Gute Nachrichten gab es gerade erst von Gundula Roßbach. Die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung (DRV) verkündete, dass die Rentner:innen in Deutschland im laufenden Jahr einen „ordentlichen Aufschlag“ erwarten könnten angesichts eines stabilen Arbeitsmarkts und steigender Löhne. Im Westen werden es 4,93 Prozent, im Osten sogar 5,86 Prozent, teilte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mittlerweile mit. In Zahlen: Wer eine Kleinstrente von 751,30 Euro bezieht, wird ab 1. Juli 788,33 erhalten. Viel Fantasie braucht es nicht, um sich vorzustellen, was an der Supermarktkasse dann doch an Gemüse und Joghurt zurückbleibt. Dennoch sei die Finanzlage der Rentenkasse vergleichsweise stabil, sagt Roßbach, sodass auch nach 2025 nicht mit rap
Zukunft der Rente: Maloche über 70? Nein!
Generationen Die Rente ist unsicher, verballhornen Jüngere einen Spruch von Norbert Blüm. Doch es geht auch anders. Und: Noch steht die Rentenkasse stabil, trotz der Unkenrufe der Demografen. Was passieren müsste, damit das auch so bleibt

Illustration: Natalia Alicja Dzwisch
rapide steigenden Beiträgen zu rechnen sei. Noch im Sommer hatten sich die Sachverständigen darüber gestritten, ob die Mindestreserve der Rentenkasse von 0,2 auf 0,3 oder sogar auf 0,4 Prozent einer Monatsausgabe heraufgesetzt werden soll. Doch im vergangenen Jahr fuhr die DRV einen Überschuss von 3,4 Milliarden Euro ein, Folge der positiven Beschäftigungsentwicklung mit rund fünf Millionen mehr Beitragszahler:innen.Konterkariert wird dieses positive Signal von der nicht abreißenden Suada über „klamme Rentenkassen“, die „demografische Wucht“ der Babyboomer, die die Zukunft der Jüngeren gefährdeten und als „Wachstumsbremse“ wirkten, oder über die „greise Republik“. Arbeitgeberchef Rainer Dulger sieht die Rentenkasse gar „vor dem Zusammenbruch“. Egal, wo von der Zukunft der Altersversorgung die Rede ist, wird die Flagge gehisst, auf der steht: Demografie! Zu viele Alte, die von zu wenig Jungen alimentiert werden müssen, verbunden mit dem sich jetzt schon abzeichnenden Fachkräftemangel. Es fehlten nicht nur Beitragszahler:innen, so das Lamento, die das System aufrechterhalten, sondern auch Pflegekräfte, die auf den „Altenberg“ aufpassen, und Installateure, die die verstopften Toiletten der Senior:innen richten.Neu ist das alles nicht. Zuletzt ploppte das Thema um die Jahrtausendwende auf, mit dem verstorbenen FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher als Taktgeber der „demografischen Mobilmachung“ und den bunt ausgemalten Bevölkerungslandschaften, die das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung zur Verfügung stellte. Die Drehbücher, die Schirrmacher dafür schrieb – vom Methusalem-Komplott bis hin zu Minimum –, stehen inzwischen verstaubt in den Regalen, der beschworene, als naturgegeben erklärte „Krieg der Generationen“ – die als grenzenlos an die Wand gemalte Lebenserwartung der Alten einerseits und der ebenso grenzenlose Egoismus der Jungen andererseits – ist in der prognostizierten Form nicht eingetreten.Sinkende LebenserwartungSätze wie „Wir müssen Selbstverteidigungsstrategien entwickeln, Methoden alternativer Kriegsführung, die es einem erlauben, auch als schwacher Alter zu überleben: von der Partisanentätigkeit bis zum Hacker-Angriff“, lösen heute höchstens Gelächter aus und wirken nach einer Pandemie und angesichts eines realen Kriegs vor der Haustür wie eine Parodie.Im Kern war dieser Diskurs misogyn geprägt und richtete sich gegen die älteren Frauen, die sich der Produktion von Nachwuchs verweigert hatten, und gegen die jüngeren, die im unsicheren Jahrzehnt nach 1989 auch nicht besonders gebärwillig waren. Es spricht