„Alles reine Erfindung!“ | Teil 1

Kolonialkriege Der Krieg Frankreichs gegen die Unabhängigkeitsbewegung Kameruns in den 1950er und 1960er Jahren wird von den interessierten Seiten noch immer tapfer beschwiegen

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Wenn im Bassa-Land die Sonne untergeht
Wenn im Bassa-Land die Sonne untergeht

Foto: Winnie for AGRIPO/Wikimedia (CC 4.0)

Vorbemerkung. Der folgende Beitrag ist notwendigerweise ausführlich (und trotzdem zu knapp). Ich präsentiere ihn daher in zwei (immer noch recht langen) Teilen. Den zweiten Teil können Sie hier lesen.

Ertrunken

Der Rapport der „Gendarmerie du Cameroun“ vom 12. September ist kurz und bündig:

Während seines Dienstes ist der Gendarm André Houtarde heute um 0hr 30 im Fluss Metchié ertrunken.

Das klingt nach Polizeiroutine. Hinter diesem „Unfall“ verbirgt sich jedoch eine andere, eine schreckliche Wirklichkeit. Ein ganzes halbes Jahrhundert nach dem Vorfall berichtet Michel Clergé, Sohn eines Gendarmen:

Sie hatten die Gewohnheit, die Leute in den Wassserfall zu werfen. Einmal jedoch hielt sich ein Gefangener noch im Fallen an der Maschinenpistole eines Gendarmen namens Houtarde fest. Man hat den Gendarmen die ganze Nacht gesucht. Überall lagen Leichen im Wasser (1)

Der Journalist Daniel Maugué, Ex-Korrespondent von Reuters, hat folgendes recherchiert:

Jede Nacht kippte ein Lastwagen die Leute den Wasserfall hinunter. Nach dem Vorfall mobilisierte man die Dorfbewohner und zwang sie, nach dem Leichnam des Gendarmen zu tauchen. Beim Auftauchen sagten sie, dass sie vor lauter Schädeln und Leichen den Gendarm nicht identifizieren konnten.

Fossi Jacob, der Mann, der wenige Montae vor der Unabhängigkeit Kameruns einen Gendarmen mit in den Abgrund reisst, ist wegen „Unterstützung einer verbotenen Partei“ zu 1 Jahr Gefängnis verurteilt worden. Die Partei ist die „Union des Populations Camérounaises“, die UPC, damals bedeutendste Widerstandsbewegung Kameruns. Und die geschilderten Taten der „Ordnungskräfte“ erinnern an französische Kriegsverbrechen in Algerien, wo Gefangene aus Flugzeugen ins offene Meer gestoßen wurden. Als „Crevettes Bigeard“ existieren sie im kollektiven Gedächtnis. Auch die Heimlichkeit der Gewalttaten hat einen Zweck. In Frankreich wird die Opposition gegen den Algerienkrieg immer lauter. Berichte über barbarische Kriegsoperationen in Kamerun wären – aus Sicht der Regierung und der Armeeführung – kontraproduktiv. Interessanterweise dauert das Beschweigen bis in die Gegenwart. Noch im Jahre 2009 behauptet ein sichtlich pikierter Premierminister François Fillon auf einer Pressekonferenz in Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns:

Ich stelle absolut in Abrede, dass französische Kräfte an irgendwelchen Morden im Kamerun teilgenommen haben. Das alles ist reine Erfindung!

6 Jahre später „stellt sich“ François Hollande auf seine Art der Wahrheit:

Es ist wahr, dass es eine extrem heftige und tragische Episode gab... Es gab eine Repression in Sanaga und im Bamiléké-Land.

Der Präsident, der 2 Jahre zuvor eine Militärintervention in Mali autorisiert hat, euphemisiert auf seine Art einen Krieg, der im Kontext der De-Kolonisierung mehrere Zehntausend Bewohner Kameruns das Leben kostete. Manche Historiker sprechen von über 100.000 Toten. Sie sind die Opfer des Versuchs der Metropole, nach der Niederlage von Dien-Bien-Phu (1954) und dem Ausbruch des Algerienkrieges das nun „Communauté française“ genannte Kolonislreich und später dessen Mutant „Françafrique“ zu bewahren – koste es, was es wolle.

Ein"sehr großes Reservoir von Menschen"

Dabei gehört ist Kamerun juristisch noch nicht einmal eine Kolonie Frankreichs. Das Land war als „Protektorat“ seit Ende des 19. Jahrhunderts Teil des „Mittelafrika“-Projekts des deutschen Imperialismus. Nach dem Ersten Weltkrieg wird Kamerun unter den Siegermächten England (ca. 20%) und Frankreich (ca. 80%) aufgeteilt (jedoch unter der Aufsicht des Völkerbunds). Die koloniale Ausbeutung wird nun von anderen Herren betrieben, z.B. von der Société Rivaud, die, bisher in Indochina und Malaisia aktiv, mit der Übernahme deutscher Kautschukplantagen zum größten Landwirtschaftsunternehmen Kameruns wird. Wie üblich, wird die „In-Wert-Setzung“ des Landes begleitet von geographischen, klimatologischen und ethnologischen Studien. Bestimmte „Länder“ Kameruns werden durch ihre Eignung für den Anbau von Kaffee, Kakao,, Bananen, Palmöl definiert, die Bewohner durch ihre Eignung für bestimmte Arbeiten. Es entsteht „eine neue politische und mentale Kartographie“ (Achille Mbembe), die von der Verwaltung virtuos funktionalisiert wird.

