Jetzt ist wieder die Zeit der Panzer, zumindest in erheblichen Teilen meiner persönlichen Bubble. Leute, die mir teils gut bekannt sind, schmücken sich online mit israelischem Kriegsgerät, mit Blau-Weiß-Flaggen und mit Victory-Fingern oder reden offline entsprechend daher. Erklärtes Ziel dieser Mission: „Antisemiten triggern“.
Ich bin demnach kein Antisemit. „Getriggert“ hat mich jüngst die Lektüre eines Buches über den „Wandervogel“. Die Perfidie, mit der deutsche Jugendverbände schon vor 1914 jüdische Jugendliche von „Fahrten“ ausschlossen, weil diese ob ihres „Wesens“ kein authentisches Naturerleben haben könnten – das machte mich wütend. Jene Panzerbilder hingege
er hingegen stimmen mich eher traurig. Weil sie signalisieren, dass eine Beilegung des Konflikts selbst in relativ sicherer Entfernung vordergründig kaum noch als möglich gilt.Gewiss muss Israel auf einen so brutalen Angriff reagieren. Kein Land kann sich den Eindruck leisten, es würde derlei nicht beantworten. Und sicher schwingen im Terror und in seiner Begleitrhetorik von Gaza bis Neukölln antisemitische Motive mit. Trotzdem ist es nicht damit getan, das berühmte Foto zu posten, auf dem der Jerusalemer Großmufti Mohammed Amin al-Husseini mit Hitler posiert. Dieser Konflikt lässt sich nicht darauf reduzieren, dass nicht hören könne und daher fühlen müsse, wer vom Antisemitismus nascht. Man kann nicht so tun, als sei der Antisemitismus in der arabischen Welt heute derselbe wie der jener Wandervögel. Diese sonderten im Frieden eine Bevölkerungsgruppe aus. Der Hass der Hamas aber steht vor dem Hintergrund eines jahrzehntealten Konflikts, den die mittlerweile weit überlegene Gegenseite mit aller Härte führt.Große Emotionen, große TheorienNatürlich haben jene Panzer-Fantasien ein konkretes Gegenüber: rührende Bilder schutzloser Kinder von Gaza, David-gegen-Goliath-Material. Auch dieses wird inzwischen von einem breit verästelten Diskurs beschirmt: Dem „palästinensischen“ oder „muslimischen Antisemitismus“ steht das „Kolonialprojekt Israel“ gegenüber. Und zumindest bei der aktuell gegebenen Verfassung unserer Intelligenzia ist diese Front kaum aufzulockern. Es behaupten ja nicht nur erhebliche Teile der Antisemitismuskunde, anhand des Judenhasses ex negativo eine kritische Theorie der Moderne formulieren zu können – sondern es soll andererseits der Kolonialismusbegriff nicht mehr nur eine historische Epoche bezeichnen, sondern einen Schlüssel zum Verständnis gegenwärtiger Herrschaftsverhältnisse liefern.Dieses ideologische Patt aber hat nicht nur eine lange Reihe hochtrabender Debattenbeiträge gezeitigt, die sich am – so etwa Deutschlandfunk Kultur – „komplizierten Verhältnis“ zwischen „Holocaust und Kolonialismus“ abarbeiten. Die gelehrige Unentscheidbarkeit dieser Diskussion spiegelt paradoxerweise zugleich das Interesse beider Konfliktpole, die mit dem Status quo ja gar nicht schlecht fahren. Je mehr die palästinensische Sache mit der monströsen Hamas identifiziert wird, desto besser funktioniert Israels Eineinhalb-Staaten-Lösung: schleichende Einverleibung von „Judäa und Samaria“ bei formaler Externalisierung entstehender Probleme. Deshalb wäre es heikel, Hamas jetzt wirklich zu „vernichten“. Und umgekehrt kommt diese ihrem Alleinvertretungsanspruch umso näher, je mehr sie zum Hauptfeind avanciert und Ramallah dergestalt vorgeführt wird. Ist das der rationale Kern ihrer blutrünstigen Antipolitik? Die „Vernichtung“ Israels ist jedenfalls unmöglich. Das wissen auch Hamas-Anführer.Das alles klingt natürlich furchtbar zynisch, dieser Tage noch mehr denn je. Und doch ist darin auch die Chance einer Chance, denn beide Pfade laufen ins Nichts. Israel kann die Westbank nicht schlucken, ohne seinen jüdischen oder demokratischen Charakter zu opfern. Und Hamas kann nicht ewig zum Preis einer schrumpfenden Westbank Kräfte sammeln.So ist es am Ende eben nicht mal unmöglich, dass auf die maximale Eskalation eine überraschend pragmatische Phase folgt. Es wäre nicht das erste Mal in diesem Konflikt. Nicht nur, aber zumal hierzulande sollte man sich auf derlei vorbereiten. Das wäre allemal sinnvoller als ein weiterer „Historikerstreit“ um die endgültige Ausdeutung der deutschen Schuldfrage.