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Tröglitz Von wegen „Willkommenskultur“: Der Anschlag in Sachsen-Anhalt zeigt, wie man hierzulande mit Flüchtlingen umgeht
Ausgabe 15/2015
Wieder ein Anschlag auf ein Asylbewerberheim. Diesmal in Tröglitz
Wieder ein Anschlag auf ein Asylbewerberheim. Diesmal in Tröglitz

Foto: Jens Schlüter/Getty Images

Asylbewerber in Gebäuden ehemaliger KZs: Es ist noch keine drei Monate her, dass diese Nachricht Befremden und Empörung auslöste. Und es waren keine ostdeutschen Politiker, die planten, Flüchtlinge auf diese Weise unterzubringen. Es waren vielmehr eine Behörde im nordrhein-westfälischen Schwerte, die die einstigen Lagerbaracken als Unterkünfte nutzen wollte, sowie der Stadtrat von Augsburg, der es für eine gute Idee hielt, das einstige Außenlager Dachau in ein Flüchtlingsheim umzufunktionieren. Beides sind sprechende Symbole deutscher „Willkommenskultur“, wie sie im sachsen-anhaltinischen Tröglitz am vergangenen Wochenende mit dem Anschlag auf ein renoviertes, noch leerstehendes Asylbewerberheim auf traurige Weise ein weiteres Mal vorgeführt wurde.

Möglicherweise hätte so mancher Tröglitzer Bürger die angekündigten Flüchtlinge auch lieber in dem nur zwei Kilometer entfernten ehemaligen Außenlager Wille bei Rehmsdorf gesehen, das zum KZ Buchenwald gehörte. Doch die Baracken wurden schon bald nach dem Krieg in Wohnungen umgebaut und die mahnenden Zeugnisse der Vergangenheit damit getilgt. Nun denkt der sächsische CDU-Kreisrat Arndt Steinbach darüber nach, Asylbewerber in einer Justizvollzugsanstalt unterzubringen. Das, so sagt er, schütze die Bewohner drinnen ebenso vor Übergriffen wie die Menschen draußen.

All jene, die sich nach dem feigen Brandanschlag nun in Betroffenheits- und Empörungsgesten überbieten, sollten die Rolle der Brandstifter in den eigenen Reihen also nicht unterschätzen. Diejenigen, die jahrzehntelang davon schwadronierten, das Boot sei voll; die die Spreu von Weizen zu trennen behaupten, indem sie die perfide neue Kategorie der sogenannten Armutsflüchtlinge konstruieren; die rechte Gewalt konsequent verharmlosen oder ignorieren, weil der rechte Mob ein Geschäft erledigt, bei dem man sich die Hände nicht schmutzig machen will.

„Tröglitz ist überall“, erklärt Reiner Haseloff, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident. Auch in dieser Bemerkung steckt ein Stück weit Selbstbeschwichtigung, selbst wenn er in der Sache recht hat und die rassistischen Mordbuben im deutschen Osten vielleicht nur etwas frecher unterwegs sind als die im Westen. Denn erst kürzlich hat die Leipziger Langzeitstudie über rechtsextreme Einstellungen signifikante Phänomene zutage gefördert: In Sachsen-Anhalt blüht der Chauvinismus und mit 42,2 Prozentpunkten Zustimmung für ausländerfeindliche Positionen liegt das Land weit an der Spitze, obwohl nur 2,2 Prozent Nichtdeutsche dort leben. Es sei gerade die Angst vor dem Fremden, glaubt der vor kurzem zurückgetretene Tröglitzer Bürgermeister Markus Nierth, die die Bevölkerung dafür so empfänglich mache.

Dass sich die als „Spaziergänge“ deklarierten Unmutsbekundungen namens Pegida und ihre unappetitlichen Ableger mit dem Bruch im Führungspersonal nicht einfach in den Verzweigungen von Elbe, Elster und Saale verlaufen würden, war zu erwarten. Doch mit Morddrohungen gegen Politiker und Aktive, die sich für Flüchtlinge einsetzen und ihnen dabei helfen, in diesem Land zurechtzukommen, präsentiert sich der organisierte Fremdenhass von einer neuen, alarmierenden Seite. Auf rechten Plattformen wird bereits eine „Umbruchstimmung“ gefeiert und das „Zittern der politisch-medialen Klasse“. Die Demokratie sturmreif brennen ist das erklärte Projekt, und mit dem Bücherverbrennen halten sie sich erst gar nicht auf.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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