Irgendwann während der Pandemie bin ich abgerutscht. Der Algorithmus muss in mir Potential entdeckt haben und verbannte mich auf „SkinTok“, eine Nische der Videoplattform Tiktok. In Videos von bis zu drei Minuten Länge erklären hier „Skinfluencer:innen“, wie wir unsere Haut am besten pflegen und vor schädlichen Einflüssen schützen. Die erste Lektion: Sonnencreme tragen. Und zwar immer und überall.
Es handelt sich hierbei nicht um die Spinnerei von Schönheits-Fanatiker:innen, auch Dermatolog:innen raten dazu, sich täglich einzucremen. Die Hautkrebs-Diagnosen sind in den vergangenen 20 Jahren um 75 Prozent gestiegen, die Todesfälle um 55. Hautkrebs ist eine der Erkrankungen, die mit der fortschreitenden Klimakatastrophe
atastrophe häufiger wird. Mehr Sonnentage bedeuten für viele mehr Aufenthalt im Freien. Aber mit weniger Wolken im Sommer wird auch weniger UV-Licht gefiltert.Dabei ist nicht nur der Sonnenbrand langfristig gefährlich. UV-Strahlung greift die Zellen in der Haut an, kann zu Veränderungen in der DNA führen und der Haut irreparable Schäden zufügen. Das Schönheitsideal der „gesunden Bräune“ ist nicht mehr als ein Ideal, denn „gesund“ ist gebräunte Haut nie. Also creme ich mich, wie ich es gelernt habe, jeden Morgen ein.Viele Sonnenschutz-Chemikalien sind umweltschädlich. Oder krebserregend. Oder beidesDa kam es für mich einigermaßen überraschend, dass sich die Chemieindustrie um die Zukunft der Sonnencreme in Europa sorgt. Die Europäische Kommission arbeitet momentan an einer Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit, die als Teil des European Green Deals umweltschädliche Chemikalien, unter anderem in der Kosmetik, verbieten soll. Große Firmen wie BASF befürchten, dass damit knapp die Hälfte der Sonnencremes vom Markt fliegen könnte. Denn viele Sonnenschutz-Chemikalien sind entweder umweltschädlich oder krebserregend. Oder beides.Schätzungsweise 14.000 Tonnen davon landen jährlich in den Ozeanen und belasten Ökosysteme. Insbesondere in beliebten Urlaubsregionen mit Korallenriffen sorgt das für Probleme. Der Inselstaat Palau und der US-Bundesstaat Hawaii haben bereits bestimmte Sonnenschutzchemikalien verboten, darunter Oxybenzon und das auch hierzulande weit verbreitete Octocrylen.Oxybenzon schädigt einzellige Algen, die in Symbiose mit Korallen leben und ihnen Farbe geben. Es kann zur Korallenbleiche kommen, die zum Absterben der Nesseltiere führt. Octocrylen stört den Fettsäurestoffwechsel der Korallen und baut sich zu kresbserregenden Benzophenonen ab. Es lagert sich in Muscheln ab, gelangt so in die Nahrungskette, stört bei Fischen die Entwicklung von Gehirn und Leber.Also Naturkosmetik drauf: Guck mal, ein Strandschneemann!Nicht wenige Hersteller haben reagiert und verzichten bereits auf bestimmte Chemikalien. Aber die Aufgabe, herauszufinden, welche Sonnencremes weniger schädlich sind als andere, bleibt bei den Verbraucher:innen. Die greifen dann oft zu Naturkosmetik, was logisch klingt, es aber nicht unbedingt sein muss.Sonnenschutz lässt sich in zwei Gruppen einordnen. Chemischer Sonnenschutz wandelt UV-Licht, das auf die Haut trifft, in Wärme um. Mineralische Sonnencremes, zu denen die meisten Naturkosmetika gehören, nutzen hingegen Mineralien, die Sonnenlicht auf der Haut reflektieren. Die zwei häufigsten sind Titandioxid und Zinkoxid. Diese Stoffe sind dafür verantwortlich, dass, wer sich eincremt, aussieht wie ein Strandschneemann. Um das zu vermeiden, gibt es die Option, Nanopartikel zu verwenden. Von denen wird aber vermutet, dass sie sich im Gewebe und der Umwelt ablagern, mit noch unbekannten Folgen.Bei Nanopartikeln ist auch nicht geklärt, ob diese nicht doch die Hautbarriere durchdringen. Titandioxid wiederum steht in Verdacht, bei Aufnahme in den Körper krebserregend zu sein. Deshalb ist es in der EU nicht mehr zum Verzehr oder in Sonnen-Sprays zugelassen. Nur, wer schleckt sich nicht mal über die Lippen oder fasst mit eingecremten Händen ein Brot an?Wäre doch ganz schön, wenn die EU die Chemikalien verbieten und die Industrie zu Alternativen zwingen würde. Letztere warnt allerdings, es dauere bis zu zehn Jahre, einen neuen Sonnenschutz zu entwickeln. Außerdem hat die Kommission, wenn man mal ein wenig rumfragt, überhaupt nicht vor, UV-Filter zu verbieten. Die Wahl ist am Ende also: Setze ich mich dem Hautkrebsrisiko durch UV-Strahlen aus oder den Risiken der UV-Filter, die außerdem die Umwelt belasten? Hm. Vorfreude auf den Sommer sieht anders aus.Placeholder authorbio-1