Zum Geburtstag der Sopranistin Maria Callas: Extrem streng, extrem empfindsam
Oper Legendäre Stimme: Mehr als einhundert CDs kommen zu Maria Callas’ 100. Geburtstag heraus. Über die unerreichte Faszination und Tragik der Sängerin
Als Diva fiel sie nie aus der Pose, erfüllte alle Erwartungen, im Guten wie im Schlechten: Maria Callas, hier in Paris
Foto: Dalmas/Camera Press/Laif
Niemand wird behaupten, ihre Stimme sei die größte aller Zeiten. Ohne Zweifel aber ist dieser Sopran die einzige weibliche Stimme, die jeder, der sie auch nur einmal gehört hat, nach dem ersten Takt wiedererkennt. Maria Callas, in der Tiefe betörend, in der Mitte eher fahl, in der Höhe von loderndem Feuer, im Fortissimo brillant, im Pianissimo nicht mehr von dieser Welt. Ihre Stimme ist eine einzigartige Legierung: glutrotes Erz, Kupfer, Gold. Süße und Hitze.
Doch die wahre Magie ihrer Stimme hat einen anderen Grund: jeder Ton ein Schicksalston. Vollständige Hingabe und technische Perfektion verschmelzen. Die Callas verinnerlichte die rasende Wut der rachsüchtigen Medea (auch als Schauspielerin im Film von Pasolini). Zu ihren Paraderollen zä
(auch als Schauspielerin im Film von Pasolini). Zu ihren Paraderollen zählte die Casta Diva, die keusche Göttin Norma, eine gallische Priesterin, die ihr Schicksal in selbstlosem Opfer auf dem Scheiterhaufen beendet. Nie klang die verruchte Lady Macbeth verzweifelter, das Delirium der Lucia di Lammermoor nie gespenstischer als bei ihr, weil sie sich nie mit Virtuosität begnügte und das Verstörende, Quälende, ja Hässliche nicht ausblendete. Die Callas legte das Leiden, den Wahnsinn ihrer Bühnenfiguren in die Stimme. Und deshalb war sie nie bloß Stimme. Es waren überwiegend tragische Heldinnen, die sie verkörperte, nicht nur spielte. Das schlug das Publikum in den Bann. Auf magische Weise schienen bei ihr Leben und Rolle eins zu sein. War sie doch selbst eine tragische Figur, führte ein Leben im Ausnahmezustand.In ihrer Hommage an die Callas schrieb die seelenverwandte Lyrikerin Ingeborg Bachmann: „Ecco un artista!“ Diese wahre Künstlerin „hat nicht Rollen gesungen, niemals, sondern auf der Rasierklinge gelebt ... Sie war immer die Kunst, ach, die Kunst, und sie war immer ein Mensch, immer die ärmste, die heimgesuchteste, die Traviata.“ Marina Abramovic, die große Performance-Künstlerin, die der Callas ein Opernprojekt widmete, rühmte deren „Mischung aus extremer Strenge und extremer Zerbrechlichkeit“.Mailand oder Mexiko: Maria Callas sang, als ginge es um ihr LebenMaria Anna Sofia Cecilia Kalogeropoulou kam als Tochter griechischer Einwanderer am 2. Dezember 1923 in New York City zur Welt und kehrte mit ihrer Mutter und ihrer Schwester 1937 nach Athen zurück. Fleiß und Leidenschaft kamen zusammen. Bis zu sechs Stunden täglich übte sie und wurde schnell entdeckt. Extrem kurzsichtig, konnte sie auf der Bühne den Taktstock des Dirigenten kaum sehen. Um dieses Handicap zu lösen, lernte sie die Partituren auswendig. Als Kritiker sich über ihre Fülle ausließen, nahm sie 40 Kilo ab, wurde so zur glamourösen und mondänen Kunstfigur. Eine Performance, die nicht als solche gesehen wurde. Alles schien echt.Sie eroberte die Welt, weil es sich Abend für Abend so anhörte, als sänge sie um ihr Leben. Debüt an der Mailänder Scala, ihrem Stammhaus 1951. Im selben Jahr knallte sie in Mexiko-City als Aida von der Partitur abweichend ein triumphales, dreigestrichenes Es in den Himmel, es war ihr internationaler Durchbruch. Das Publikum drehte durch. Es übernachtete im Freien vor den Kartenschaltern.Aber nicht nur das Publikum, auch der Opernbetrieb wurde von ihr beflügelt. Maria Callas gab den Anstoß für die Renaissance der Oper des frühen 19. Jahrhunderts – Bellini, Donizetti –, entdeckte das Belcanto, die Mischung als sanftem