Kommunalwahlen in der Türkei: Murat Kurum will Istanbul für die AKP gewinnen
Türkei Am 31. März finden im ganzen Land Kommunalwahlen statt. Nach dem Präsidentenvotum letzten Sommer, bei dem sich Recep Tayyip Erdoğan eine weitere Amtszeit sicherte, sind diesmal keine Bündnisse zwischen den Oppositionsparteien geschlossen
Die größten Oppositionsparteien – die sozialdemokratische CHP, die rechts-konservative IYIP und die pro-kurdische DEM – haben vor der Kommunalwahl entschieden, in den meisten Bezirken jeweils eigene Kandidaten aufzustellen. Dieser Strategiewechsel wiegt am schwersten für Istanbul, das der CHP-Bewerber Ekrem İmamoğlu 2019 mit großer Mühe gewonnen hatte. Damals spielte die AKP mit schmutzigen Tricks und annullierte das Ergebnis mit einem äußerst umstrittenen Beschluss des Obersten Wahlrats, was zu einer Stichwahl führte, die İmamoğlu mit noch größerem Vorsprung gewann. Nun scheint es ein sehr enges Rennen zu werden. Die meisten Umfragen sehen İmamoğlu knapp vorn.
Angesichts seiner Popularität war
moğlu knapp vorn.Angesichts seiner Popularität war es für Recep Tayyip Erdoğans AKP und die rechtsgerichtetePartei der Nationalistischen Bewegung (MHP) nicht einfach, einen Kandidaten zu finden. Erdoğans Alleinherrschaft bedeutet auch, dass kein anderer Politiker seine Beliebtheit erreichen kann und niemand sofort infrage kam. Im Januar dann nominierte die AKP Murat Kurum als ihren Favoriten für Istanbul. Kurum war von 2018 bis 2023 Minister für Umwelt und Stadtplanung, bevor er Abgeordneter wurde. Während seiner Amtszeit als Minister war er vor allem wegen der leichtsinnigen Vergabe von Baugenehmigungen heftig kritisiert worden. Laut einem Bericht der Istanbul Planning Agency (IPA) erteilte Kurum während seiner Amtszeit unter anderem die Erlaubnis für Tausende von Gebäuden in Erdbebengebieten. Das löste besonders nach den schweren Beben im Südosten, bei denen im Vorjahr mehr als 50.000 Menschen ums Leben kamen, öffentliche Empörung aus.Murat Kurum will als Bürgermeister Istanbul „erdbebensicher“ machenKurums Name wurde mit Fehlverhalten bei Wohnungsbauprojekten in Verbindung gebracht, die er sowohl als Minister als auch als Vorstandsmitglied von Emlak Konut, einem Immobilienentwickler und Tochterunternehmen der staatlich unterstützten TOKI, genehmigt hatte. Die Umstände machen Kurums wichtigstes Wahlversprechen besonders interessant: Nämlich Istanbul „erdbebensicher“ zu machen, indem gefährdete Gebäudestrukturen verstärkt und in den nächsten fünf Jahren dort 650.000 neue Wohnungen gebaut werden.Zusammen mit den zahlreichen Tochtergesellschaften der Istanbuler Stadtverwaltung (IBB) beläuft sich der konsolidierte Haushalt der Megacity auf fast 15 Milliarden Euro, weit mehr als der anderer türkischer Städte. Das bedeutet, Istanbul wird nicht nur als politische, sondern ebenso als wirtschaftliche Macht wahrgenommen, die tausende Arbeitsplätze für Erdoğan-Getreue und Aufträge für AKP-nahe Geschäftsleute und Unternehmen bietet. Aus diesem Grund unternimmt die AKP alles in ihrer Macht Stehende, um Istanbul von İmamoğlu zurückzuerobern, der weithin als Kandidat gilt, der eines Tages gegen Erdoğan im Kampf um das Präsidentenamt antreten könnte.