Der direkten Ausbeutung stehen jedoch einige Hindernisse entgegen. Die „Kirdi“ (Verballhornung von „Kurden“) im Norden praktizieren jahrzehntelang bewaffneten Widerstand auf den die französische Administrion mit der üblichen eingeübten kolonialen Gewalt reagiert... begleitet von Sprachnebel. Denn der Völkerbund verlangt jährliche Berichte.

Um die progressive Eindämmung der refraktären Elemente zu erreichen, so der französische Kommissar in seinem Bericht an den Völkerbund von 1931, mussten wir eine Politik der Präsenz praktizieren... und überall ein System der Sicherheit installieren... Es wird für uns ein sehr großes Reservoir von Menschen sein, die uns bei der Inwertsetzung der Bodenschätze ihres(!) Landes helfen (!) werden.

Die „Präsenz“ der republikanischen Ordnungskräfte garantiert schließlich universelle Werte. Natürlich gibt es in Kamerun keine Zwangsarbeit (travail forcé) mehr, sondern „Pflichtarbeit“ (travail obligatoire), verbunden mit einer humanistischen Perspektive. Ein französischer Beamter versichert der Genfer Völkerbund-Kommission im Juni 1924:

Sobald sie (die „nègres“) Geschmack an der Arbeit und ihrer Bezahlung gefunden haben, wird die Pflichtarbeit verschwinden, sogar bei öffentlichen Arbeiten.

Die Wirklichkeit ist etwas anders: 1925 beträgt die Sterblichkeitsrate beim kolonialistischen Pilotprojekt, dem Tunnelbau von Njock in Sanaga-Maritime, 61 Prozent, Konsequenz der Arbeitsbedingungen: härteste körperliche Arbeit, eine 54-Stundenwoche, völlig unzureichende Ernährung. Die Zwangsarbeiter werden von einheimischen Milizen bewacht, die wiederum von französischen Gendarmen kontrolliert wurden...geradezu ein Sinnbild des Kolonialsystems. Das Wort „Njock“ steht noch heute in vielen Sprachen Kameruns für elende Schufterei.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eröffnen sich den Kolonisierten jedoch neue Möglichkeiten. Die UNO-Charta von 1945 formuliert explizit das Ziel des „Self-gouvernment“ (auf Französisch zu „auto-administration“ minimiert) der bisherigen Kolonien. Im befreiten Frankreich beschließt die sozialistische und kommunistische Mehrheit der Ersten Constituante die Anwendung des Code civil in den Kolonien, die Abschaffung der Zwangsarbeit, Versammlungs- und Gewerkschaftsfreiheit. Die „Indigènes“ werden zu „Citoyens der französischen Union“ ernannt. Nach dem Scheitern des Verfassungsreferendums wendet die neue Mehrheit der rechten Parteien – unter dem Einfluss der Kolonialherren – das Prinzip der Gleichheit aller Bürger ab. Der Radikalsozialist Herriot fürchtet Ungeheuerliches:

Frankreich würde dadurch eine Kolonie seiner alten Kolonien!

Man einigt sich auf fünf verschiedene Kolonialstatus, die vom Département (z.B. Algerien) bis zum assoziierten Territorium unter UNO-Aufsicht (Togo, Kamerun) reichen. Im Dezember 1946 beschließt die UNO, dass Frankreich Kamerun als „integrierten Teil des französischen Territoriums“ verwalten darf. Die Kolonialwelt wäre also wieder heil, zumindest in Zentralafrika. Und so schreibt im Juli 1947 die Kolonialzeitung „Union camerounaise“ mit gewissem Stolz vom „ruhigen Leben“ in bestimmten Territorien, von denen man – im Unterschied zu Madagaskar und Indochina - nichts in den Zeitungen lese.

Kamerun gehört zu diesen glücklichen Ländern ohne Geschichten Allerdings gab es auch hier vor zwei Monaten einen leichten Anflug von Fieber.

Ein "Anflug von Fieber"

Die „Krankheit“, welche das „Fieber“ indiziert, ist allerdings eher bedrohlich, zumindest für die weißen Kolonialherren. Sie hat so fürchterliche Namen wie Kommunismus und Unabhängigkeit. Für Infizierte wie den Vietnamesen Ho-Chi-Minh sind Kapitalismus und Kolonialismus sogar zwei Seiten einer Medaille. In Kamerun ergreift der kommunistische Volksschullehrer und Gewerkschaftler Gaston Donnat die Initiative. Mithilfe der CGT gründet er den „Cercle d'études marxistes“ (ähnliche Zirkel gibt es auch in anderen französischen Kolonien). Und so nimmt eines Abends auch ein gewisser Ruben Um Niobè in Donnats Küche Platz, ein eher unbekannter Gerichtsschreiber. Die französische Geheimpolizei kennt ihn natürlich und beschreibt ihn 1947 als

intelligenten Mann, bemüht, aus eigener Kraft eine höhere Bildung („culture“) zu erwerben. Unermüdlich widmet er sich als Generalsekretär dem Aufbau zahlreicher Gewerkschaften. Er ist Mitglied des „Mouvement démocratique camerounais“, auch wenn er selbst ein nicht gefährliches Element zu sein scheint. Er geht wenig aus und führt ein zurückgezogenes Leben.

