Es ist so bezeichnend, das schon wieder sagen zu müssen: Die Forderung nach einem Waffenstillstand in Gaza zeugt per se so wenig von „Israel-Hass“ wie die nach einem Ende des Besatzungsregimes. Und dass das Publikum der Berlinale-Gala überzeugt oder verlegen applaudierte, als internationale Filmschaffende diese und andere Nahost-bezogene Bekundungen auf der Bühne der Berlinale-Gala abgaben, verweist nicht auf einen tiefsitzenden Antisemitismus in der deutschen Kulturszene oder gar Gesamtgesellschaft. Im Gegenteil ist in den westlichen Staaten keine andere Öffentlichkeit grundsätzlich und auch konkret im gegenwärtigen Konflikt so „pro-israelisch“ eingestellt wie die deutsche, wenn man das denn „pro-israelisch“ nennen will. De
Der „Berlinale-Skandal“, den als seriös geltende deutsche Medien inzwischen schon ausgerufen haben, besteht eher in dem, was über die dortigen Geschehnisse gesagt wird als in den Geschehnissen selbst.Das zu sagen heißt notabene nicht, gänzlich in die Art und Weise einzustimmen, in der die jüngste Eskalation des Nahostkonflikts in erheblichen Teilen der internationalen Kunstwelt tatsächlich verhandelt wird. Ja, man muss hier an die Maßstäbe denken: Als einst die USA zum Ziel eines Terroraktes mit vierstelliger Opferzahl wurden, überzogen sie nicht nur dasjenige Gebiet mit Krieg, aus dem heraus die Anschläge verübt wurden, sondern gleich eine ganze Weltregion – und die Kritik in der Kunstwelt hatte weniger Verve als jetzt. Und was wäre hierzulande los, wenn eine ethnisch oder religiös erkennbare Minderheit einen Anschlag in Größenordnung des 7. Oktober 2023 verübte?Ausgewogene Kunst gibt es nichtDennoch bleibt es vollkommen absurd, von einer Kunstveranstaltung so etwas zu verlangen wie eine ausgewogene Auseinandersetzung mit einem politischen Konflikt. Wer das fordert, will in Wahrheit keine Kunst, sondern ein wissenschaftliches Symposion. Denn Kunst ist das Medium des Subjektiven, Assoziativen und Existenziellen, nicht der politischen Ratio. Und was jetzt, nachdem sich Bundeskanzler Olaf Scholz persönlich in diesem Sinn den Auftritt einzelner Kunstschaffender auf einer Festivalbühne vorgenommen hat? Nachdem Kulturstaatsministerin Claudia Roth, wenn auch wie stets als eine Getriebene, nach „Aufarbeitung“ verlangt? Will man die Teilnehmerschaft eines Filmfestes, auf dem traditionell autoritäre Missstände in anderer Herren Länder angeprangert werden, künftig vorab auf bestimmte Meinungskorridore verpflichten? Oder sie gleich nach den Maßgaben von „Staatsraison“ oder irgendwelcher parteipolitischer Kompromisse auswählen lassen?Machen wir uns ehrlich: Es ist längst Zeit für den Offenbarungseid. Deutschland kann vielleicht so einiges, aber keine internationalen Kulturfestivals ausrichten, zumal keine mit ausdrücklich politischem Anspruch. Es fehlt hierfür an Ambiguitätstoleranz. Wir wollen es irgendwie allen recht machen, aber wir halten die Widersprüche, Unklarheiten und auch möglichen Abgründe nicht aus, die damit verbunden sind.Sollten wir Festivals wie die Berlinale in Zukunft sein lassen?Das gilt schon im Allgemeinen, tritt aber stets dann besonders klar hervor, wenn Israel berührt wird. Auch jetzt, im „Fall“ der Berlinale 2024, sind ja jüdische Kulturschaffende unter denen, die man großzügig unter Antisemitismus rubriziert, diesmal Eliza Hittman und Yuval Abraham, der nach eigenem Bekunden seit seiner auch hierzulande scharf angegriffenen Berlinale-Rede Morddrohungen erhält. Was wäre denn eine kulturpolitische „Konsequenz aus dem Holocaust“, wenn nicht die, dass grundsätzlich alle jüdischen Perspektiven in diesem Land geschützt zur Sprache kommen können müssen? Gehörte es nicht zur historischen Sühne, die erwartbare Kritik des derzeit offiziellen Israels dann wegzustecken? Das Unbehagen eines Teils der jüdischen Öffentlichkeit aufzufangen, ohne dem anderen Teil über den Mund zu fahren? Zählt nicht auch das Schicksal Palästinas zum Erbe desjenigen Landes, dessen Verbrechen die Gründung Israels unausweichlich gemacht haben? All das möchte man meinen, aber nein: Wir schaffen das nicht.Doch was folgt denn nun daraus? Sollten wir unterlassen, was wir offenbar nicht können? Oder doch nach Wegen suchen, im Kunstbetrieb mehr Message Control zu etablieren? Auf diese Alternative läuft hinaus, was nun in seltener Einmut gefordert wird, wenn auch am unverblümtesten von Welt-Chef Ulf Poschardt. Doch wieder nein: Wir sollten so weitermachen wie bisher, uns also weiter der Lächerlichkeit preisgeben, uns vollmundig aufspielen als kosmopolitische Instanz der freiheitlichen Weltmoral, in der dann – die latest News – Justizminister Marco Buschmann einem Kunstfestival für ein fragwürdiges Insta-Posting öffentlich mit dem Strafrecht droht. Deutschland kann keine Kunst, es ist aber ein Kunstwerk. Titelvorschlag: „Man wäre ja gerne Führungsmacht.“