durchaus für die Kraft des aufklärerischen Lichts, das sozialpolitisch engagierte Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen und Journalistinnen in diese verschwurbelten männlichen Vorstellungen von der „Überlebensfabrik Familie“ (Schirrmacher) getragen haben, dass eine solche Erbauungsliteratur keine Talk-Runden mehr füllt. Gleichwohl: Schärfe besitzt das Damoklesschwert Demografie immer noch. Auch wenn zumindest ein Indikator, die scheinbar unendlich steigende Lebenserwartung, erst einmal ausgebremst ist. Ein Epochenbruch für den reichen Westen.Im Juli vergangenen Jahres wurde gemeldet, dass 2022 geborene Mädchen und Jungen, statistisch gesehen, vier beziehungsweise sechs Monate früher sterben, demnach würden Frauen nur noch 83,2, Männer 78,3 Jahre alt werden. Im Osten sank die Lebenserwartung sogar um neun Monate für Mädchen und 1,3 Jahre für Jungen. Grund sei die seit der Pandemie zu beobachtende „Übersterblichkeitsrate“, wobei diese europaweit nur bedingt vergleichbar ist, weil bei ihrer Erhebung unterschiedliche Parameter zugrunde gelegt werden. Wenn man genauer hinsieht, korrelieren die Übersterblichkeitsraten auch nicht unmittelbar mit dem Pandemiegeschehen, wie Daten aus Spanien und Großbritannien zeigen. Auch die sukzessive Alterung der Gesellschaft, wie manche Demografen in Deutschland annehmen, dürfte nur ein Grund für die Übersterblichkeit sein.Maloche bis zum UmfallenEin Bericht der britischen Gesundheitsstatistiker könnte das Phänomen erhellen. Sie verzeichneten in den vergangenen Jahren signifikant steigende Diagnosen von Krankheiten, die in Zusammenhang mit Corona stehen, wie Herz-Kreislauf- und Lungenerkrankungen, Diabetes und Ähnliches. In Deutschland wird davon ausgegangen, dass während der Corona-Jahre eine Vielzahl von Krebserkrankungen nicht erkannt wurde oder Operationen nicht durchgeführt werden konnten. Was in der Pandemie unübersehbar hervortrat: Die Gesundheitssysteme auch in wohlhabenden Ländern sind nicht gerüstet und müssen, wenn es eng wird, ihren Normalbetrieb einstellen. Das wirkt sich auf den Gesundheitsstatus der Bevölkerung aus, die Mortalität steigt. Ob daraus ein langfristiger Trend abzuleiten ist und sich der Rückgang der Lebenserwartung verstetigt, bleibt abzuwarten, auch im Hinblick auf die zu erwartenden Verwerfungen in der deutschen Krankenhauslandschaft.Für die Rentenkasse, so deren Chefin Roßbach, bedeutet die nicht mehr so stark steigende – oder gar sinkende – Lebenserwartung auf jeden Fall vorerst Entspannung, auch wenn es kaum gewollt sein kann, dass die Menschen wieder früher sterben. Gleichzeitig geht der Trend in den OECD-Ländern dahin, dass das Renteneintrittsalter, wie jetzt in Frankreich, sukzessive erhöht wird, um die Rentensysteme zu stabilisieren. Wobei der Ressentiments schürende Kern, das Zugangsalter, das bei den Nachbarn nun von 62 auf 64 Jahre steigen soll, täuscht, denn es bezieht sich nur auf Erwerbstätige, die bereits 42 Beitragsjahre aufweisen können. Alle übrigen müssen wie hierzulande warten, bis sie 67 sind. Allerdings liegt Frankreich bei der Erwerbsquote der 55- bis 64-Jährigen mit 56,9 Prozent eher am unteren Ende der EU-Skala, in Deutschland beträgt sie 73,6 Prozent (2022).Für den Zwang, bis zum Umfallen zu arbeiten, steht Japan. Dort ist sogar noch die Hälfte der 65- bis 69-Jährigen erwerbstätig, vielfach auch weit über die 70 hinaus, bei schlechteren Bedingungen, denn viele Arbeitnehmer jenseits der 60 erhalten neue Arbeitsverträge. Das Rentenniveau liegt niedriger als in Deutschland und wird bis 2060 voraussichtlich auf 39 Prozent sinken. Die Menschen sind also gezwungen, so lange wie möglich Geld anzusparen. Japan scheint für ein Modell zu