Cantibile und halsbrecherischen Koloraturen, wieder, eine Kunst, die damals aus der Mode gekommen war. Der herbere Realismus eines Verdi oder Puccini waren ebenfalls ihr Ding.Macbeth, La Travatia, Medea: Ganze 131 CDs erscheinen jetztBis heute ist Maria Callas der kommerziell erfolgreichste Klassik-Star aller Zeiten. Zu ihrem 100. Geburtstag kommen 131 CDs unter dem Titel La Divina. Maria Callas in all her roles (Warner Classics) heraus, 26 Studio-Einspielungen von 23 Opern; 23 Live-Mitschnitte. Einige davon zählen zum Besten, was jemals auf Tonträgern der Nachwelt erhalten geblieben ist: Macbeth (1952), La Traviata, Tosca und Medea (1953), Norma (1954). Natürlich gab es auch andere herausragende, schönere, aber eben nicht so unvergleichlich charaktervolle Stimmen. Die Fans ihrer größten Rivalin Renata Tebaldi warfen Radieschen auf die Bühne, wenn die Callas im Blumenregen stand. Die fehlsichtige Primadonna hob einen Bund auf, schnupperte daran, lächelte und bedankte sich für den Salat.Der Höhenflug wurde begleitet von zahlreichen Kontroversen, die oft zu Unrecht das Bild einer exzentrischen Diva prägten. Ihre Stimme war empfindlich. Ein gewisses Tremolo ließ früh erahnen, dass sie nicht ewig halten würde. Ihre Absagen waren nicht nur Allüren. Aber sie sagte besonders häufig ab. Sie stellte künstlerische Ansprüche, die New Yorker MET feuerte sie deshalb. Die Kritiker verklärten oder vernichteten sie – je nach Anlass und Geschmack. Nur normal war bei der Callas nichts.1949 hatte sie den italienischen Ziegelfabrikanten Giovanni Battista Meneghina geheiratet und die italienische Staatsbürgerschaft angenommen. Dann aber kam ihre große, tragische Liebe zu Aristoteles Onassis. Der Reeder heiratete John F. Kennedys Witwe Jacqueline, doch am Totenbett des Reeders saß auch Maria. Ihr Unglück spielte sich in aller Öffentlichkeit ab. Und die ergötzte sich an ihren vermeintlichen Skandalen wie an ihrem Schmerz. Als wäre sie selbst eine tragische Opernfigur. Die Callas stürzte ab, flüchtete in die Isolation ihrer Wohnung in Paris. Verbittert und erschöpft litt sie an der Erosion ihrer Stimme wie ihrer Schönheit.Eine Legende wie Elvis oder Marilyn MonroeIhre größten Rollen handeln vom Sterben. Ob als politisches Opfer in Tosca oder als von der Schwindsucht dahingeraffte Liebende in La Traviata. Am Ende wurde ihr eigener Tod zur großen Oper und ein Mysterium. Mit erst 53 Jahren erlitt sie einen Herzstillstand. Gerüchte von Drogenmissbrauch, haarsträubenden Diäten, Selbstmord tauchten auf. Gewiss ist nur, dass sie auch an gebrochenem Herzen starb. Ihr Grab ist leer. Ein Jahr nach der Beisetzung wurde entdeckt, dass die Urne gestohlen worden war. Als sie wieder auftauchte, wurde ihre Asche in der griechischen Ägäis verstreut.Die Callas hat das Besondere ihrer Persönlichkeit mit dem Prototypischen eines Idols vereint. „Ich möchte Maria sein, aber da ist die Callas“, hat sie selbst geklagt. Der Mensch und die Diva assoluta standen einander im Weg. Der Abgrund zwischen diesen beiden Frauen hat sie verschlungen. In der Welt der Populärkultur sind rare Legenden dieser Dimension (Elvis, Marilyn Monroe) unnahbar und zugleich anscheinend berührbar. Als mediale Hausgenossen werden sie vergöttert und durch den Dreck gezogen. Gerade, weil sie nicht sind wie jede und jeder, sondern ganz und gar anders, vergrößert sich die Projektionsfläche, die sie bieten, ins Monströse.Als Diva fiel Maria Callas nie aus der Pose, erfüllte alle Erwartungen im Guten wie im Schlechten. Während sie Norma und Violetta auf der Bühne im Augenblick der Vorstellung tatsächlich war, war ihr Leben als Diva vielleicht die einzige Rolle, die sie nur spielte. Ein Rätsel bleibt sie und eine bis heute unerreichte Faszination.
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