Sterbende Dörfer

Landflucht Kaputte Infrastruktur, mieser Nahverkehr und Schnecken-Internet. Und die Kartoffeln kriegt man auch nicht mehr vom Bauern

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Foto:  onnola/flickr
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Bis vor Kurzem habe ich in einem 900-Einwohner-Dorf in Rheinland-Pfalz gewohnt. Vor 30 Jahren gab es dort eine Grundschule, eine Landmetzgerei, zwei Bäckereien, einen Tante-Emma-Laden und vier Kneipen. Vor 10 Jahren gab es noch drei Kneipen und eine kleine Edeka-Niederlassung. Jetzt gibt es nur noch eine Kneipe. Die Menschen klagen, dass sie für jedes Brot, jedes abgepackte Kotelett, jeden importierten Salat und jede Flasche Wasser nun die 5 Kilometer bis zum nächsten Penny fahren müssen. Für Alte und Menschen ohne Auto ist das Geschäft kaum erreichbar, weil es weit außerhalb der Ortschaft und abseits der Buslinie liegt. Der Bus fährt ohnehin nur zweimal täglich.

Bäuerliche Kleinbetriebe rentieren sich nicht mehr. Das Land haben wenige Großbauern aufgekauft, es wird auf das Modernste mit computergesteuerten Melkanlagen, Satellitenüberwachung des Anbaus, Bayer und Monsanto bewirtschaftet. Wer dort ein Hühnchen, Eier, ein Stück Rindfleisch oder Gemüse zu kaufen erwartet, hat Pech gehabt. Er bekommt stattdessen Wiesenhof, Eier aus Bayern oder Polen, den Braten zu 8,99 aus der Großschlachterei, wo zu Niedrigstlöhnen geschlachtet wird, und Gemüse aus Spanien oder Übersee. Beim Discounter.

Der nächste gut sortierte Supermarkt mit Bäckerei, Frischfleisch-, Wurst- und Fischtheke ist 25 Kilometer entfernt, der Einkauf dort nicht billig. Die Kreisstadt, zu der er gehört, hat am Stadtrand eine großkotzige Shopping Mall mit C&A, Schuhgeschäften und Drogeriemarkt gebaut, seitdem ist die hübsche alte Innenstadt die Anfahrt nicht mehr wert - Leerstände, Billigheimer und ein paar Apotheken verlocken nun mal nicht zum Window-Shopping. Trier ist nur 45 Kilometer entfernt und von dort ist es nur noch eine Viertelstunde nach Luxemburg - die Meisten ziehen diese Möglichkeit vor. Nicht allzu häufig, weil die Frau dann immer noch bummeln gehen will und das teuer werden kann. Aber das Geld, das ausgegeben wird, wird dort ausgegeben.

Ein, zwei Mal im Jahr fährt man für einen Tag nach Köln, zum Klamotten kaufen. Die Anbindung ans Internet ist ebenso schlecht wie die an die öffentlichen Verkehrsmittel. Die Jungen ziehen weg, obwohl viele ererbtes Wohneigentum besitzen und die Mieten billig sind. Platz für Kinder wäre genug vorhanden, aber keine Arbeitsplätze, die den Unterhalt einer Familie sichern. In der Stadt oder ihrem Nahbereich ist es so viel bequemer, zum Arbeiten, Shoppen und Ausgehen, mit den Öffis, dem Schulbus, und überhaupt. Mit den Dörfern stirbt auch Lebensqualität. Den Kleinen wird sie nicht fehlen. Sie werden sie ja nicht mehr kennen.

  • Kristian hat das auf G+ geteilt, lest mal, sehr unterschiedliche, interessante Reaktionen

Zuerst auf "...Kaffee bei mir?" veröffentlicht, dazu viele interessante Kommentare.

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Geschrieben von

vera bunse

Freie Journalistin, Bloggerin, @verabunse, Dosenöffner für Kater Hadji. Netz·Politik, Soziales, Journalismus. Korrigiert und redigiert.

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