Die Brutalo-Twitterin

Porträt Erika Steinbach provoziert mit ihren aggressiven Kurznachrichten. Das stört auch ihre Freunde in der Union
Ausgabe 12/2016

Eines muss man ihr lassen: Schlagfertig ist die Frau, zumindest beim Kurznachrichtendienst Twitter. „Wenn ich ihre Posts lese, könnte ich kotzen“, schrieb Twitter-Nutzer „Nordlohner“ über die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach. Ihr Konter: „Hoffe, dass Sie einen Eimer zur Verfügung haben.“

Die Christdemokratin ist das bizarrste Mitglied der Twitter-Gemeinde im politischen Berlin. Fast 17.000 Botschaften hat sie seit Ende 2011 im Internet abgesetzt. Mehr als 13.000 Menschen empfangen ihre 140-Zeichen-Meldungen und ihre Bilder. Niemand versteht es so gut wie Erika Steinbach, auf diesem Weg zu provozieren. Der jüngste Coup der Erzkonservativen ist ein Tweet über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung: „!!Seit September alles ohne Einverständnis des Bundestags. Wie in einer Diktatur!!“ Oft schon hat sie gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel gehetzt. Steinbach fordert seit vielen Jahren eine restriktive Flüchtlingspolitik und geschlossene Grenzen – und das als Sprecherin der Unionsfraktion für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Doch erst dieser Tweet brachte die Parteifreunde in öffentliche Wallung.

Erika Steinbach ist ein politisches Fossil, lange Zeit genoss die Frankfurter Direktkandidatin in der Unionsfraktion politischen Artenschutz. Die 72-Jährige ist ein Überbleibsel des nationalkonservativen Stahlhelm-Flügels um Alfred Dregger, der die Verbrechen der Wehrmacht verharmloste und lange Fraktionschef der Union war. Steinbach wirkt mit ihren oft bonbonfarbenen Kostümen und ihrer blonden Haarsprayfrisur auch als Person wie aus der Zeit gefallen. Energisch stemmt sie sich gegen jede Modernisierung. Ob Abtreibungsrecht, Homo-Ehe, Frauenquote oder Zuwanderung – Steinbach ist verlässlich gegen jeden noch so kleinen Fortschritt und lässt die Welt via Twitter daran teilhaben. „Köln: SPD fordert Homo-Ampeln! Man kann es wirklich auf die Spitze treiben!“, echauffierte sie sich.

Geschickt weiß Steinbach jede Gelegenheit zu nutzen, ihre Botschaften in die Welt zu senden. Nach dem Tod des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt verschickte sie zum Gedenken einen fremdenfeindlichen Satz von ihm: „Wir können nicht mehr Ausländer verdauen, das gibt Mord und Totschlag.“ Im Februar postete Steinbach ein Bild mit einem blond gelockten, hellhäutigen Kind, umringt von älteren, dunkelhäutigen Menschen. Darüber stand „Deutschland 2030“, darunter: „Woher kommst du denn?“ Damit schaffte sie es sogar in die Tagesschau.

Die „Hohlzwitscherin“

Jetzt reißt den Parteifreunden langsam der Geduldsfaden. Darf Steinbach das Regierungshandeln in der Flüchtlingspolitik mit einer Diktatur vergleichen? Unionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer hält den Tweet für „inakzeptabel“. In der Fraktion stießen Steinbachs Äußerungen auf Unverständnis, sagt er. Ob die Bundestagsabgeordnete ihr Amt als menschenrechtspolitische Sprecherin behält, lässt er offen. „Das müssen wir mal sehen“, sagt er und ergänzt: „Zurücktreten kann jeder.“ Doch die „Hohlzwitscherin“ (Frankfurter Rundschau) denkt gar nicht daran, zurückzutreten. Sie könnte zwar auch abgewählt werden. Doch dafür müssten sich mindestens zwei Drittel der Unionsabgeordneten gegen sie stellen. Daher gilt es als unwahrscheinlich, dass die Fraktionsführung einen Antrag gegen „die größte Krawallnudel der deutschen Politik“ (Spiegel) wagen wird.

Ursprünglich gehörte sie, sagt Steinbach heute über sich, „wohl zu den unpolitischsten Wesen dieser Republik“. Sie las lieber Goethe und Kleist als politische Kommentare. Ihren Beruf als Violinistin musste sie aufgeben, weil der kleine Finger ihrer linken Hand steif wurde. Anschließend wurde sie Diplomverwaltungswirtin. Doch dann stand sie in der Frankfurter Innenstadt immer wieder im Stau. Angeblich wegen der „Straßentyrannei“ der 68er und ihrer Nachfolger. Steinbach trat 1974 in die CDU ein – wegen des Ex-NSDAP-Mitglieds Alfred Dregger, den sie auch heute noch einen „Leuchtturm“ in der hessischen Landespolitik nennt. 13 Jahre war sie in Frankfurt Stadtverordnete, bevor sie 1990 in den Bundestag gewählt wurde.

Bei der nächsten Bundestagswahl 2017 wird die Seniorin nicht noch einmal antreten, wie sie im vergangenen Sommer bekannt gab. Nur mit Mühe hatte sie sich bei der Kandidatenkür 2013 durchsetzen können. Erika Steinbach ist in politischer Altersteilzeit. Das Amt, das die „rechte Flügelstürmerin“ (taz) bundesweit bekannt machte, hat sie bereits 2014 aufgegeben. Seit 1998 war sie Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen , der nach dem Zweiten Weltkrieg von Alt-Nazis gegründet worden war. Als Obervertriebene setzte Steinbach das umstrittene „Zentrum gegen Vertreibungen“ durch. Die dazugehörende Stiftung macht heute vor allem durch interne Querelen von sich reden. Den Vorstandsposten des Vertriebenenverbandes hat Steinbach an den offen schwulen CSU-Politiker Bernd Fabritius abgegeben.

Steinbach selbst ist Gesinnungsvertriebene. Sie ist 1943 im sogenannten Reichsgau Danzig-Westpreußen geboren. Der aus Hameln stammende Vater war dort als Besatzungssoldat, die aus Bremen kommende Mutter Luftwaffenhelferin. Der Vater kam in sowjetische Kriegsgefangenschaft, die Mutter floh mit ihren beiden Töchtern in den Westen. Dort erlebte Erika Steinbach als Flüchtlingskind Missachtung, Demütigung und bittere Not. Und das ist das Abstoßende an dieser Frau, die Eichendorff-Gedichte, Schumann-Lieder und Bach-Kantaten liebt: Sie zeigt keinerlei Mitgefühl mit den heutigen Flüchtlingen.

Sie solle doch zur AfD gehen, rufen ihr Kritiker zu. Aber für die Kalte Kriegerin Steinbach ist die AfD keine Option. Die neuen Rechtspopulisten setzen auf Russland. Steinbach wird ihren Lebensabend daher wohl politisch heimatlos verbringen.

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