Beginnen wir mit den spezifischen Gründen. Dafür gibt es – wie es sich für die Welt der Finanzen geziemt – eine präzise Ziffer: 1.557. Das ist die im Geschäftsbericht offiziell ausgewiesene Zahl der „Risk Taker“, denen die Credit Suisse im vergangenen Jahr im Schnitt fast eine Million Franken bezahlt hat. Dafür, dass sie – zulasten des Arbeitgebers natürlich – hohe Risiken eingingen und darüber vielleicht die eine oder andere schlaflose Nacht verbrachten. Insgesamt hat die Credit Suisse in den vergangenen zehn Jahren ihren Risk-Verursachern 32 Milliarden Boni ausbezahlt und Verlust von 3,2 Milliarden eingefahren.
Die Tradition der hohen Boni und der milliardenschweren Verluste geht auf das Jahr 2000 zurück. Dam
n.Die Tradition der hohen Boni und der milliardenschweren Verluste geht auf das Jahr 2000 zurück. Damals kaufte die Credit Suisse für gut 20 Milliarden Franken die US-amerikanische Investmentbank Donaldson Lufkin Jenrette (DLJ). Diese hatte sich vor der Übernahme mit ansehnlichen Gewinnausweisen herausgeputzt, wies danach aber nur noch Verluste aus. Mit DJL hat das Credit-Suisse-Management nicht nur eine Bank übernommen, sondern – und das war wohl der eigentliche Zweck – auch die US-amerikanische Bonus-Kultur. Die Schweizer Banker wollten endlich auch so viel kassieren wie ihre Kollegen in den USA. Boni hui, Aktienkurs pfuiUnd so geschah es: Im Zuge dieser Transaktion wurde das Kapital der Credit Suisse um etwa sechs Milliarden Franken aufgestockt, wovon zwei Milliarden in Form von Optionen an das Management flossen. Allein der damalige Credit-Suisse-Chef Lukas Mühlemann hat 2001 auf diese Weise rund 40 Millionen Franken kassiert. Das setzte den neuen Maßstab. Brady Dougan, der die Bank zwischen 2007 und 2014 leitete, erhielt eine Vergütung von etwa 160 Millionen Franken, während der Börsenkurs im gleichen Zeitraum um 70 Prozent fiel. Sein Nachfolger Tidjane Thiam bezog in viereinhalb Jahren rund 64 Millionen Franken. Gleichzeitig sank der Aktienkurs um weitere 40 Prozent.Trotz dieser Boni-Exzesse galt die Credit Suisse bis vor Kurzem als solide Bank. Das Füllhorn der Kapitalmärkte macht vieles möglich. Per Ende 2022 wies die Credit Suisse immer noch ein Eigenkapital von rund 45 Milliarden Franken aus, gut 20 Prozent mehr als das reglementarische Minimum. Die Bank ist denn auch nicht „pleite“ gegangen, zumindest nicht im üblichen Sinne. Nach allen geltenden Regeln der Buchhaltungskunst stand die Credit Suisse nie in der Gefahr, ihren Verpflichtungen nicht nachkommen zu können. Ihr Problem war der Vertrauensverlust der Kapitalmärkte. Die Kundinnen und Kunden haben massiv erst Vermögensverwaltungs- und dann auch Spargelder abzogen. „Sie können Vertrauen nicht regulieren“, meinte die für die Bankenregulierung zuständige Bundesrätin Karin Keller-Sutter.Die UBS sagt lachend DankeGanz ähnlich hat sich Nationalbankpräsident Thomas Jordan geäußert. Die Medien haben dies als billige Ausreden kritisiert. Sie meinen – vermutlich zu Recht –, dass der Bundesrat und die Nationalbank das Problem zu spät erkannt, und es versäumt haben, mit rechtzeitigen vertrauensbildenden Maßnahmen größeren Schaden abzuwenden. So wie es jetzt aussieht, muss die öffentliche Hand mit einer Kreditlinie von 200 Milliarden Franken plus einer Garantie von neun Milliarden für den Fall späterer Verluste eine Bank retten, die offiziell 45 Milliarden wert ist. Aus der Sicht der UBS, die die Credit Suisse nun übernimmt, sieht es so aus: Die öffentliche Hand garantiert uns ohne weitere Bedingungen 209 Milliarden Franken, damit wir für drei Milliarden einen Konkurrenten im Wert von 45 Milliarden kaufen können. Und man muss uns dafür noch dankbar sein.Was geht da vor sich? Haben da überforderte Behördenvertreter jedes Augenmaß und sämtliche Nerven verloren? Der Schweizer Historiker Jakob Tanner sagt dazu Folgendes: „Es drückt sich darin aber auch eine enorme Angst der Behörden vor den ,internationalen Finanzmärkten‘ aus, weshalb man wohl eine temporäre Verstaatlichung des taumelnden Bankbetriebes wegen des zu erwartenden Kesseltreibens wohl gar nicht erst in Erwägung ziehen wollte. Da hat die Demokratie ein echtes Problem.