Unter dem Einfluss Donnats (und damit indirekt der KPF) gründen die Gewerkschaftler um Niobè im April 1948 die UPC, die „Union des populations du Cameroun“ mit den expliziten Zielen „schnelle Demokratisierung, Befreiung der ausgebeuteten Bevölkerung von den kolonialen Trusts und Hebung des Lebensstandard“. Um Nyobè wird schnell zum „Mpodol“, zum „Träger unserer Stimmen“. Einer, der die kollaborationistische „Autonomie“ als pure „Unabhängigkeit der Fahnen“ strikt ablehnt. Zu Fuß und mit dem Rad durchquert er das Land und redet mit den Menschen. Seine eingängige Devise ist „Kamerun durch die Kameruner und für die Kameruner!“ Einen gewaltsamen Befreiungskampf lehnt der Gandhi-Anhänger lange Zeit ab. Immer wieder warnt er vor dem Abgleiten in die Illegalität. Hingegen fordert er auf, sich in allen erlaubten Assoziationen zu engagieren, denn:

Alles ist politisch. Die Religion ist politisch. Der Handel ist politisch. Selbst der Sport ist politisch. Die Politik berührt alles, und alles berührt die Politik. Wer sagt, dass er keine Politik macht, gesteht, dass er keine Sehnsucht zu leben hat (Bericht auf dem 2. UPC-Kongress).

Vor allem im Küstenland „Bassa“ und im von Kakaoplantagen geprägten Land „Bamiléké“ gewinnt die UPC Anhänger. Durch ihre gewerkschaftliche Arbeit gelingt es ihr zumindest teilweise die von den Kolonialisten virtuos instrumentalisierten Tribalismen zu überwinden, ohne den Traditionalismus zu attackieren und falsche Fronten aufzubauen. Die UPC wird die Bewegung der proletarisierten und pauperisiserten jungen Männer und Frauen (immer in Gefahr, von den französischen Großunternehmen entlassen und durch italienische (!) Arbeiter ersetzt zu werden), den depossedierten Kleinbauern, aber auch von jungen dynamischen Teilen der alten Häuptlingsklasse, die sich gleichzeitig gegen die Gerontokratie ihrer Klasse und gegen die Kolonialmacht wenden. Es eint sie der Kampf für die Unabhängigkeit. Um Nyobè erscheint als unbestrittener Führer der UPC, menschlich, intelligent, polyglott, gebildet. Mehrmals tritt er mit den zentralen Forderungen der kamerunischen Unabhängigkeitsbewegung vor der UNO auf.

Im Kampf um die Hegemonie

Auf der anderen Seite versuchen die französische Regierung und ihre Militärstrategen, die Konsequenzen aus dem Verlust Indochinas zu ziehen. Viel steht auf dem Spiel. Oberst Charles Lacheroy, als junger Offizier bei der Unterdrückung eines Aufstandes in der Elfenbeinküste aktiv, später Infanteriekommandant in Vietnam, wird zum einflussreichen Theoretiker des „revolutionären Krieges“. Lacheroys einfache Lektion:

Ich habe verstanden, dass die Bevölkerung als Gesamtheit im Kampf engagiert war.

Der Oberst sieht den Erfolg der Viet-Minh in einem„totalitären Dispositiv“ von „Parallelhierarchien“ begründet. Ihr Leben werde von der Wiege bis zum Grab von den zivilen und militärischen Hierarchien kontrolliert. Darüber erhebe sich als Entscheidungsinstanz die kommunistische Partei. Frankreichs einzige Chance, Kolonialmacht zu bleiben, sei die Übernahme dieser Herrschaftstechnik. Dazu gelte es, die Herzen und die Köpfe der indigenen Bevölkerung zu erreichen, um diese von der Nutzlosigkeit jedes Widerstands zu überzeugen und sie zum Kampf gegen die Aufständischen zu motivieren.

Ende 1954 wird der ehemalige Gouverneur Gabuns, der Bergbauingenieur und Jurist Roland Pré, Hoher Kommissar Frankreichs in Kamerun, ein Mann mit Verwaltungs- und Repressionserfahrung. Der ehemalige Widerstandskämpfer begleitet administrativ die Implementierung einer Aluminiumfabrik in Kamerun. Die französische Regierung garantiert der Firma „Alucam“ (im Besitz der führenden Aluminiumprduzenten Pigenay und Udine) die Wahrung ihrer Interessen auch im Falle des Statuswechsels Kameruns in Richtung Unabhängigkeit. Mit der Unterschrift Prés wird der „Alucam“ die Nutzung von äußerst billigem Strom zugesichert, produziert durch das 1954 installierte gigantische hydroelektrische Kraftwerk „Edéa“, einem Mischkonzern mit staatlicher Mehrheit. Solange die riesigen Bauxitvorkommen Guineas nicht verfügbar sind, wird der Rostoff aus Frankreich zollfrei importiert. Das produzierte Aluminium wird seinerseits in die Metropole exportiert, ebenfalls zollfrei, versteht sich. Um die Ausbeutung der Arbeitskräfte und die Belastung der Umwelt (Bananenplantagen) muss sich das Unternehmen keine Sorgen machen. Die Bevölkerung schon.

