In Berlin rufen mehr als 200 Stadtteil- und Mieterinitiativen, soziale Verbände, Gewerkschaften und Hausprojekte für diesen Samstag zur Demonstration – gegen steigende Mieten, unsoziale Modernisierungsvorhaben und die Zerstörung der Nachbarschaft durch die Verdrängung von Gewerbetreibenden und die Kommerzialisierung der öffentlichen Räume. Fast zwei Millionen leistbare Wohnungen für die Haushalte mit geringem Einkommen fehlen bundesweit, allein in Berlin sind es mehr als 300.000. Eine Mietkostenbelastung von maximal 30 Prozent des Einkommens bleibt für viele ein unerfüllter Wunsch. Knapp eine Million Haushalte in den Großstädten gibt mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Miete aus. Zum Leben bleibt da nicht viel.
Die Gründe für die Krise liegen auf der Hand: Nach dem Rückzug des Staates bestimmen die Marktverhältnisse die Wohnversorgung. Da sich mit unterdurchschnittlichen Mietpreisen keine Gewinne erzielen lassen, bleiben all jene auf der Strecke, die wegen ihrer geringen Einkommen auf günstige Mieten angewiesen sind. Demgegenüber stehen steigende Gewinne aus der Immobilienspekulation. Bundesweit ist der jährliche Umsatz von Immobilientransaktionen seit 2009 von 13 Milliarden auf fast 80 Milliarden Euro 2016 gestiegen. Die Mehrzahl der Verkäufe betrifft bebaute Grundstücke. Um die gestiegenen Ertragserwartungen dieser Investitionen zu erfüllen, wird mit Ertragssteigerungen gerechnet, die die aktuellen Mieter und Mieterinnen in der Regel nicht bezahlen können. Die Verdrängung ist zum Geschäftsmodell geworden.
Von der Großen Koalition ist nichts zu erwarten. Weder die zahnlose Mietpreisbremse noch die zaghafte Fortführung der Wohnungsbauförderung und erst recht nicht das versprochene Baukindergeld werden den Raubzug der Immobilienwirtschaft stoppen. Das Grundrecht auf Wohnen setzt eine öffentliche Verantwortung für den Wohnungsbau und eine Sozialisierung des Bodens voraus. Die Mietenproteste in Berlin fordern einen solchen Kurswechsel und wollen das Wohnen und die Stadtentwicklung aus der Abhängigkeit von Marktlogik und Bodenspekulation befreien.
Die Bodenfrage ist der Schlüssel für eine soziale Wohnungsversorgung, doch das Eigentum ist eine heilige Kuh, die weder geschlachtet noch gemolken werden darf. Wie groß das politische Desinteresse an einer Besteuerung des Grundbesitzes ist, hat das Bundesverfassungsgericht gerade vor Augen geführt: Die aktuelle Grundsteuer sei unzulässig und nicht zeitgemäß. Völlig losgelöst von den veränderten Ertragsaussichten wird die Grundsteuer immer noch auf Basis von sogenannten Einheitswerten aus den Jahren 1935 und 1964 ermittelt.
Unzeitgemäß ist aber nicht nur diese Berechnungsgrundlage, sondern die Grundsteuer an sich, da sie Spekulation belohnt und wenige Investitionsanreize für den Wohnungsbau setzt. Dass die Bundesregierung die Rüge des Gerichts nutzt, um eine grundlegende Bodenreform einzuleiten, ist nicht zu erwarten. Wenn es um das Recht auf Wohnen geht, bleibt Mieterinnen und Mietern nur eins: sich auf sich selbst zu verlassen und den nötigen Druck für eine soziale Wohnungspolitik aufzubauen. Im Vergleich zum Verfassungsgerichtsurteil und zur Koalitions-Klausurtagung ist die Mietendemo am Samstag deshalb das wichtigste Ereignis in dieser Woche.
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