Candice Breitz, Masha Gessen, die Documenta-Findungskommission, aber auch hierzulande weniger bekannte Namen wie Eyal Weizman: Das sind die prominentesten „Fälle“ nur der letzten Wochen. All diese Leute aus Kunst, Essayismus oder Akademia wurden vom deutschen Kultur- und Wissensbetrieb aus politischen Gründen abgesagt, ausgeladen oder zumindest massiv abgewatscht.
Gewiss hat das zumal seit dem 7. Oktober noch einmal zugenommen. Doch gibt es weiter auch prominente Fälle von „Russlandnähe“ wie jüngst den des Dirigenten Justus Frantz. Man muss nicht alle Genannten mögen und im Detail ist kein Fall wie der andere. Es ist aber ein unschöner Stempel dieses Jahres, dass das deutsche Geistesleben mehr Fälle produziert als Inspirationen
laden oder zumindest massiv abgewatscht.Gewiss hat das zumal seit dem 7. Oktober noch einmal zugenommen. Doch gibt es weiter auch prominente Fälle von „Russlandnähe“ wie jüngst den des Dirigenten Justus Frantz. Man muss nicht alle Genannten mögen und im Detail ist kein Fall wie der andere. Es ist aber ein unschöner Stempel dieses Jahres, dass das deutsche Geistesleben mehr Fälle produziert als Inspirationen und Diskussion: Auf bestimmte Positionen geht man nicht für sich ein, sondern urteilt nach legt vorgängigen „Kriterien“ – das ist der Unterschied.Der Nahostbezug ist hier so relevant, weil sich die in Deutschland gangbaren Haltungen dazu stark vom sonst im Kunst- und Diskursbetrieb Üblichen unterscheiden. Das hat Wirkungen: Wer sich etwa in der internationalen Berliner Kulturszene umtut, stößt auf tiefe Verunsicherung. Deutschland, sonst für Liberalität geschätzt, gilt plötzlich als Umfeld, in dem man darauf achtet, zu wem man was sagt. Und was Expats über Deutsche denken, steht alsbald in der New York Times: „Ein Sturzbach gecancelter Ereignisse bedroht Deutschlands Ruf als sicherer Hafen für künstlerische Freiheit“, titelte diese jüngst. Ähnlich klingt es bei der wichtigen Kunstmarktplattform artnet und anderswo.Sortieren lassen sich die Fälle in zwei Kategorien. Fälle erster Ordnung entstehen um tatsächliche, erwartete oder unterstellte unmittelbar politische Aussagen. So etwa im unterdiskutierten Fall Eyal Weizman: Der israelische Architekt darf zwar als Direktor des Centre for Research Architecture am Londoner Goldsmiths College wirken, nicht aber an der RWTH Aachen zu „Forensic Architecture“ sprechen. Sicher waren von dem Theoretiker politischer Architektur, der viel zur Westbank gearbeitet hat, „Israel-Kritik“ zu erwarten. Doch ist es bemerkenswert, dass der Planer des Mahnmals für die zerstörte Synagoge in der Berliner Lindenstraße nun irgendwie im Ruch von Judenfeindschaft steht.Ist die Politisierung der Kunst am Ende eine Ersatzhandlung?Candice Breitz oder auch Justus Frantz stehen für die Fälle zweiter Ordnung: Kunst ist hier allein deshalb non grata, weil die Kunstschaffenden außerhalb der jeweils in Frage stehenden Werke unwillkommen agieren. Im etwas undurchsichtigen Fall Frantz haben scheinbar Kontakte in Russland und Meinungen über den Ukrainekrieg, hat wohl sogar die vermeintliche Zusammensetzung privater „Salons“ ein stiftungsgeführtes, aber staatlich gefördertes Festival dazu geführt, seinen einstigen Gründer quasi präventiv und zumindest halböffentlich auszuladen. Im Fall Breitz sagt eine staatliche Galerie die künstlerische Position einer Jüdin zu Sexarbeit in Südafrika ab, die sich gegen eine Verengung des Nahost-Diskurses gewandt hat. Man lasse das kurz sacken.Von welchem Ort aus werfen deutsche Institutionen jüdischen Intellektuellen falsche Schlüsse aus einer Geschichte vor, die auch die ihre ist? Hat die rasante, international so auffällige Politisierung des Raumes der Künste auch damit zu tun, dass dieses Land in der Welt an Standing verliert, ob Russland, Ukraine oder Naher Osten? Sehen wir eine Art Ersatzhandlung?Der Kommentar zum Jahr war das – vielleicht zu knappe – Statement der Berliner Akademie der Künste vom Dezember: „Gegen jegliche Gesinnungsprüfung von Künstler*innen sowie gegen vorauseilende rote Linien aufgrund politischer Äußerungen“ müsse die Kunstfreiheit verteidigt werden. Beschämend, dass das gesagt werden muss. Gewiss findet nichts im luftleeren Raum statt, auch Kunst nicht. Wir brauchen aber keine Grundsatzdebatte über „Werk und Autor“, sondern eine Haltung, die so entspannt ist, dass sie Spannungen aushält. Kunst und Kultur muss der Raum mit den weitesten, nicht den engsten Grenzen sein, ein Raum auch der Stolpersteine. Und das allerletzte, was man bei zwischenstaatlichen Misstönen dichtmacht oder sanktioniert: Eine Selbstverständlichkeit wird zur Aufgabe für 2024.