Der Eifer Prés bei diesem „Deal“ hat einen besonderen Grund: der neue Hohe Kommissar ist Verfechter einer „strategischen Industrialisierung“ der Kolonien, der militärisch begleiteten Implantierung bestimmter Industrien in Afrika als Bastionen der durch Frankreich repräsentierten „westlichen Zivilisation“ gegen den Kommunismus (und bestimmte Weltmarktkonkurrenten). Die UPC kann in dieser Vision nur als „innerer Feind“ wahrgenommen werden. Schon einen Monat nach seiner Einsetzung schickt Pré allen französischen Administratoren in Kamerun eine Broschüre Lacheroys. Ihr folgt im Februar ein eigenes Schreiben mit dem Titel „Allgemeine Politik des Kampfes gegen die politischen Organisationen Kameruns unter Einfluss der kommunistischen Partei“. Er fordert seine Beamten auf,

Stellung zu beziehen und Methoden zu entwickeln, um die Aktion der Partei minimieren, ihre Versuche in jenen Territorien zu stoppen, wo sie noch keinen Fuß gefasst hat, und überall dort zum Gegenangriff überzugehen, wo sie solide implantiert ist.

Pré beginnt sein Amt in einer sozial angespannten Situation. Im Januar 1955, während einer Absatzkrise des Kakaos, breiten sich in Kamerun Streiks von Plantagenarbeitern und kameruner Verwaltungsangestellten aus. Die UCP findet entsprechend weiteren Zuspruch. Im März gründet sie gar eine Kaderschule.

Louis-Paul Ajoulat, starker Mann Kameruns und erzkatholischer Interessenvertreter der Kolonialherren, Präsident der Territorrialversammlung Kameruns, charismatischer Förderer kollaborationswilliger junger Männer und Mitglied der französischen Regierung, lässt seinen Einfluss spielen: Zu Ostern 1955 verfassen die Bischöfe Kameruns einen politischen Hirtenbrief an ihre Herde:

Wir warnen die Christen vor den aktuellen Tendenzen der politischen Partei, die unter dem Namen Union des Populations du Cameroun bekannt ist, nicht weil sie die Unabhängigkeit fordert, sondern wegen des Geistes, der sie animiert und ihre Methoden inspiriert.Wir warnen vor ihrer feindseligen Haltung gegenüber der katholischen Mission und ihren Verbindungen zum atheistischen Kommunismus, den der oberste Pontifex verurteilt hat.

Der Präsident der UPC, Félix Moumié, ein Arzt, und ihr Generalsekretär Um Nyobè verfassen eine prompte Antwort, ein Dokument, das ihre agitatorische Fähigkeit zeigt:

Die Bischöfe unterstützen die Kolonialherren, sie treten die religiösen Prinzipien mit Füßen: Der Mensch ist eine Schöpfung nach dem Bild Gottes... Die Unternehmen, die von den Bischöfen unterstützt werden, sagen: „Wir essen unser Brot im Schweiße eures Angesichts... Zur Zeit der Zwangsarbeit und des Indigenates haben die Priester und Pastoren nicht gegen die Sklavenhaltermethoden protestiert. Wenn man die Christen auf Lastwagen steckte, um sie in die Bergwerken zu schicken, berührte dies nicht das Bewusstsein auch nur eines Kirchenmenschen.

Viele Kameruner halten die Inhalte der UPC für die frohere Botschaft. Ihre Versammlungen und Demonstrationen werden größer. Am 22. April erscheint in Douala die „Proclamation commune“ mit den Forderungen: Aufhebung der Vormundschaft Frankreichs, Unabhängigkeit, allgemeine Wahlen vor dem 1. Dezember 1955 und eine UNO-Kommission als Aufseher und Garant dieser Emanzipation. Sogar eine Nationalflagge wird präsentiert: eine schwarze Krabbe auf rotem Grund, nach dem portugiesischen Wort „Camarões“ (Krabben), das zu „Kamerun“ wurde. Die französische Verwaltung sieht sich auf die „Kriegserklärung“, wie Roland Pré die „Proclamation commune“ nennt, gut vorbereitet. Sie setzt auf Konfrontation mittels Provokation. Am 15. Mai 1955 weiht der Überseeminister Pierre-Henri Teitgen, auch er ein ehemaliger Widerstandskämpfer, im Rahmen einer großen medialen Inszenenierung die hypermoderne Deichbrücke von Wouri ein (gebaut von der Société de construction de Batignolles, einem Großunternehmen, das unter anderem sowohl an der Ligne Maginot als auch am Atlantikwall mit-konstruierte. Capital non olet). Am Vortage gibt Minister der Presse sprachliche Anweisungen:

Félix Moumié, Ruben Um Nyobè und ihre Akolyten stürzen ein Territorium im vollem Aufschwung in die Anarchie.

