Koalitions-Krise: Als wäre Olaf Scholz zurück in seiner Stamokap-Jugendzeit
Schuldenbremse Die Ampel-Koalition kommt ins Schwitzen, Kanzler Olaf Scholz spielt Buddha, Konzerne bangen um Subventionen und die Union freut sich auf 2024: Mündet all das bald in einem Stamokap-Deutschlandpakt, getragen von fünf Parteien?
Während seiner aktiven Zeit als Jungsozialist war Olaf Scholz ein überzeugter Anhänger der Stamokap-Theorie. Vor allem in Hamburg, Berlin und Ostwestfalen-Lippe konnte die einst von Rudolf Hilferding und Lenin begründete, von späteren Marxisten weiterentwickelte Denkrichtung einen gewissen Einfluss erringen. In den „Herforder Thesen“ fand sie 1980 ihren wohl anspruchsvollsten linkssozialdemokratischen Ausdruck.
Es ging bei diesen Debatten über den „staatsmonopolistischen Kapitalismus“ (Stamokap) sowohl um die zunehmende Indienstnahme des Staates durch Interessenvertreter der Wirtschaft als auch um die Möglichkeiten des Staates, im Interesse der Gesellschaft in die Produktionsweise von Branchen und Betrieben einzugreifen. Die geeigne
n die Produktionsweise von Branchen und Betrieben einzugreifen. Die geeigneten Mittel dafür waren Steuern, Subventionen, Vorschriften, Staatsbeteiligungen, Bürgschaften und Kreditvergaben. Heruntergebrochen auf Regierungspolitik ging es aber meist nur um schnöde Wirtschaftsförderung. Oder um es in den Worten des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters Hans-Ulrich Klose (SPD) Anfang der 1980er Jahre auszudrücken: Der Staat entwickelt sich immer mehr zum bloßen „Reparaturbetrieb des Kapitalismus“.In Hamburg, wo die Wirtschaft seit jeher mit staatlichen Strukturen eng verflochten ist, war das keine weltfremde Phrase, sondern nüchterne Beschreibung der Wirklichkeit. Doch mit der Zeitenwende von 1989 verschwanden all die Debatten über Zustand und Entwicklung des „Spätkapitalismus“ wieder in der Versenkung.Welt im VerteilungskampfHeute ist Olaf Scholz Bundeskanzler und setzt in die Praxis um, was er in seiner Hamburger Jugendzeit gelernt hat. Zwar würde er eine solche Aussage weit von sich weisen, aber de facto bleibt ihm gar nichts anderes übrig. Denn die Finanzkrise, die Coronakrise, die Klimakrise und die Energiekrise bewirkten eine staatliche Eingriffs-Politik, die mit der Stamokap-Theorie gar nicht so schlecht beschrieben ist. Ähnlich wie vor dem Ersten Weltkrieg erlebt die Welt eine Intensivierung der imperialistischen Verteilungskämpfe. Rund um den Erdball werden staatliche Hilfsprogramme zugunsten der heimischen Wirtschaft beschlossen, um in der Konkurrenz mit anderen geopolitischen Mächten, die ebenfalls enorme Summen in die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Industrien pumpen, mithalten zu können.Damit wären wir bei der aktuellen Krise der Ampelkoalition. Das Bundesverfassungsgericht hat verboten, der ins Hintertreffen geratenden Wirtschaft ständig mit staatlichen Bazookas, Boostern, Wummsen und Doppelwummsen auf die Beine zu helfen. Während die Ampel ihre expansive Wirtschaftspolitik mit einer Dauernotlage begründet, die auch hohe Staatsverschuldung über einen längeren Zeitraum erlaubt, lehnen die Richter die „Normalisierung von Ausnahmezuständen“ mittels Neben- oder Schattenhaushalten ab und pochen auf Einhaltung der Schuldenbremse getreu den Buchstaben des Grundgesetzes.Ampel, GroKo oder (Fast-) Allparteienregierung?Die entscheidende Frage in dieser Krise lautet also: Kann die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie besser durch die großzügigen Förderkonzepte einer SPD-geführten Ampel oder eher durch die Ausgabendisziplin einer unionsgeführten GroKo gewährleistet werden? Oder wäre eine Deutschlandpakt-ähnliche Allparteienregierung der nationalen Konzentration – unter Ausschluss von AfD und Linken – die bevorzugte Lösung? Wer könnte die „Staatskrise“ (CSU-Ministerpräsident Markus Söder) und den von der AfD befürchteten Untergang der deutschen Wirtschaft am besten aufhalten?Bei