İmamoğlu gab riesige Summen für sozial schwache Familien ausErdoğan und die AKP, die auf fast allen Fernsehkanälen und in allen Zeitungen über unerschöpfliche Propagandamittel verfügen, zeichnen ein Bild von İmamoğlu, der in seinen fünf Jahren als Bürgermeister „keinen einzigen Nagel für die Stadt eingeschlagen“ hat. Stattdessen ständig Urlaub machte. Täglich wird versucht, Istanbul als eine kaputte Stadt darzustellen, in der die öffentlichen Verkehrsmittel ausfallen und sich Müllsäcke auf den Straßen stapeln.Im Januar wurde bekannt, dass die AKP mit Hilfe eines Busfahrers eine PR-Kampagne inszeniert hatte, die den Anschein erwecken sollte, als blieben Busse stetig liegen. In Wirklichkeit gab İmamoğlu riesige Summen für neue Fahrzeuge aus, zudem für neue U-Bahn-Linien, Studentenwohnheime, Kindergärten, die Renovierung von denkmalgeschützten Gebäuden und öffentlichen Räumen sowie für sozial schwache Familien. Dieser Punkt ist vielleicht der wichtigste angesichts der derzeitigen wirtschaftlichen Lage mit ihren hohen Lebenshaltungskosten.Laut einer Ipsos-Umfrage vom Februar sehen 85 Prozent der türkischen Bevölkerung die Wirtschaft als größtes Problem an. 65 Prozent glauben, dass die tatsächliche Inflation weit über der offiziellen Zahl von 67 Prozent pro Jahr liegt, wie sie die Regierung im Februar bekanntgegeben hatte. Zu allem Überfluss haben sich die Mieten in Istanbul zwischen 2020 und 2022 verfünffacht. Dies – gepaart mit der Bedrohung durch ein Erdbeben in Istanbul, vor dem Experten seit Jahren warnen – lässt ein sicheres, bezahlbares Wohnen für viele zur Utopie werden. İmamoğlu verkündete, dass er die Sozialhilfe seit seinem Amtsantritt versechsfacht habe. Zu seinen jetzigen Wahlversprechen gehört die Zusage, die Sozialhilfe auf weitere 600.000 der ärmsten Haushalte sowie auf diejenigen, die nur von einem Mindestlohn leben, auszuweiten. İmamoğlu hat von der AKP gelernt, dass die Linderung der Armut Wählerstimmen bedeutet. Erdoğan erwartete anderthalb Millionen MenschenAm 24. März traf sich der AKP-Kandidat Murat Kurum mit Präsident Erdoğan auf dem inzwischen stillgelegten Flughafen im Westen der Stadt. Unter großer Kritik wurde dieser Airport geschlossen, um Platz für den neuen Istanbuler Flughafen zu schaffen, der von Bauunternehmern mit engen Kontakten zu Erdoğan für Milliarden von Euro gebaut wurde. Um dafür Platz zu schaffen, wurden massive Waldflächen im Norden der Stadt abgeholzt.An diesem schönen Frühlingstag nun erwartete Erdoğan, dass 1,5 Millionen Menschen das riesige Flugfeld für das Treffen füllen würden. Doch zu seiner Enttäuschung waren es offiziell weniger als die Hälfte. Um seinen Bewerber zu unterstützen, wandte er sich an die Versammelten: „Wir müssen diese Stadt am 31. Märzvor der Unterdrückung durch die CHP retten. Der Müll, die Schlaglöcher, der Dreck, die Arbeitsausfälle ... mit Allahs Hilfe sind wir bereit, all dem ein Ende zu setzen“Ins Gewicht fällt sicher, dass die anderen Oppositionsparteien mit eigenen Kandidaten gegen İmamoğlu antreten. Da sie nach der enttäuschenden Niederlage im vergangenen Sommer müde sind, ist mit einer geringeren Wahlbeteiligung als bei anderen Abstimmungen zu rechnen. Wenn İmamoğlu trotz aller widrigen Umstände gewinnt, würde dies bedeuten, dass er damit einen weiteren Schritt gehen könnte, um in vier Jahren gegen Erdoğan anzutreten und zu gewinnen.
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