Die folgenden Wochen sind als „Mai-Unruhen“ im kollektiven Gedächtnis. Die UPC spricht von den „Mai-Massakern“. Für die Partei beginnen sie mit der polizeilichen Repression einer Anti-Teitgen-Demonstration, bei der eine Frau von einem Polizeiwagen überfahren wird. Die Administration ihrerseits verlegt den Anfang der Unruhen um eine Woche auf den 22. Mai. In der großen Hafenstadt stören UPCisten eine Versammlung des „gemäßigten“, also frankreichfreundlichen „Front national“. Zwei Polizeieinheiten „müssen“ intervenieren. Das bedeutet in der Folge immer auch Hausdurchsuchungen, Verwüstungen, Verhaftungen, Kerkerhaft. Fast unvermeidlich ergeben sich gewaltsame Zusammenstöße. Polizei durchforstet systematisch die Arbeiterviertel von Douala. UPCisten ihrerseits stürmen Gefängnisse, um die Genossen zu befreien. Die Unruhen breiten sich in weiteren Regionen Kameruns aus. Immer wieder werden Demonstranten erschossen. Die europäischen Einwohner fordern – wie stets in solchen Situationen - ein noch schärferes Eingreifen gegen die „Anarchisten“ und „Kommunisten“, den Feinden der Gesellschaft.

Ihrer Doktrin, aber auch ihrer langen Tradition gemäß, wähnt sich die Kolonialverwaltung im Krieg. In seinem Bericht an den Überseeminister vom Juni 1955 nennt Roland Pré die UPC-Aktivisten „Soldaten“, die „militärischen Dispositiven“ angehören. Die Demonstranten werden zu „Schock-Truppen“ und die Führung der UPC zum „Stab“ erklärt. Die lexikalische Militarisierung erleichtert überdies die – absurde – Anwendung des antifaschistischen Gesetzes von 1936, das jede Bewegung mit „Kampfgruppen“ oder „privaten Milizen“ verbot. „Folgerichtig“ dekretiert der französische Ministerpräsident Edgar Faure am 13. Juli 1955 das Verbot der UPC. Zusätzlich verhängt das Gericht von Yaoundé (Verwaltungshauptstadt) die Beschlagnahme des Parteieigentums. Wer als UPCist bekannt ist (oder zu einem solchen erklärt wird), muss mit Gefängnis und Folter rechnen. Um Nyobè wählt – wie ein gutes Jahrzehnt zuvor nicht wenige seiner jetzigen Verfolger – den Widerstand, den „Maquis“, in seiner Heimatregion Sanaga-Maritime. Andere Führer (Moumié, Kinguié, Quandié) fliehen unter oft abenteuerlichen Umständen in die britische Zone.

Die UPC ist heute vollkommen diskreditiert... Zugleich hat sie hat die CGT in den Untergang gerissen,

teilt Roland Pré im Juli 1955 dem stets gefälligen Korrespondenten der „Monde“ mit. Aber der Stratege warnt:

Diese Situation ist gefährlich. Wir müssen unverzüglich die Bevölkerung an der lokalen Politik beteiligen.

Seine Sorge ist auch die der Unternehmer, die im gleichen Monat in der Zeitschrift „Le Cameroun libre“ mitteilen (lassen):

Es gibt ein Surplus an französischem Investitionskapital, das geradezu darum bettelt, eingesetzt zu werden...Die Kameruner werden wohl nie einsehen, welchen enormen Schaden bezüglich französischer und ausländischer Investitionen die politischen Unruhen und das Verlangen nach Unabhängigkeit anrichten.

Die Klandestinität stellt die UPC vor strategische und ideologische Probleme. Bisher vertrat sie das Prinzip der Legalität. Vor allem Um Nyobè hielt den bewaffneten Kampf für überholt. Der Präsident der UPC, Moumié, war diesbezüglich weniger rigide. Man könne mit den Kolonialherren nicht vernünftig verhandeln. Die vietnamesische und die algerische Revolution haben gezeigt, dass man sich den Griff zu den Waffen nicht a priori verbieten sollte. Allen UCP-Führern ist jedoch klar, dass mit dem Schritt in die Illegalität jede Unterstützung seitens der UNO unmöglich wird. Es bleibt die diplomatische Hilfe durch die kommunistischen Staaten, die wiederum als Vorwand verstärkter militärischer Repression und Gegenpropaganda durch die Kolonialmacht dienen wird. Die Amalgamierung von Kommunismus, Antikolonialismus und Terrorismus ermöglicht die Konstruktion des anti-humanen Feindes der Gesellschaft, der zu vernichten ist.

An diesem Ziel ändert auch die Ablösung Roland Prés im Jahre 1956 durch Pierre Messmer nichts. Messmer, auch eher ein prominenter Résistant, war bisher hoher Beamter in Indochina, Gouverneur in verschiedenen Kolonien mit entsprechender Repressionskompetenz, dann Kabinettsdirektor des neu ernannten Überseeministers Gaston Defferre, auch dieser ein Résistant. In Kamerun übernimmt Messmer ein in seinem Sinne präpariertes Terrain.