der Beantwortung dieser Frage tun sich quer zu den Parteien und Wirtschaftslobbys höchst interessante Widersprüche auf. Es ist nämlich keineswegs so, dass die Union und mit ihr die Verbände der Wirtschaft geschlossen hinter ihrem Front- und Ombudsmann Friedrich Merz stehen. Es ist auch nicht so, dass die Ampel – trotz der Häme, die nun über sie ausgegossen wird – ohne jede Unterstützung wäre. Je mehr sich die Betroffenen nämlich mit den Konsequenzen des höchstrichterlichen Urteils aus Karlsruhe beschäftigen, desto vorsichtiger werden sie.Sicher, anfangs frohlockte die Union über den unerwarteten Kantersieg. CDU-Fraktionsvize Jens Spahn höhnte: „Diese Ampel hat fertig. Die Regierung ist am Ende.“ Alexander Dobrindt, Chef der CSU-Landesgruppe, sekundierte. Auch ARD, FAZ, Focus, Bild und Stern waren sich einig: Die Ampel muss weg. Es reiche nicht mehr, die Gegensätze in der Koalition mit Geld zuzuschütten und auf Kosten künftiger Generationen immer höhere Schulden anzuhäufen.Doch wichtige Teile der Union, insbesondere ihre sechs Ministerpräsidenten, hielten sich auffallend zurück. Zum einen, weil frühere CDU-Minister wie Jens Spahn und Peter Altmaier in der Coronakrise ebenfalls mit Milliarden um sich geworfen haben (Stichwort Überbrückungshilfen und Maskeneinkauf), zum anderen, weil die Ministerpräsidenten von Berlin, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt nicht auf die zugesagten Milliardenzuschüsse aus den Schattenhaushalten des Bundes verzichten wollen. Es geht ihnen um die Ansiedlung von Chip- und Batteriefabriken, um die Produktion von grünem Stahl und – ganz generell – um eine staatlich subventionierte Senkung des Industriestrompreises für energieintensive Unternehmen.Markus Söder stichelt gegen Christian LindnerAuch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder stichelt unter seinem sonst üblichen Fiesheits-Niveau. Zwar hält er Finanzminister Christian Lindner (FDP) für „bockbeinig und überheblich“ und die Grünen grundsätzlich für „nicht regierungsfähig“, aber den „schlumpfig“ grinsenden Kanzler nimmt er von seiner Kritik weitgehend aus. Ja, er reicht ihm sogar die Hand für eine künftige Zusammenarbeit. Olaf Scholz, sagt er, möge seine jetzigen Partner entlassen. „Wir stünden bereit, um in der Notsituation vielleicht (!) Verantwortung zu übernehmen.“Damit deutet Söder vage an, dass die Union als Zeichen des guten Willens nicht gegen „die nachträgliche Feststellung einer Notlage“ für das Jahr 2023 vor das Bundesverfassungsgericht ziehen werde, dass man aber im Gegenzug den Haushalt für das Jahr 2024 „gemeinsam mit der Union“ neu ausrichten müsse.Die Völker der SPD hören die Signale mit gespitzten Ohren. Rolf Mützenich, der von Mal zu Mal abgezehrter wirkende SPD-Fraktionsvorsitzende, ahnt, dass er in diesen „gemeinsamen Gesprächen mit der Union“ weitere „Rückschläge“ wird hinnehmen müssen. Die Stimmung vor dem SPD-Parteitag im Dezember ist entsprechend mau. Dort werden die Delegierten zwar wieder tollkühne Leitanträge zur Einführung einer „Reichensteuer“ beschließen, aber der einflussreiche niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil hat bereits vorsorglich darauf hingewiesen, dass es derzeit keine Mehrheiten für Steuergerechtigkeit gibt. Und der Kanzler? Er bleibt bei seiner bewährten buddhahaften Methode, die Realität einfach auszublenden. In der mit Spannung erwarteten Regierungserklärung wiederholte er lediglich sein bekanntes Mantra, die Menschen könnten sich darauf verlassen, dass er schon alles richtig mache. Auch was er bisher gemacht habe, sei natürlich richtig gewesen.Eingebetteter MedieninhaltUnterdessen versammelt der „ideologiefreie“ grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck seine Ministerkollegen aus den Bundesländern, um die „ideologiefreien“ Wirtschaftsförderungsprojekte „parteiübergreifend“ vor dem Aus zu retten. Selbst Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, sonst ein