“Was McKinsey vorrechnetDas bringt uns zum eingangs erwähnten generellen Grund. Auch dafür steht eine präzise Ziffer: 1.540.000 Milliarden Dollar. Das war laut McKinsey 2021 die Summe der weltweiten Vermögen, das 13,2-fache des weltweiten Bruttosozialprodukts. „The world has nether been wealthier“, schreibt McKinsey, die Welt sei nie reicher gewesen. Das wiederum beweist, dass nicht nur die Finanzmärkte, sondern auch die dort tätigen „McKinseys“ jeden Bezug zur realen Welt verloren haben: Die 1.540 Billionen sind kein Vermögen, sondern eine Fiktion. Um diese Guthaben real einzufordern, müssten die Gläubiger 13,2 Jahre lang alle Güter und Dienstleistungen – die ganze Arbeitskraft der Schuldner – für sich allein beanspruchen.Dieser ganze „Reichtum“ ist also bloß fiktiv und die Fiktion kann nur solange aufrechterhalten werden, als die Gläubiger ihre Guthaben nicht real einfordern, sondern bloß unter sich verschieben. Dabei schwingt eine latente Verlustangst immer mit: Jeder einzelne Gläubiger hat immer nur Guthaben gegenüber einzelnen Schuldnern. Und diese können nur solange eingelöst werden, als nicht alle anderen Gläubiger dasselbe tun wollen. Die Werthaltigkeit meines Guthabens gegenüber x hängt also davon ab, ob die anderen Gläubiger noch glauben.Die Gläubiger bzw. ihre gut bezahlten Vertreter haben also allen Grund, sich gegenseitig misstrauisch zu beäugen. Warum haben die im letzten Quartal 100 Milliarden Anlagegelder bei der Credit Suisse abgezogen? Wissen die etwas, was wir nicht wissen? Was steckt hinter der neuesten Kapitalerhöhung? Reichen die 1,3 Milliarden Rückstellungen für Prozessrisiken? Haben die „Risk-Taker“ zu viel Risiko genommen? Vertrauensverlust ist ein kollektiver Prozess mit einem Kipppunkt. Greift eine allgemeine Nervosität um sich, kann es fast jeden treffen. Und dieses Risiko wird umso größer, je mehr sich das globale Finanzvermögen von seiner realen Basis entfernt.Eine Folge der GlobalisierungDies wiederum ist eine Folge der Globalisierung. Je länger die Wertschöpfungsketten, desto größer die Möglichkeiten der Wertabschöpfung. Dies verschafft den globalen Playern die Mittel, um sich gegenseitig aufzukaufen, ihre Marktmacht zu konsolidieren und im Zug des Standortwettbewerbs die Löhne und Steuern zu drücken. In allen Ländern gibt es inzwischen eine Unterschicht von Arbeitnehmern, deren Lohn nicht mehr für den Lebensunterhalt reicht und die deshalb auf Staatshilfe angewiesen sind. Und (fast) kein Land kann die entsprechenden Ausgaben mit Steuereinnahmen finanzieren.Was sich da so an Schulden und Guthaben zusammenläppert, illustriert ein Blick auf die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Europäischen Union. Danach haben die EU-Unternehmen allein in den vergangenen zehn Jahren 2.250 Milliarden Euro Guthaben angehäuft. Davon sind die Dividenden bereits abgezogen. Diese und die hohen Topsaläre sind an die Privathaushalte (im Wesentlichen an das reichere Drittel) geflossen, womit diese ihre Guthaben um etwa 3.000 Milliarden Euro aufstocken konnten. So sind in zehn Jahren allein auf diese Weise über 5.000 Milliarden Euro neue Guthaben entstanden. Auf der Seite Schuldner stehen die Staatshaushalte der EU-Staaten mit 3.240 Milliarden und das „Ausland“ bzw. die Staaten außerhalb der EU.Die Macht der FinanzmärkteDieser stetig wachsende Guthaben- und Schuldenberg muss von gut bezahlten Vermögensverwalter und Asset-Managerinnen verwaltet und „angelegt“ werden. Das verschlingt schon mal viele Ressourcen und bewirkt eine Umverteilung zugunsten der „Geldarbeiter“. Doch das ist noch nicht alles: Per Saldo und in Endeffekt fließen die neuen Guthaben zwar fast ausschließlich in Staatsschulden. (Die Unternehmen finanzieren ihre Investitionen aus den laufenden Einnahmen). Doch zuvor kaufen sich die Gläubiger gegenseitig ihre Wertschriften und Immobilien ab, womit deren Preise hochgetrieben werden, was wiederum eine weitere Umverteilung von unten nach oben (vom Mieter zum Landbesitzer) bewirkt. Das schafft neue Guthaben und Schulden und mehrt die Macht der Finanzmärkte.So lange dieser Teufelskreis nicht erkannt und durchbrochen wird, ist mit weiteren Finanzkrisen zu rechnen. Und diese enden – wie das aktuelle Beispiel zeigt – immer damit, dass die Finanzmärkte dem Staat die Pistole auf die Brust setzen können: „209 Milliarden Fränkli her, oder wir brechen zusammen!“