Linke als Krisengewinnler?

R2G Rot-Rot-Grün wäre in der Variante Grün-Rot-Rot eine brauchbare Alternative – wenn drei Randbedingungen erfüllt sind
Ausgabe 20/2019
Greift nicht nur gern in die Wirtschaft ein: Peter Altmaier
Greift nicht nur gern in die Wirtschaft ein: Peter Altmaier

Foto: Wu Hong/Getty Images

Kaum hatten willfährige Zeitungen die Fake News von den angeblich „sinkenden Steuereinnahmen“ unters Volk gebracht, schrillten die Alarmsirenen der Neoliberalen: Deutschland sei drauf und dran, in die dritte Liga abzusteigen, den Anschluss zu verlieren, seine Zukunft zu verspielen. Um dem drohenden Niedergang zu entgehen, müsse das Land seine selbstzufriedene „Behäbigkeit“ ablegen und durch harte politische Entscheidungen für mehr Leistung, mehr Innovation und mehr Tempo sorgen. „Soziale Wohltaten“ wie die Grundrente seien in einer nationalen Gefahrensituation wie der gegenwärtigen die absolut falsche Antwort auf die sich verschärfenden Wettbewerbsbedingungen. Wer mit den aggressiven und rücksichtslosen Globalstrategen aus Asien und Amerika mithalten wolle, müsse jetzt Tacheles reden und die Starken – wie VW, Bayer, Deutsche Bank – stärken, anstatt sie mutwillig zu schwächen. Die von CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier angeregte „nationale Industriestrategie 2030“ will dafür den Boden bereiten.

Peter Altmaiers Strategiepapier propagiert ganz offen Staatseingriffe in die Wirtschaft. Das liest sich stellenweise, als hätte Kevin Kühnert ein paar alte Stamokap-Thesen der Jusos neu aufgelegt. Der Staat, so Altmaier, müsse wie in den USA und China die Erforschung und Entwicklung der Basistechnologien in die Hand nehmen und lenken, damit die bislang unkoordiniert vor sich hin wurstelnden deutschen Mittelständler und Großbetriebe endlich im Gleichschritt marschieren, nämlich in die Zukunft, wo künstliche Intelligenz, Biotechnologie und neuartige Werkstoffe Wertschöpfung und Wohlstand sichern. Mit anderen Worten: Der alt und grau gewordene Neoliberalismus legt momentan sein Marktwirtschaftsmäntelchen ab und tritt in die Phase der „Weltpolitik“ ein, in der staatliche und wirtschaftliche Interessen so innig verschmelzen wie in der Hochblüte des Imperialismus am Ende des 19. Jahrhunderts.

Die Parteien links der Mitte stehen dadurch vor einer veränderten Situation. Da sich die Spannungen in der GroKo unter dem Druck der verschärften Weltmarktkonkurrenz zuspitzen werden und die Gegensätze von Grünen und Wirtschaftsliberalen immer deutlicher zutage treten – Turbokapitalismus und Ökologie lassen sich eben doch nicht versöhnen –, könnte ein Kooperationsmodell wieder auf die Tagesordnung kommen, das schon als abgehakt galt. Rot-Rot-Grün (R2G) wäre in der Variante Grün-Rot-Rot eine brauchbare Alternative, wenn drei Randbedingungen erfüllt wären: 1. Der rechte Flügel der SPD darf sich von Altmaiers konzertierter Aktion – der Staat als ideeller Gesamtkapitalist – nicht zu sehr beeindrucken lassen. 2. Der rechte Flügel der Grünen muss seine schwarz-grünen Hoffnungen als illusionär erkennen. 3. Der linke Flügel der Linkspartei muss erst mal stillhalten.

Doch auch wenn diese Randbedingungen erfüllt wären, ist die Chance, bald regieren zu können, nicht allzu groß: Nur ein Viertel der Wahlberechtigten wünscht sich derzeit eine solche Koalition. Jüngste Meldungen über eine angebliche „Umfragemehrheit für Grün-Rot-Rot“ sind ebenso Fake News wie die Meldungen über angeblich „sinkende Steuereinnahmen“. „Alle staatlichen Ebenen“, so die Steuerschätzer, „können bis zum Jahr 2023 mit steigenden Steuereinnahmen rechnen.“ Und alle seriösen Umfragen sehen Jamaika, Schwarz-Grün oder Schwarz-Rot weiter vor R2G.

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Geschrieben von

Wolfgang Michal

Journalist; Themen: Umbrüche & Entwicklungen

Wolfgang Michal

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