stehen, das die Daseinsberechtigung des Menschen an seine Teilnahme am Arbeitsmarkt bindet. Es dürfte deshalb kein Zufall sein, dass ein Wirtschaftsprofessor aus Yale mit japanischen Wurzeln in einer Talkrunde die Frage aufwarf, wie Japan mit der Überalterung seiner Bevölkerung fertig werden solle. Der 38-jährige Yusuke Narita philosophierte ungeniert vor der Kamera über den Massen-Seppuku, den massenweisen rituellen Ehrenselbstmord, als Lösung. Das brachte ihm weltweite Empörung ein und ein pflichtschuldiges Mea Culpa. Doch der Zynismus, der sich in der Idee ausspricht, hat vielleicht einen realen Kern. Wer weiß schon, wie kommende Sterbehilfe-Regelungen noch wirken mögen?Altersarmut nimmt zuDass längeres Arbeiten „zu höheren Rentenansprüchen“ führt, sich auf „die soziale Nachhaltigkeit“ auswirkt und gleichzeitig „Rentenzahlungen einzusparen“ hilft, wie die Leiterin der Abteilung Sozialpolitik der OECD, Monika Queisser, 2015 schrieb, ist versicherungsmathematisch vielleicht evident, hat mit sozialer Realität aber wenig zu tun. Zum einen räumt sie selbst ein, dass Niedrigverdiener in einigen Ländern – etwa Deutschland – nur geringe „Nettoersatzraten“ (Renten) zu erwarten haben und sie diese auch durch eine längere Lebensarbeitszeit nicht wesentlich aufstocken können.Da durch Arbeitslosigkeit und andere Ausfallzeiten häufig auch kein Anspruch auf die ohnehin geringe Grundrente besteht, ist Altersarmut, die einmal ein weibliches Gesicht hatte, nun auch für viele Männer programmiert. Selbst bei forciertem Wirtschaftswachstum, so eine Studie, die die Bertelsmann-Stiftung und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin vorgelegt haben, sei ab 2039 mehr als jede:r fünfte Rentner:in von Armut bedroht. Eine lückenlose Versicherungsbiografie werden künftig immer weniger Erwerbstätige vorweisen können. Vergangene prekäre Einkommensbiografien gehen ihnen voraus; schwierige Gesundheits- Versorgungs- und Pflegebiografien folgen.Dabei muss die steigende Quote von Rentnern und Rentnerinnen nicht notwendig mit einem politisch gelenkten sinkenden Rentenniveau einhergehen. Zum einen, weil sich die noch vor ein paar Jahren angenommene Einwanderungsquote durch nicht vorhersehbare Ereignisse wie den Ukraine-Krieg erhöht hat und viel mehr Migrant:innen nach Deutschland kommen, hier arbeiten und Versicherungsbeiträge bezahlen als angenommen. Viel Potenzial bilden die Geflüchteten, denen bislang der Zugang zum Arbeitsmarkt versperrt ist.Doch auch die Geschichte der deutschen Altersversorgung zeigt, dass ein steigender Anteil von Rentner:innen keineswegs mit geringen Renten korrelieren muss. Der wachsende Wohlstand nach dem Zweiten Weltkrieg hat lange dazu beigetragen, dass auch die Altersbezüge stiegen. Doch mittlerweile hat die erwerbstätige Bevölkerung einen immer geringeren Anteil am Produktivitätsfortschritt. Während seit 1995 die Gewinnquoten der Kapitaleigner steigen, hinkt die Lohnquote in Deutschland dem Produktivitätsanstieg hinterher, seit 2000 sogar dramatisch – und damit auch die an die Erwerbseinkommen gekoppelten Renten, die durch gezielte staatliche Interventionen ohnehin massiv dezimiert wurden und mittlerweile nur durch gesetzliche „Halteleinen“ nicht ins Unendliche fallen – zumindest bis 2025. Als nach der Jahrtausendwende die demografischen Katastrophenszenarien zirkulierten, wurde der Statistiker Gerd Bosbach nicht müde, diesen Zusammenhang zu betonen und zum Teil der Lösung zu erklären. Ein an die Produktivität gekoppeltes Erwerbseinkommen und reguläre Beschäftigungsverhältnisse sichern eine auskömmliche Rente. Demografische Horrorszenarien dagegen forcieren den Generationen-Clash, der von dieser basalen Tatsache ablenken soll.