Feindkonstruktion

Um die „Bevölkerung als Ganzheit“ zu erreichen, gibt sich die Kolonialmacht entgegenkommend. Im Juni 1956 verkündet die Regierung, „die Übersee-Bevölkerungen stärker an der Verwaltung ihrer eigenen Interessen zu beteiligen“. So sollen die Kompetenzen der Territorialversammlungen erweitert werden. Dem dient die Aufwertung williger afrikanischer Eliten. Messmer selbst hat als Gouverneur der Elfenbeinküste eng mit dem einstigen radikalen Freiheitskämpfer und späteren Präsidenten Félix Houphouët-Boigny kollaboriert, der sich nun als eifriger Vertreter der „Union française“ und der „Françafrique“ (er ist der Erfinder des Begriffs) erweist.

Entsprechend ihrer „partizipativen“ Doktrin setzt die „Tutorialmacht“ generös den 23. Dezember 1956 als Wahltag für eine „Assemblée législative du Cameroun“ (mit sehr limitierten Kompetenzen) fest, ein taktischer Schachzug, der die illegale UPV zu einer Reaktion zwingt, bei der die Verwaltung nur gewinnen kann. Frankophile Parteien und neue Politiker können aufgebaut werden, so die „Union camérounaise“ mit ihrem Führer Ahmadou Ahidjo. Die UPC ist natürlich von den Wahlen ausgeschlossen, die Verwaltung deutet aber – bei Wohlverhalten – eine Amnistie an. Um Nyobè steht zwischen dem kampfbereiten und dem gemäßigten Flügel seiner Bewegung. Letzterer organisiert mit der „Union nationale“ des reformistischen Politikers Soppo Priso den Wahlboycott. Priso erklärt jedoch Ende November unerwartet und zur Zufriedenheit der Administration seine Wahlbereitschaft, worauf Um Nyobè kann nur noch den „Boycott actif“, .h.h den Kampf, verkünden kann.

Damit wird die UPC eine militärisch hierarchisierte Kampforganisation (mit allen Konsequenzen). Der Zweck (zunächst noch die Verhinderung der Wahlen) „heiligt“ die Mittel des antikolonialen Kampfes: Sabotage von Eisenbahnlinien, Einschüchterung der potentiellen Wähler, aber auch Ermordung von „Knechten“ der Kolonialregierung und „Verrätern“(den „Dikokon“). Der Hohe Kommissar sieht sich (nicht ganz. ungern) gezwungen, zu reagieren. In einem Fernsehinterview kurz vor Ende seines langen Lebens, stellt er klar:

Es war eine entscheidende Periode. Ich weiß, was ich zu machen habe, und ich habe die Zustimmung des Ministers Gaston Defferre. Und ich wollte schnell handeln...Ruben Um Nyobè führte einen Krieg im Innern, und ich entschied, ihm den Krieg zu machen.

Messmer fordert sofort Falschirmjäger („Paras“) und afrikanische Truppen aus anderen Kolonien an. Aufgabe der Truppen: Sicherung der Fabriken, Kraftwerke und Traansportwege... und - natürlich – die Vernichtung der „Terroristen“. Konkret heißt dies: Dörfer werden in Brand gesteckt, ihre Bewohner zum Teil wahllos mit Maschinengewehren massakriert. Aufgespürten UPCisten erwartet das gleiche Schicksal. Die „Ordungskräfte“ (auch dies ein Begriff mit „Kontinuität“) unterscheiden nicht UPCisten, Verdächtige und einfache Dorfbewohner. Gott wird die Seinen schon erkennen. Schließlich versteht Hauptmann Paul Gambini, der Chef der Expedition, seine Männer:

Der gute RTOM-Soldat (Bewohner der Überseeterritorien) hat schweren Herzen reagiert. Er hat den Grad der Schäden und der Bestialität gesehen... All dies bewirkte seine Unbarmherzigkeit gegenüber den Mörder-Terroristen, die im Land Bassa wüteten.

Trotz alledem weitet sich im Jahr 1957 der Aufstand der UPC aus, vor allem im Süden des Landes. In Sanaga-Maritime profitiert die UPC von der unentwickelten Infrastruktur. Die Widerstandsgruppen agieren in einem relativ kleinen Radius. Der nötige Kontakt zur Außenwelt wird durch die Familien gesichert. Die „Parallelwelten“ funktionieren. Der Maquis ist jedoch alles andere als idyllisch. Eine „Conscription nationale“, eine Zwangssteuer zur Finanzierung der Waffen der UPC, wird mit Gewalt durchgeführt. Bei der Rekrutierung werden Drohungen und Erpressungen eingesetzt. Der Motivierung der Maquisards dienen Initiationsriten und harte körperliche Strafen. Die Autoren des Standardwerks „Kamerun!“ stellen fest:

Die Gegengesellschgaft der UPC bildet sich aus dem Schmerz.

Im Land „Bamiléké“ ist der Widerstand zum Teil ähnlich strukturiert, aber die kleinen Gruppen sind weniger hierarchisiert und agieren relativ autonom. Das macht sie unberechenbar, manchmal auch für die Führung der UCP. Ihre Aktionen richten sich vor allem gegen kollaborierende Häuptlinge und Verräter. Dabei werden auch Angehörige nicht verschont. Die Ermordung des „gemäßigten“, also kolonialfreundlichen Abgeordneten Samuel Wanko wird für Messmer zum Anlass,

jede notwendige Anstrengung zu unternehmen, um diejenige vom Boden Kameruns zu fegen, die die abscheulichsten Verbrechen begehen.

