Fazit zur Berlinale 2024: Keine einmütige Dankbarkeit
Filmfestival Am Ende dieser 74. Ausgabe kam die Berlinale an die Grenzen ihres Selbstverständnisses als politisches Filmfestival. Dabei droht unterzugehen, dass es im Wettbewerb einige herausragende Filme gab
Die Dokumentation „Dahomey“ über die Rückgabe der Benin-Bronzen hat bei der 74. Berlinale den Goldenen Bären gewonnen
Foto: Les Films du Bal - Fanta Sy
Ärger um die Ein-, dann um die Ausladung von AfD-Funktionären, Unmut darüber, dass sich Gespräche über den Nahostkonflikt auf kleine, isolierte Runden innerhalb eines Tiny-House-Projekts beschränken sollten, und ein auf die offizielle deutsche Haltung zum Gaza-Krieg verweisender Boykottaufruf von „Strike Germany“, dem ein paar zum Festival geladene Regisseur*innen gefolgt waren: Es hat sich abgezeichnet, dass die staatlich bezuschusste Berlinale in diesem Jahr an die Grenzen ihres seit langem stolz vor sich hergetragenen und bislang unaufrichtig reflektierten Selbstverständnisses eines dezidiert politischen Filmfestivals stoßen würde.
Die Folge dessen zeigt nicht zuletzt der anhaltende Furor um die abschließende Preisverleihung i
52;rde.Die Folge dessen zeigt nicht zuletzt der anhaltende Furor um die abschließende Preisverleihung im Berlinale Palast. Nachdem am vergangenen Samstag reihenweise Juror*innen und Preisträger*innen die arg überschätzte Wirkmacht dieser Bühne nutzten, um einen Waffenstillstand in Gaza einzufordern und Applaus für teils einseitige Statements ernteten, folgten wiederum undifferenzierte Reaktionen auf X (aka Twitter), die „antisemitische“ Rhetorik und „Täter-Opfer-Umkehr“ unterstellten und nun höhere Wellen schlagen als die wertvollen, auf ihre Weise politischen Filme der Berlinale.Die harsche Kritik an den Äußerungen auf der Bühne richtete sich unter anderem auch an die französisch-senegalesische Regisseurin Mati Diop, die für ihren Dokumentarfilm Dahomey den Goldenen Bären, den Hauptpreis des Festivals erhielt. Bei ihrer Dankesrede auf der Bühne bekundete sie ihre Solidarität mit Senegal – und Palästina. Entweder man legt die Vergangenheit ab wie eine Last, die an der Weiterentwicklung hindert, oder man übernimmt Verantwortung für sie, hatte Diop zuvor erklärt und eindeutig für Letzteres plädiert. Dementsprechend differenziert argumentiert auch ihr Film selbst.Dahomey erzählt von der 2021 erfolgten Rückgabe von 26 Kulturgütern aus dem Pariser Musée du quai Branly ans westafrikanische Benin und begleitet die logistischen Vorbereitungen dieser Restitution, den Transport und schließlich die Ankunft der Artefakte in ihrem Ursprungsort. Aus dem Off ordnet dazu eine tiefe Stimme in mystisch-poetischer Manier diese unverhoffte Heimkehr ein. Der Raub war vor über einem Jahrhundert durch französische Kolonialtruppen erfolgt. Die Stimme gehört Artefakt Nr. 26: einer 220 kg schweren Skulptur von König Gezo, der von 1818 bis 1858 über das Königreich Dahomey im heutigen Benin herrschte. In seinen 67 Minuten Laufzeit begnügt sich Dahomey aber nicht mit dieser fiktionalen Perspektivierung, sondern fängt auch äußerst aufschlussreich die angeregten Debatten in Benin zur Rückgabe der bedeutsamen Kunstobjekte ein.Die Filmauswahl des Berlinale-Wettbewerbs war herausragendDass der Hauptpreis der Berlinale damit zum zweiten Mal in Folge an einen Dokumentarfilm ging, werteten Teile des deutschen Feuilletons nach der Preisverleihung als Symptom für einen schwachen Wettbewerb – als wären Dokumentarfilme niederes Kino, das man nur im schlimmsten Fall auszeichne. Dabei war die 20 Titel umfassende Filmauswahl des diesjährigen Wettbewerbs von vielen sehenswerten und, neben Dahomey, weiteren herausragenden Beiträgen durchzogen.Mitunter gab es Hürden zu überwinden, um zu diesen Highlights zu gelangen, auch im wörtlichen Sinne: Wann immer man unter zeitlicher Bedrängnis abseits des Hauptwegs zum Berlinale Palast am Potsdamer Platz eilte, galt es einen wahren Parcours aus Absperrgittern zu umlaufen. Auch eine Handvoll Spielfilme des Programms fühlten sich eher wie Hindernisse an. Neben dem