Auf Trumps Spuren

Sozialstudie Alle bloß rückständig und dumm? In ihrem neuen Buch lässt Arlie Hochschild die Wähler des Krawallmilliardärs zu Wort kommen
Ausgabe 36/2017

Wie und warum konnte dies eigentlich passieren? Wie konnte es einem Immobilienmakler ohne jede politische Erfahrung gelingen, eine Konkurrentin wie Hillary Clinton zu bezwingen, die das Einmaleins des Politikgeschäfts von Grund auf gelernt hat? Wie war es möglich, dass ausgerechnet ein Sozialdarwinist erster Güte sich erfolgreich zum Kandidaten des einfachen Mannes von der Straße stilisieren konnte? Je länger die Amtszeit Donald Trumps andauert, desto vehementer stellt man sich weltweit, vor allem aber unter US-amerikanischen Liberalen, diese Fragen.

Hinsichtlich ihrer Beantwortung ist eher unwahrscheinlich, dass es schlicht daran lag, dass über 48 Prozent der Wähler bloß dumm, rückständig oder vom russischen Geheimdienst manipuliert waren. Oder daran, dass Hillary Clinton nicht unbedingt die bestmögliche Kandidatin der Demokraten war. So einfach ist der Erfolg von Donald Trump nicht zu erklären.

Vielmehr ist wohl ein wenig Selbstkritik im liberalen Lager angebracht: Schließlich haben sich die progressiven Eliten in den vergangenen Jahrzehnten primär mit eher akademischen Fragestellungen wie der nach der kulturellen Hegemonie oder der nach sexueller Identität befasst anstatt mit den Auswirkungen, die ein entfesselter globaler Markt auf das Leben der sozial Benachteiligten hat. Dieses „Elfenbeinturm-Problem“ machte es wiederum den ökonomischen Eliten leichter, von sich selbst und den positiven Auswirkungen der entfesselten Märkte für sie abzulenken und stattdessen Akademiker, Intellektuelle und Medien als das Feindbild der wirtschaftlich Marginalisierten aufzubauen.

Aber auch dieser Gedankengang greift noch zu kurz, da er nicht vollständig erklären kann, warum sich besagte Unterprivilegierte in ihrer Not ausgerechnet zu jemandem hinwandten, der sie doch so offenkundig verachtet. Dieser Problematik geht die renommierte Soziologin Arlie Russell Hochschild in ihrem jüngsten Buch nach.

Nicht so weit weg von Sanders

Während des Vorwahlkampfes verließ sie das kalifornischen Berkeley, um ins südliche Louisiana, quasi die konservative Wildnis, zu fahren. Dort vergiften petrochemische Konzerne seit Jahrzehnten die Umwelt, während sich die Lokalregierung gegen jede Form von Regulierung sperrt.

Hochschild ging dort nicht hin, um den Menschen ihren reaktionären Lebensstil vorzuhalten, sondern vielmehr, um ihnen genau zuzuhören. Und stieß dabei auf ein großes Paradox: denn viele der dortigen Konservativen und Populisten wollen im Prinzip das Gleiche wie auch die Liberalen, nämlich eine saubere Umwelt, sichere Lebensverhältnisse und insgesamt ein besseres Zusammenleben aller Amerikaner. Dabei sind wenige von ihnen offen rassistisch oder ausländerfeindlich. Vielmehr engagierte sich ein großer Teil für den Umweltschutz und hat unter der Geschäftspolitik der Konzerne gelitten. Jedoch erwarten sie einfach von Demokraten, Bundesregierung und Behörden nichts mehr. Nichts Gutes jedenfalls. Zu oft wurden sie, aufgrund des Machtgefüges von Industrie und Politik, schlicht und einfach in ihren Bedürfnissen und Sorgen übergangen, während die großen Konzerne quasi machen können, was sie wollen, ihre Gewinne jedoch ganz woanders investieren.

Tatsächlich sind dabei die Anhänger Bernie Sanders’ und die populistischen Konservativen im tiefen Süden gar nicht so weit auseinander. Sie alle stehen den Großkonzernen skeptisch gegenüber, sie alle profitieren von Medicare, und sie alle hassen es, von Behörden bevormundet zu werden.

Entscheidend ist freilich etwas ganz anderes: Freiheit und Individualität werden für die Vertreter der Mittelschicht im südlichen Louisiana allein durch ihren Arbeitsplatz gesichert. Sie haben einfach nicht die Wahl, woanders hinzugehen. Und wollen es zumeist auch nicht. Dafür nehmen sie dann in Kauf, für eben die großen Ölkonzerne zu arbeiten, die genau das Land zerstören, das man doch eigentlich gern schützen würde. Andere Arbeitgeber zu finden, ist fast unmöglich.

Hochschilds Gesprächspartner sind sich dieser Problematik sehr wohl bewusst, was wiederum zu großer Wut und Trauer führt. Und in gewisser Weise letztendlich zu Donald Trump. Mit ihrem Buch gelingt Arlie Hochschild ein verständnisvolles und zugleich kritisches Psychogramm einer Welt im permanenten Widerspruch, und wer es liest, wird die Wähler Trumps ein wenig besser verstehen, unter anderem auch, weil sie auf Augenhöhe mit ihnen und nicht nur über sie spricht.

Hier entlang zur Leseprobe

Info

Fremd in ihrem Land Arlie Hochschild A. d. Englischen v. Ulrike Bischof, 429 S., 29,95 €

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Daniel Windheuser

I am the key to the lock in your house that keeps your toys in the basement. Oder so ähnlich.

Daniel Windheuser

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden