In der Berliner Kleingartenkolonie Am Waldessaum steht noch heute das Häuschen, in dem Hilde und Hans Coppi nach ihrer Heirat im Juni 1941 lebten. Die Gedenktafel neben dem Eingang ist vom Weg aus nicht zu entziffern. Ein paar Meter weiter geben zwei Stolpersteine Auskunft. Die Coppis wurden „im Widerstand verhaftet“ und hingerichtet. Ihr in der Haft geborener Sohn Hans ist heute 81 Jahre alt. Gedacht wurde der Coppis vor allem in der DDR, sie waren Kommunisten aus jenem Umfeld, das die Gestapo als „Rote Kapelle“ bezeichnete. Dieser Tage wird Andreas Dresens In Liebe, Eure Hilde ihr Schicksal auf großer Bühne dem Vergessen entreißen – der Film feiert seine Premiere im Wettbewerb der Berlinale.
Hilde-Coppi-Straße in Gera
In Gera, wo Drese
ttbewerb der Berlinale.Hilde-Coppi-Straße in GeraIn Gera, wo Dresen geboren wurde, gibt es eine Hilde-Coppi-Straße. Vielleicht war dem Sohn des Theaterregisseurs Adolf Dresen Coppis Name dadurch schon bekannt. Möglicherweise haben auch die Schwierigkeiten, die Partei- und Staatsführung der DDR seinem Vater machten, das Interesse am Thema geweckt. Adolf Dresen ging 1977 in den Westen. Sohn Andreas, damals gerade 14, blieb bei der Mutter.Bald drehte er seine ersten Filmchen, führte Regie im Schultheater in Schwerin. Schon ein grober Blick über sein späteres Werk macht deutlich: die meisten seiner HeldInnen stammen aus „kleinen Verhältnissen“ und beweisen unter großem äußeren Druck eine noch größere innere Stärke. Wie die Coppis: Hildes Mutter betrieb einen Lederwarenladen, Hans kam aus einer kommunistischen Arbeiterfamilie. In ihrer Gartenlaube versuchten sie, per Funk mit GenossInnen in Moskau in Kontakt zu treten – bis jemand sie verriet.Dresens Debüt „Stilles Land“Dresen porträtierte nach dem Regiestudium in Babelsberg 1992 noch das vertraute Schauspielermilieu in seinem Debüt Stilles Land. 1999 erzählte er in Nachtgestalten von Obdachlosen, Prostitution und einem glücklosen Geschäftsmann. Im Zentrum von Halbe Treppe stand zwei Jahre später ein Imbissbudenbesitzer. Während die erfolgreichsten deutschen Komödien Tiefe vorgaukeln, indem sie ihre Figuren in weitläufige Lofts stecken, konzentriert sich das Leben in Dresens Filmen auf engem Raum, in unsanierten Alt- und Plattenbauten. Wenn er sich mal für die große weite Welt und einen wie George W. Bush interessiert, dann nur, weil eben jener von Rabiye Kurnaz, einer deutsch-türkischen Hausfrau aus Bremen, verklagt wurde.Eingebetteter MedieninhaltWer Dresen einmal persönlich gesprochen hat, ahnt, mit welcher Neugier und Hingabe er sich in die Welten gräbt, von denen er und seine Stammautoren Wolfgang Kohlhaase und Laila Stieler mit viel Sinn für’s Luftige erzählten. Dafür muss er mit seinen Protagonisten nicht einer Meinung sein. Hans-Dieter Schütt fragte ihn in seinem Porträt-Buch Glücks Spiel zu den Dokumentarfilmen über Henryk Wichmann: „Wie kommt man auf die Idee, einen CDU-Provinzpolitiker zu porträtieren?“ Dresens Antwort: „Überall leben Menschen.“Dresen als Verfassungsrichter in BrandenburgDie Linke machte Dresen 2012 zum Verfassungsrichter in Brandenburg, das Amt nannte er „eine andere, reizvolle Perspektive im Hin-Blick auf das Leben im Land“. Der Trennstrich im „Hinblick“ ist im Buch sicher sehr bewusst gesetzt. Dresens Amtszeit endete im Oktober 2023.Nun feiert In Liebe, Eure Hilde in einem Land Premiere, das auf Wahlsiege der AfD zusteuert und in dem Hunderttausende gegen Rechts auf die Straße gehen. Nahezu untergegangen ist ein Appell von über 280 Nachfahren von Widerstandskämpfern, der zum Schutz der Demokratie auffordert. Unterschrieben hat auch Hans Coppi junior, der auf der Berlinale zu Gast sein wird.Viel mehr Aufmerksamkeit bekam ein offener Brief, der gegen die Einladung von AfD-Abgeordneten zur Festivaleröffnung protestierte. Er wurde auf deadline.com veröffentlicht und dann wieder entfernt. Die nach wie vor sichtbare Unterschriftenliste der „über 200 Branchenprofis“ ziert kein bekannterer Name. Warum am vergangenen Donnerstag dann die zuvor Eingeladenen offiziell wieder ausgeladen wurden, bleibt nebulös. Stichhaltig scheint das im SWR lancierte Gerücht, besagter Brief stamme von Mitarbeitenden der Berlinale.Was Dresen über AfDler im Publikum sagtÜber 1.000 Beschäftigte sichern jedes Jahr den Ablauf des Festivals, vom Einlass bis zur Gästebetreuung. Es sind zumeist junge Menschen, Studierende, denen man nachsagt, politisch eher wach zu sein. Denkbar also, dass die Berlinale-Leitung ihnen und nicht anonymen Branchengrößen nachgab. Wenn ein größerer Teil dieser Mitarbeitenden auf den unteren Ebenen sich geweigert haben sollte, dem politischen Gegner die Türen aufzuhalten, hätte das wohl ausgereicht, um eines der größten Filmfestivals der Welt zum Einlenken zu bringen. Es wäre eine Geschichte der Machtumkehr, „von unten“. Andreas Dresen könnte sie eines Tages verfilmen.Ganz d’accord geht der mit dem Protest wohl trotzdem nicht. Auf die Frage, wie er es fände, wenn bei der Premiere seines Film In Liebe, Eure Hilde AfDler im Publikum säßen, schrieb Andreas Dresen dem Freitag: „Bei unserem Film sind mir natürlich alle Menschen willkommen. Und gerade Abgeordnete der AfD könnten da vielleicht etwas lernen.“Dass Kunst für Menschen einen Anstoß zur Wandlung geben kann, mag eine naive Hoffnung sein. Andreas Dresen, 60 Jahre alt, gibt sie nicht auf.Eingebetteter Medieninhalt