Und wieder findet sich der „richtige“ Mann: Maurice Delaunay, ein treuer Beamter im Dienst der „Interessen“ Frankreichs. Schon 1946 tat er sich in der Planung der Zwangsarbeit hervor. Nun kann er sich mit der klassischen „Befriedung“ einer aufständischen Kolonie bewähren. Dazu gehört seit langem die Partizipation der „Eingeborenen“. Seine „zweite Hand“, Samuel Kamé, Absolvent der Pariser „École coloniale“ und Vertreter der traditionellen „Chefs“, ist als Kenner der Region quasi unersetzlich. Ebenso der „Chef“ Daniel Kemajou, ehemaliger Mitarbeiter des Hohen Kommissars, Präsident der „Assemblée législative“ Kameruns und Gründer einer Städtepartnerschaft mit Bordeaux, der Stadt des Résistant und Gaullisten Chaban-Delmas,1957 französischer Verteidigungsminister.

Kamerun wird endgültig zu einem „kleinen Algerien“. Die probate Methode besteht im Dreischritt Verhaftung, „Drehung“ und Infiltration der Widerstandsgruppen. Das impliziert den methodischen Einsatz der Folter („Schaukel, „Wasser“). So wird einer der legendären Führer des Bamiléké-Aufstands, Pierre Simo, von der Frau seines Vorgängers verraten. Simo selbst wird ebenfalls „gedreht“, verrät weitere Maquisards .... und wird trotzdem im November 1958 öffentlich hingerichtet. Andere „politische Agitatoren, die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen oder sich passiver Komplizität mit den Terroristen schuldig gemacht haben“ werden in einem geheimen Lager interniert und indoktriniert. En passant: auch die sprachlichen Kontinuitäten der „Ordnungskräfte“ (bis heute) sind kaum Zufall.

Als Delaunay im Dezember desselben Jahres das Land „Bamiléké“ verlässt, lässt er seinen Memoiren zufolge

eine entspannte Situation zurück. Wir hatten bewiesen, dass es mit politischem Willen und angepassten Techniken möglich ist, eine gut organisierte Rebellion zu meistern.

"...dann eliminiere ich sie"

Die Repression in der aufsässigen Region Sanaga Maritime ist noch brutaler, auch wenn sich die Administration lange weigert, von einem „Krieg“ zu sprechen (dies in Analogie zum Algerienkrieg). Der Oberkommandierende für die Zone AEF-Cameroun , General Louis Dio, stellt am 30. April 1957 einen Blankoscheck aus:

Der Militärchef ist für den Fall gedeckt, dass er den gründlichen Einsatz der Schusswaffen für die Erfüllung seiner Mission für nötig hält.

Wie zur gleichen Zeit in Algerien wird in Sanaga-Maritime die neue antisubversive Doktrin angewandt, repräsentiert durch Oberstleutnant Jean Lamberton, einst Offizier der Vichytruppen in Indochina, und immer noch Anhänger Mussolinis. Es fällt übrigens auf, dass fast alle verantwortlichen Militärs und hohen Beamten, wie auch Messmer, eine Art „Indochinakomplex“ haben. In Kamerun können sie nun das ganze Besteck der „Französischen Schule“ anwenden. Ihr Feind, die UCP, hat die rote Linie endgültig überschritten. Selbst Um Nyobè rechtfertigt mittlerweile die Ermordung profranzösischer „Verräter“. Der Militärführer der UCP, Isaac Nyobè Pandjock, beruft sich explizit auf Nehru:

Ich ziehe die Gewaltlosigkeit der Gewalt vor, aber ich liebe die Freiheit durch die Gewalt mehr als die Gewaltlosigkeit in der Sklaverei.

Im Interview gibt Pierre Messmer seine Haltung des Jahres 1957 wieder:

Nun, wenn sie die demokratischen Regeln nicht akzeptieren (seine Hand schießt plötzlich vor)..., dann eliminiere ich sie.

Das Eliminieren fällt moralisch weniger schwer durch das Ersuchen des neuen Ministerpräsidenten Kameruns, Mbida, der den Überseeminister eindringlich um die vollständige Unterdrückung der Rebellion bittet.

Mbida kann sich der Unterstützung sicher sein. In Analogie zum Algerienkrieg wird auch für Senaga-Maritime die Schaffung einer „Zone de pacification du Cameroun“ (ZOPAC) beschlossen. In ihr soll gemäß der antisubversiven Doktrin das Becken ausgepumpt werden, in dem sich die Fische (die Widerständler) tummeln. Das bedeutet: Terrorisierung der Bevölkerung durch Abbrennen der Dörfer, Massenvergewaltigungen, Vertreibung und Konzentration in Lagern. Die Gefangenen dürfen einen Tag pro Woche die Felder bearbeiten. An anderen Tagen unterliegen sie der Zwangsarbeit, zum Beispiel beim Straßenbau. Die Bassai der Großstädte werden zum Teil deportiert, um das Virus der Revolution zu entfernen.

