen wird. In Reaktion auf die Leopldina-Empfehlung gab es ja sehr schnell Stimmen, die eine Bevorzugung von Kindern wichtiger Leistungsträger*innen forderten bei der Rückkehr in die Kinderbetreuung.
Unsicher bin ich mir allerdings, ob die Gegenüberstellung von Privatschulen und Brennpunktschulen richtig ist.
Es entlässt viele Schulen, ihre Eltern und vor allem die ihnen nahestehende Politik aus der Verantwortung.
Die Gegenüberstellung verdeckt, dass die Ausstattung von Schulen immer zu wesentlichen Teilen elternfinanziert ist. Beispiel aktuell: Digitalisierung wird meist durch Fördervereine finanziell unterstützt und (für das Abrufen von Fördermitteln aus dem Digitalisierungspakt) verpflichtende Digitalisierungskonzepte fallen mit Unterstützung aus einer kundigen Elternschaft wesentlich leichter. Beides git es vor allem an Gymnasien und dies unabhängig davon, ob dieses eins in christlicher Trägerschaft (die Trägerschaft der meisten Privatschulen) oder in kommunaler Trägerschaft ist.
Die Gegenüberstellung verdeckt auch, dass freie Schulwahl durch die Eltern und schulscharfe Einstellungsverfahren der im GG genannten gleichwertigen Lebensverhältnisse entgegenstehen. Auch kommunale Gesamschulen bilden Knoten von gleicher Schülerschaft, sodass sich auch innerhalb einer Gemeinde/Stadt die Probleme an einzelnen Schulen bündeln, während es anderen Gesamtschulen deutlich besser geht. Auch ohne christliche Grundschulen bilden sich unter den Grundschulen Brennpunktschulen. Das war schon mit Schulsprengel so und der Verzicht auf diese beispielsweise ind Nordrhein-Westfalen hat den Brennpunktgrundschulen noch weitere Kinder entzogen, von denen andere hätten lernen können.
Die schulscharfen Einstellungsverfahren begünstigen die Städte, die grundsätzlich attraktiver scheinen, und innerhalb der Städte die Schulen mit der besseren Ausstattung und der scheinbar angenehmeren Schülerschaft. Während Förderschulstudierende Sorge haben, nicht direkt in Köln arbeiten zu dürfen, müssen in Duisburg unterbesetzte Schulen ihre Förderlehrkräfte an andere Schulen abordnen lassen, weil die Not dort noch größer scheint. Während Duisburger Gymnasien darüber klagen, dass sie alle Stellen "gerade so" besetzen, laufen Stellenausschreibungen an der Gesamtschule nebenan ins Leere.
Ich mag es Eltern nicht verdenken, dass sie ihre Kinder auf die aus ihrer Sicht beste Schule schicken wollen, dass sie Ausstattung ermöglichen, die in ihren Augen fehlt, und ich kann die Lehrkräfte verstehen, die sich das Leben angenehmer machen, wenn man sie vor die Wahl stellt. - Es wird Zeit, dass Bildungspolitik für die nötige Solidarität sorgt!