Bismarckheringe

Deutschlandbilder Der französische Linkspolitiker Mélenchon liebt Deutschland nicht. In einem Pamphlet begründet er, warum auch Europa am deutschen Wesen nicht genesen kann.

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Es ist wie ein Komplex. Bei fast jeder politischen Diskussion in Frankreich, sei sie öffentlich oder privat, kommt man sehr schnell auf den Punkt: „le modèle allemand“. Staatsverschuldung? Les Allemands meistern sie locker. Arbeitslosigkeit? Schaut euch die Zahlen en Allemagne an. Renten? In Deutschland sind sie sicher, die Deutschen arbeiten aber auch länger. Autos? Vergleicht mal ihre mit unseren. Vive l'Allemagne! jubelt der allgegenwärtige Publizist Alain Minc in seinem letzten Buch.

Der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon, kämpft seit Jahren gegen diesen Wunderglauben. Bisher vergebens. Deutschland ist und bleibt ein Modell – vor allem „das Auto“. Vielleicht trägt sein im Mai erschienenes Pamhlet mit dem witzigen Titel „Le hareng de Bismarck“ zur Demystifikation Teutoniens bei. Mit dem Titel spielt der Autor auf das geschmackvolle Geschenk an, das Merkel einst im Mai dem französischen Präsidenten machte: ein Fässchen Bismarckheringe, eine Art verspäteter Aprilscherz („poisson d'avril“), aus dem Mélenchon nun den Untertitel „le poison allemand“ macht..

Bücher und Reden Mélenchons sind immer spannend. Er ist ohne Zweifel ein ziemlich begnadeter Populist, andererseits aber auch ein philosophisch gebildeter Intellektueller. Das spiegelt sich auch in diesem Werk. Es finden sich nicht wenige Pauschalismen: Deutschland als größter Umweltverschmutzer, als Landschaftszerstörer, als Bienenkiller, Hard-Discounter und Mal-Bouffer, als Frauenunterdrücker (die 3 Ks!) und als Rentnerpark (Kindermangel aufgrund von Libidopanne). Hier macht es Mélenchon seinen Kritikern zu einfach. Er interpretiert die Statistiken nicht immer schlüssig und seine Holzschnitte ziehen den Vorwurf der „Germanophobie“ geradezu an, Antigermanismus als Analogie zum Antiamerikanismus sozusagen.

Zu großzügig übersieht er die Verflechtungen der deutschen und französischen Rüstungsindustrie, die Belastungen durch die Atomwirtschaft oder die Affinität bestimmter französischer Oberklassen zu bestimmten großkotzigen deutschen Autos, um nur diese Beispiele zu nennen.

Allerdings – und dies übersehen wiederum seine Kritiker – ist da noch der zweite Teil, und hier gelingt Mélenchon eine recht pertinente politische Analyse des deutschen – wagen wir den Begriff – Imperialismus in Europa. Ausgangspunkt ist die Wiedervereinigung. Von heute auf morgen habe sich ein ungeheurer Arbeits- und Absatzmarkt aufgetan. Die antiinflationäre Hochzinspolitik der Bundesbank habe in den anderen westeuropäischen Staaten Kapitalflucht erzeugt – zum Schaden ihrer Wirtschaft. Die östlichen Länder wurden zur Versuchsbank ökonomischer Annexion. Und hier zeigte sich die deutsche Stärke: Man muss sein Programm ohne zitternde Hand laufen lassen können.

Wir haben es fast schon vergessen.Die „Treuhand“ verhökerte über 80% der alten DDR-Ökonomie. Schröder setzte die im Osten erprobten „Reformen“ in Deutschlands Westen und Merkel in der ganzen EU durch. Europa war damit „kohlonisiert“ (im Original). Für Mélenchon agiert Deutschland als „maskierter freier Fuchs im freien Hühnerhof“ - im Unterschied zu früher ohne „Weltanschauung“ (im Original): Es hat nur ein praktisches Ziel: Herrschen, um zu überdauern. Dem dient die deutsche Militärpolitik (auch hier hätte der Autor die französische zumindest erwähnen können). Mélenchon zeigt dies an den Beispielen der Osterweiterung der NATO (entgegen den Einigungsverträgen), der Rolle der BRD im Jugoslawienkrieg und der Ukrainekrise. Er erinnert an die weitere Bedeutung des Mitteleuropakonzepts für die deutsche Politik.

Immer wieder rekurriert er auf die Arroganz und die Verständnislosigkeit deutscher Politiker, Schäubles Verhalten gegenüber dem griechischen Finanzminister zum Beispiel. Es gebe unterschiedliche politische Mentalitäten. Madame Merkel könne die „französischen Subtilitäten und den Witz eines französischen Präsidenten“ nur als Schwäche interpretieren. Darum glaube sie, ungefragt Ratschläge geben zu müssen. Natürlich lässt sich Mélenchon einen Kauder nicht entgehen. In der Tat spreche man in Europa Deutsch – und zwar an den Schlüsselstellen des gemeinsamen Hauses. Er nennt die nicht wenigen Schlüsselbewahrer beim Namen, auch Martin Schulz, dessen Rolle im Griechenlandkonflikt wirklich nicht unproblematisch ist.

Was folgt aus alledem? Die Erkenntnis, dass die Europäer um eine Konfrontation mit der deutschen Politik (nicht mit dem deutschen Volk!) nicht herumkommen. Da hilft kein Hinterherdackeln à la Sarkozy oder Hollande, wie Mélenchon spöttelt. Diese Konfrontation muss anfangs vom französischen Volk mit seinem universalistischem Anspruch auf Liberté, Egalité und Fraternité ausgehen. Mélenchon formuliert Alternativen:

  • Finanzrenten oder menschenwürdige Arbeit

  • Oligarchie oder Volk

  • Zentralbank oder Citoyens

  • Deutschland oder eine freie Union freier Völker

Hier allerdings beschleicht den Rezensenten das bange Gefühl, dass selbst wenn das französische Volk mal wieder revoluzzen sollte (was eher zweifelhaft ist), "le Volk allemand" das bleibt, was es ist - "le modèle allemand".

Jean-Luc Mélenchon, Le Hareng De Bismarck (Le Poison Allemand), Paris 2015 (Plon)

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