Zum konter-revolutionären Krieg gehört auch die Schaffung von „Selbstverteidigungsmilizen“, die zu regelrechten Terrorbanden mutieren. Die Militärführung bezweckt damit die Spaltung der Bevölkerung in unversöhnliche Feinde. Lamberton ist Kopf der „psychologischen Aktion“. Er hat die Bassai „studiert“ und „weiß“

Sie sind sehr beeinflussbar, lieben das Palaver, wiederholen gerne Parolen, die eher ihre Phanatasie als ihren Verstand ansprechen.

Parolen wie „Die UPC ist wie Tse-Tse. Sie sticht, schläfert ein, tötet.“ oder Propagandafilme („Das blaue Barett“) scheinen aber nicht den erwarteten Erfolg zu haben. Die Psychokrieger müssen sich eingestehen: ihre Waffe hat Grenzen. Am Ende entscheiden doch die richtigen Waffen, die letalen. Wie in Indochina und Algerien werden die Aktionen in den ZOPACs verschärft, gmäß der „Erkenntnis“ eines Theoretikers des kontersubversiven Krieges Jacques Hogard (1957):

In bestimmten Fällen kann es vorteilhaft sein, „verbotene Zonen“ zu schaffen und sie aller Ressourcen zu berauben, den Ackerbau, die Wasserstellen zu zerstören, das Vieh zu vertreiben etc. und die übrig gebliebenen Rebellen zu verfolgen, und zwar mit Mitteln, die brutal sein können und auch ohne jede Unterscheidung (Maschinengewehrbeschuss, Luftbombardements etc.).

Jagd auf den Mpodol

Diese Haltung ist deutlich. Nach der Schaffung einer „reinen“ Bevölkerung in den Lagern bleiben schließlich nur noch „das wilde Tier und der kriminelle Mensch“ übrig. Die Jagd kann beginnen. Gruppen von ungefähr 30 afrikanischen Soldaten durchforsten unter dem Befehl eines französischen Unteroffiziers den Busch. Mit Erfolg. Immer mehr Untergrundgruppen werden im Jahrre 1958 aufgespürt. Festgenommene UPCisten werden durch systematische Folter gezwungen, ihre Kameraden zu verraten. Lamberton nennt sie „Desagregationsagenten des Rebellensystems“. Bevorzugte Methoden: Eingraben der Lebenden und innere Verbrennungen durch kochendes Wasser. Doch während die Öffentlichkeit in Frankreich allmählich die Kriegsmethoden ihres Militärs in Algerien wahrnimmt, bemerkt in der Metropole kaum jemand, dass in Kamerun Ähnliches geschieht. Esse est percipi.

In der Abgeschiedenheit des Maquis gibt Um Nyobè weiterhin Instruktionen, schreibt Zeitungsartikel, korrespondiert mit den UCP-Vertretern im Exil, mit Studenten in Paris und arbeitet ohne Unterlass an Strategien. Verhandlungsversuche scheitern. Um Nyobès notorisches Vertrauen in die Vereinten Nationen ist spätestens im Frühjahr 1958 die Erkenntnis gewichen, dass auch die Repräsentanten der UNU in letzter Instanz nur Kolonialisten sind. Er weiß, dass der Mpodol die Hoffnung der einfachen Menschen verkörpert. Um Nyobè wird regelrecht mystifiziert. Legenden kursieren. Lieder. Dem Sohn eines Zauberers werden übernatürliche Kräfte zugeschrieben. Im Falle tödlicher Bedrohung werde er durch die Berührung einer Pflanze unsichtbar. Daniel Doustin, Leiter der Zivilverwaltung in der ZOPAC, muss im April 1958 konstatieren:

Nach fünf Jahren intensiver Propaganda steht die Mehrheit der Bevölkerung fest zur UPC und ihrem Propheten Um Nyobè. Um wird uns die Unabhängigkeit bringen... Die Unabhängigkeit ist das Glück. Kann man den Leuten das Glück verweigern? Das ist die Grundlage des Denkens der Bassa...Das Problem von Sanaga -Maritime wird also solange nicht gelöst, wie die Bevölkerung Gefangene des Um Nyobè-Mythos ist.

Eine regelrechte Jagd auf den Mpodol beginnt, angeführt von Paul Gambini, einem Hauptmann mit Partisanenkriegserfahrung in Indochina und Algerien. Schließlich wird in der Nähe des Heimatdorfes des Mpodol eine Gruppe von Widerständlern festgenommen. Die vorhandenen Quellen legen den Schluss nahe, dass eine Vertraute Um Nyobès unter Folter die entscheidenden Hinweise gab. Sie hat wohl auch die Truppen zum Lagerplatz des UPC-Führers geleitet. Am 13. September 1958 werden der unbewaffnete Um Nyobè und drei Kameraden mit einer Maschinenpistole getötet – auf der Flucht und in den Rücken. Der Leichnam wird ins Dorf geschleift und– wie so oft in Kolonialkriegen – zur Schau gestellt. Schnell wird er anschließend in einem anonymen Grab unter Beton beerdigt. Der Aufstand scheint damit beendet. Der Ministerpräsident Ahidjo wendet sich Weihnachten 1958 an die Kolonialmacht,

um seiner Dankbarkeit gegenüber den Offizieren, Uneroffizieren und der Truppe Ausdruck zu verleihen, die um den Preis härtester Opfer die vorgegebene Mission erfüllten.

(Ende erster Teil)

Den zweiten Teil können Sie hier lesen

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