Sci-Fi-Melodrama Another End waren dies etwa die seichte Musik-Dramedy Gloria! (beide bei den Pressevorführungen mit vereinzelten Buhrufen bedacht) und der wie ein Lehrfilm über deutsch-französische Verbundenheit daherkommende Langue Étrangère.Placeholder image-1Pepe, ein Film über das Schicksal eines Nilpferds aus Pablo Escobars Privatzoo, zeichnete sich zwar durch Ideenreichtum aus, war in seiner fragmentierten, vielsprachigen Inszenierung aber auch ziemlich sperrig. Dass die Jury Filmemacher Nelson Carlos De Los Santos Arias dennoch mit dem Silbernen Bären für die Beste Regie bedachte, überraschte, besonders wenn man etwa an Alonso Ruizpalacios‘ inszenatorischen Kraftakt La Cocina denkt, der leer ausging.Nachvollziehbarer war da die Entscheidung, Martin Gschlacht für seine Kameraarbeit an Des Teufels Bad einen Silbernen Bären zu verleihen. Das österreichische Regie-Duo Veronika Franz und Severin Fiala erzählt darin von schrecklichen Vorkommnissen in Oberösterreich um 1750. Musikerin Anja Plaschg spielt die frisch vermählte, fromme Agnes, die mit der Düsternis ihrer neuen Umgebung und der ehelichen Kälte hadert, darüber in eine tiefe Depression stürzt und schließlich eine unfassbare Tat begeht. Gschlachts Kamera folgt diesem graduellen psychischen Niedergang und integriert ihn in einprägsame, teils drastische Bildsequenzen, die vom harschen katholischen Brauchtum jener Zeit und sich ins Alptraumhafte wendende Naturidyll zeugen.Placeholder image-2Der Schmerz über fehlende familiäre Nähe überträgt sich in Matthias Glasners Drama Sterben vor allem durch ins Mark treffende Dialoge. Dafür bedachte ihn die internationale Jury passenderweise mit dem Preis für das Beste Drehbuch. Als „Film über den Mangel an Liebe, der mit sehr viel Liebe gemacht wurde“ bezeichnete ein sichtlich bewegter Glasner das Werk in seiner Dankesrede. Mit ähnlich rührender Bescheidenheit fiel der südkoreanische Filmemacher Hong Sangsoo auf, als er sich auf der Bühne wunderte, was die Jury in seiner mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichneten Tragikomödie A Traveler’s Needs, bloß gesehen habe.Eine politische PreisverleihungAllein von einmütiger Dankbarkeit war die Preisverleihung zum Abschluss der Berlinale dann aber eben nicht geprägt. Hatte Jury-Mitglied Christian Petzold bei der Pressekonferenz zu Beginn noch geseufzt, er würde so gern mal auf ein unpolitisches Filmfestival gehen, wurden er und das Publikum am Abschlussabend nochmal genau verortet: „Ceasefire Now“-Aufnäher prangten auf der Abendkleidung diverser Jury-Mitglieder anderer Preis-Sektionen, die ihre Forderung ebenso wie einige Preisträger auch verbal auf der Bühne äußerten. Entsprechend gab es mit dem von einem palästinensisch-israelischen Kollektiv gedrehten Dokumentarfilm No Other Land einen Film der Stunde, der den Dokumentarfilmpreis der Berlinale erhielt.In der Sektion Encounters wurde der Dokumentarfilm Direct Action als Bester Film ausgezeichnet. Im immersiven Stil, ohne Kommentierung und in langen Einstellungen zeigt der Film das entschlossene Vorgehen einer heterogenen französischen Protestgemeinschaft in der „Zone to Defend“ in Notre-Dame-des-Landes. Dass einer der Regisseure, Ben Russell, eine Kufiya trug, als er den Preis entgegennahm und sich auf der Bühne explizit gegen den „Genozid“ in Gaza aussprach, sorgt nachhallend für jene eingangs genannte Aufregung, die nun leider den sehenswerten Inhalt seines ausgezeichneten Films zu verdrängen droht.Bis auf Berlinale-Leiterin Mariëtte Rissenbeek äußerte sich niemand auf der Bühne über die von der Hamas am 7. Oktober 2023 begangenen Gräuel oder forderte die Freilassung der israelischen Geiseln. Mati Diops mahnende Worte, Verantwortung für die Vergangenheit zu tragen, hallen in diesem Zusammenhang nach und werfen die Frage auf, wie selektiv der Blick auf die Vergangenheit dabei ausfallen kann. Dieser Frage wird sich auch die Berlinale stellen müssen, wenn sie unter Leitung von Tricia Tuttle die künftige Ausrichtung des Festivals austariert.
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