Grünen-Fresser in höchster Vollendung, schlägt sich auf Habecks Seite.Eingebetteter MedieninhaltNur die FDP wettert einsam gegen die teure „Wünsch-dir-was-Politik“ der anderen und verteidigt als „last man standing“ die Sinnlosigkeit der Schuldenbremse. Das liberale Vorzeigeprojekt, die Aktienrente, hat Finanzminister Christian Lindner bereits still und leise beerdigt.Ganz nebenbei lauschen die bedrängten Ampelvertreter besonders aufmerksam, was welche Unionspolitiker an Zwischentönen so von sich geben, vor allem, welchem Teil der Ampel sie freundlicher oder weniger freundlich gegenüberstehen. Das heißt, die Union ist in einer komfortablen Lage. Sie kann sich die nächsten Akte im Ampel-Theater aus der Zuschauerloge ansehen und die auftretenden (Selbst-) Darsteller freundlich beklatschen oder gnadenlos ausbuhen.Geld vom Staat mit Bio-EtikettAnders als der ruppige CDU-Vorsitzende Friedrich Merz favorisiert Bayerns geschmeidiger Ministerpräsident ganz offensichtlich eine Doppelstrategie: Zum einen will er jene Teile der Wirtschaft, die Milliardensubventionen, Pardon, -investitionen aus den Notfallfonds kassiert haben oder noch erwarten, nicht gegen sich aufbringen (auch nicht jene Ministerpräsidentenkollegen, die für eine Kanzlerkandidatur Söders noch wichtig werden könnten), zum anderen will er, wie sein Vorbild Franz Josef Strauß, die absehbare Krisenverschärfung vor den anstehenden Europa- und Landtagswahlen für sich ausnutzen. Also fordert er gleich mal publikumswirksam Neuwahlen im Bund.Die Ampelparteien werden den Bürgern in den kommenden Wahlkämpfen jedenfalls dringend erklären müssen, warum sie potente Firmen wie Intel, ArcelorMittal, Northvolt oder ThyssenKrupp, die sich keineswegs in existenziellen Notlagen befinden, mit viel Steuergeld pampern, während bei der Kindergrundsicherung, bei Bürger- und Klimageld geknausert werden soll. Sie müssen erklären, warum für die Ukrainehilfen bereits 35 Milliarden Euro lockergemacht wurden und weitere Milliarden in einen festgefahrenen Stellungskrieg fließen sollen, während doch ein offenbar ukrainisches Militärkommando den hiesigen „Energiepreisschock“ mit der Sprengung der Nord-Stream-Gaspipelines mitverursacht hat. Sie müssen darlegen, warum für die Bundeswehr und die Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels der NATO über Nacht 150 Milliarden Euro mobilisiert werden können, warum die Nettozahlungen an die EU, die heute bereits 20 Milliarden Euro umfassen, sich nach der beabsichtigten EU-Osterweiterung mindestens verdoppeln werden, und sie müssen erklären, weshalb die 40 Milliarden Euro, die mittlerweile für die Zinszahlungen des Bundes aufgebracht werden, ganz locker zu stemmen sind, während bei konsumtiven Ausgaben für Wohnen, Essen, Energie, Gesundheit, BAföG und Renten nicht nur kein Inflationsausgleich stattfindet, sondern sogar der Rotstift angesetzt werden soll.Diese unweigerlich heraufziehenden Verteilungskonflikte kann die Union bequem nutzen, um die Ampelparteien 2024 permanent unter Druck zu setzen, mit dem Ziel, entweder die SPD aus ihrer glücklosen Koalition mit Grünen und Liberalen herauszulösen oder alle drei in einem kommenden Deutschlandpakt zu vereinnahmen. Für die Wirtschaft wäre ein solcher Pakt – angesichts der imperialen Herausforderungen – wohl die Ideallösung. Die „Parteien der Mitte“ könnten die Schuldenbremse im gewünschten Sinne reformieren und künftig jede staatliche Wirtschaftsförderung mit dem schmeichelhaften Bio-Etikett „Transformations-Investition“ versehen. Die primäre Aufgabe der Regierungspolitik, für den Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu sorgen, wäre dann grundgesetzlich verankert. Und die beteiligten Parteien könnten ihre „staatspolitische Verantwortung“ für den Standort Deutschland wie eine Monstranz vor sich hertragen. Gut möglich, dass es parallel dazu eine Renaissance der Stamokap-Theorie gibt.
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