Dünner Lack

Rassismus In einer französischen Talkshow mit der Abgeordneten Danièle Obono werden urplötzlich demokratische Journalisten zu Kolonialrassisten

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Danièle Obono, marxistisch-feministische Aktivistin und neue Abgeordnete der France insoumise
Danièle Obono, marxistisch-feministische Aktivistin und neue Abgeordnete der France insoumise

Foto: imago/PanoramiC

Es begann an diesem 21. Juni eigentlich wie immer in diesen politischen Talkshows. Das temperamentvolle RMC-Team der „Grandes Gueules“ (Großfressen) stellte dem Gast die Fragen, die der Bevölkerung angeblich auf den Nägeln brennen. Der Gast war diesmal die Doktorin der Anthropologie Danièle Obono, marxistisch-feministische Aktivistin und neue Abgeordnete der France insoumise. Warum sie in ihrem Wahlkreis das Vertrauen der Mehrheit bekommen hat, zeigte die sechsunddreißigjährige „Black“ (sie stammt aus dem Gabun) von Anfang an. Obono argumentierte überzeugend, geistreich und souverän. Es gebe, so ein Moderator, in ihrem Wahlkreis Viertel, in denen sich Frauen nicht im Rock auf die Straße trauen. Obono bestätigte dies, nicht ohne hinzufügen, dass es überall sexuelle Gewalt gäbe, nur in anderen Formen. Waren es diese Aussagen, die die Herren der Runde reizten? Jedenfalls stellte ein anderer Moderator fast am Ende der Sendung folgende Frage:

Sie sind Abgeordnete der Republik mit der blauweißroten Schärpe, und Sie haben eine Petition zugunsten des Chansons „Nique la France“ (Fick Frankreich) der Gruppe Z.E.P. unterzeichnet. Sind Sie als Abgeordnete stolz darauf, die Petition unterzeichnet zu haben?

Danièle Obono bestätigte die Unterschrift und fügte hinzu, sie habe damals (2012) die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks verteidigt.

Fick Frankreich“, das schockiert Sie nicht? Wenn ich das höre, dann...

Der Fragensteller schaute fassungslos in die Kamera. Obono wiederholte, dass es um die Freiheit der Kunst gehe.

Noch gibt es in Frankreich eine Demokratie. Es gibt kein Gesetz über Majestätsbeleidigung, man wird nicht mehr in die Bastille geworfen.

Neue etwas holprige Frage eines leicht verunsicherten Moderators:

Und Sie, heute, mit Ihrer Laufbahn, Sie sind Abgeordnete geworden, sagen Sie „Es lebe Frankreich“?

Danièle Obono überlegte kurz und fragte dann, warum sie das jetzt sagen solle?

Soll ich jetzt Haltung annehmen und die Marseillaise singen?

Sie musste sich folgende Antwort anhören:

Weil Sie in Gabun geboren sind. Sie sind auch eine Hoffnung. Die Republik hat Ihnen erlaubt, dort anzukommen, wo Sie sind.

Ein anderer Teilnehmer (als Käsehändler in der Rolle der Stimme des Volkes) brummt:

Wenn Sie in einem Land leben, das nicht perfekt ist, wenn Ihnen das alles nicht gefällt, dann...

Er vollendete den Satz nicht.

Da war die Sendung schon fast am Ende.

Was ist da passiert? In einer etwas krawalligen, eine Debatte simulierenden Talkshow tut sich mit einem Mal ein Abgrund auf. Es zeigt sich, wie dünn der demokratische Lack der französischen Republik ist. Die von Obono unterzeichnete Petition verteidigt nicht das Lied, wie der Fragesteller formuliert, sondern die künstlerische Freiheit. Die Petition verweist auf klassische „antifranzösische“ Aussagen von Boris Vian, Léo Ferré, Brassens, Renaud. Die sind allerdings (ziemliche) „Stammfranzosen“. Cela épate les bourgeois. Das versorgt sie mit Kribbel. Aber ein Migrant, darf der so etwas? Die Petition wurde 2012 auch von anderen Politikern aus dem linken Spektrum unterschrieben. Niemals ist es ihnen vorgehalten worden.

Es ist halluzinierend, zu sehen, dass das Thema die Moderatoren gefangen hält. Es ist nichts anderes als ein rassistischer Automatismus, der sie Obono indirekt Undankbarkeit gegenüber der Republik vorwerfen lässt. Schließlich verdankt sie alles der großzügigen Mutter Marianne, die sie vom schwarzen Kontinent holte und überreichlich mit Bildung versorgte. Müsste sie nicht ihren ungehorsamen schwarzen Mitschwestern und Mitbrüdern täglich ein „Vive la France!“ entgegenschmettern?

Nach der Sendung passierte das Erwartete. Der Front national setzte seine Truppen in den sozialen Medien ein. Auf der offiziellen Seite des FN wird behauptet, „diese Madame“ Obono wolle „Frankreich in aller Ruhe ficken können“. Vom Volk gewählt zu sein, (bedeute aber) die Notwendigkeit eines Maximums an Respekt für die Franzosen , Frankreich und seinen Institutionen.

Der Figaro titelte so maliziös wie falsch:

„Fick Frankreich“: kann man Abgeordneter einer Nation sein, die man verachtet?

und behauptete, Obono sei in politischer Nähe der kommunitären „Indigènes de la république“. Es stimmt, dass sie an einigen Veranstaltungen der Gruppe teilnahm, aber sie ist weder Mitglied noch teilt sie vollständig deren Ideologie.

Immerhin stellte Libération den Umgang mit Obomo als den Skandal dar, der er ist. Und natürlich zeigte die France insoumise ihre Solidarität. Der „Leutnant“ Mélenchons, Alexis Corbière, bekam das Recht auf eine Gegenrede in den „Grandes Gueules“, das er temperamentvoll nutzte. Die Moderatoren wiesen jede Schuld von sich. Sie hätten doch nur gefragt. Vielleicht fühlen sie sich immer noch zu Unrecht kritisiert.

Der Figaro hatte behauptet:

Sie (Obono) denkt, dass Frankreich ein rassistisches und kolonialistisches Land ist.

Natürlich denkt Danièle Obono differenzierter. Frankreich ist eine demokratische Republik, die auch rassistisch und kolonialistisch ist. Und manchmal wird dies unheimlich deutlich.

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